Was von Chirac bleibt

Frankreich nimmt Abschied von Jacques Chirac – und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker kann nicht teilnehmen (wegen eines unbekannten Leidens). Was für ein Symbol!

Als Helmut Kohl gestorben ist, da machte ihm ganz EUropa die letzte Aufwartung. Sein Leichnam wurde sogar im Europaparlament in Straßburg aufgebahrt – ein einmaliger Vorgang, den man bis dahin nur von Kaisern und Königen in der Monarchie kannte – nicht aber in einer Demokratie, wie sie die Europäische Union sein will.

Doch beim Adieu von Chirac ist die EU eigentümlich abwesend. Nicht nur Kommissionschef Juncker blieb der Trauerzeremonie in Paris fern. Auch Kanzlerin Angela Merkel kam nicht. Und Ex-Kanzler Gerhard Schröder fühlte sich ausgeladen – angeblich nur ein Missverständnis, doch er war nicht vor Ort.

Dabei hat Chirac europäische Geschichte geschrieben – im Guten wie im Schlechten. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit 1995, die ich als Frankreich-Korrespondent in Paris hautnah miterlebt habe, ging es los.

Mit der Wiederaufnahme der französischen Atomtests löste der Neogaullist eine Welle der Empörung in Deutschland aus. Sein Einsatz für eine westliche Intervention auf dem Balkan sorgte für Unverständnis.

Endgültig unten durch war Chirac in Berlin, als er – nach einer massiven Streikwelle – die groß angekündigten Wirtschaftsreformen fallen ließ. Den “Bulldozer” habe der Mut verlassen, hieß es.

Dabei wurde Kanzler Kohl zur selben Zeit längst als überreife “Birne” verspottet. Und Frankreich stand Ende der 90er wirtschaftlich besser da als Deutschland. Erst nach Chiracs Abgang sollte sich das ändern.

Spannend war die “Cohabitation” zwischen dem neogaullistischen Staatschef und der Linksregierung unter Lionel Jospin. Dessen Finanzminister Dominique Strauss-Kahn bescherte Frankreich einen (kurzen) Boom – und wurde sogar in der FAZ als Vorbild für ganz Europa gefeiert!

Doch das ist ebenso vergessen wie der Flop beim EU-Gipfel von Nizza. Der Misserfolg wird vor allem Frankreich angelastet. Dabei war es Deutschland, das den Ton angab und Paris zur Aufgabe der Stimmparität drängte.

Seit “Nizza” sollte Chirac europapolitisch nichts mehr gelingen. Sein Waterloo erlebte er beim EU-Referendum 2005. Die Mehrheit der Franzosen stimmte “Non”, sie wollte keine “deutsche” Verfassung.

Non zum Irak-Krieg

Chiracs Fehler war es, danach eine Auszeit zu erbeten, statt energisch das Ruder zu übernehmen und die EU – zusammen mit den Niederlanden, die ebenfalls Nein gesagt hatten – neu aufzustellen.

Das hat er Berlin überlassen; die “Berliner Erklärung” war der Startschuss für die Restauration der im Volk gescheiterten Verfassung. Vor allem der Name wurde geändert – in Lissabon-Vertrag.

Trotz alldem wird Chirac in guter Erinnerung bleiben – als der Mann, der gemeinsam mit Gerhard Schröder “Nein” zum Irak-Krieg gesagt hat – und den Grundstein für eine EU-Verteidigung legte.

Merkel schoß quer

Ohne Frankreich und dessen ständigen Sitz im Uno-Sicherheitsrat hätte Schröder sein Nein nicht durchhalten können. Außenpolitisch nicht, und innenpolitisch schon gar nicht.

Angela Merkel ließ damals nichts unversucht, den deutsch-französischen Anti-Kriegs-Kurs zu beenden – und die EU wieder auf “transatlantische Linie” zu bringen. Dabei half ein gewisser José Manuel Barroso.

Fünfzehn Jahre später zeigt sich, was das gebracht hat. Nun steht Merkel unter Druck aus den USA – und Chiracs Amtsnachfolger Emmanuel Macron redet, wenn es um die Außenpolitik geht, fast wie ein Neogaullist…

Siehe auch “Kohl wollte ein anderes Europa”