Nawalny: Rechtsstaat oder Regimewechsel?

Die EU hat ihre Forderung nach einer Freilassung von Kreml-Kritiker Nawalny bekräftigt. Er sitze aus politischen Gründen in Haft, so der Sprecher von Außenvertreter Borrell, und das sei inakzeptabel. Doch welche (politischen) Ziele verfolgt die EU mit der Unterstützung Nawalnys?

Geht es einzig und allein um rechtsstaatliche Prinzipien, wie Borrell behauptet? Wenn dem so wäre, dann müsste er ebenso laut gegen die Inhaftierung von Wikileaks-Gründer Assange protestieren. Denn auch der wird aus politischen Gründen festgehalten.

Oder geht es um die Demokratie? Wird Nawalny als legitimer Oppositionsführer betrachtet, dem die EU zur Freiheit und vielleicht sogar zur Macht verhelfen will? Das wäre eine ganz andere Dimension von enormer innen- und außenpolitischer Sprengkraft.

Ein deutscher Ökonom hat sich jetzt aus der Deckung gewagt. „Wir wollen ja nicht weniger als einen Regimewandel in Russland“, sagte Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft, dem „Deutschlandfunk“.

Das könne die EU allein aber nicht erreichen.Vielmehr wäre eine große Koalition nötig. so Felbermayr. Noch ein Zitat:

Wenn man Russland wirklich wirtschaftlich in die Knie zwingen will, dann bräuchte man dazu eine große Koalition von Ländern, da kann Europa allein nicht so viel ausrichten, wie notwendig wäre. Da bräuchte es zumindest auch China an Bord und am besten noch Indien und weitere Handelspartner Russlands.

G. Felbermayr im DLF

Nun spricht Felbermayr natürlich nicht für die EU. Er steht für einen konservativen Mainstream bei deutschen Ökonomen, nicht mehr und nicht weniger. Dennoch sind seine Worte ernst zu nehmen.

Denn wenn nicht alles täuscht, schmiedet die EU gerade eine Koalition gegen Russland – mit den USA. Wie in den „guten alten Zeiten“ vor Trump sucht Brüssel den Schulterschluß mit der Biden-Administration in Washington.

Deshalb hört man derzeit auch so wenig von EU-Sanktionen, vermute ich. Und deshalb ist man in Moskau so dünnhäutg, wie die jüngsten Äußerungen von Außenminister Lawrow zeigen.

Sollte Europa erneut Sanktionen verhängen, „die ein Risiko für unsere Wirtschaft darstellen (…), dann ja“, antwortete der russische Außenminister auf die Frage, ob man auf einen Bruch mit Brüssel zusteuere.

Bereits nächste Woche könnte es so weit sein. Dann treffen sich die EU-Außenminister in Brüssel – und das sogar „physisch“, also nicht nur per Video. Wie immer, wenn es Wichtiges zu besprechen gibt…

Siehe auch „Der Nawalny-Biden-Komplex“ und „Lawrow schlägt Borrell 2:0“

P.S. Am EU-Treffen soll auch der neue US-Außenminister Blinken teilnehmen, per Video. Man wolle mit ihm über Russland und China sprechen, heißt es in Brüssel.