Europafahnen und Tränengas: Was passiert in Georgien?
Kommt in Georgien eine neue “Farbenrevolution”, wiederholt sich gar der Euro-Maidan von 2014? Dies suggerieren Bilder von den Protesten mit blauer Europafahne in der Hauptstadt Tiflis.
Der Protest richtet sich gegen einen Gesetzentwurf, den die Regierungspartei Georgischer Traum vom Parlament verabschieden ließ. Nichtregierungsorganisationen und Medien, die einen Teil ihrer Mittel aus dem Ausland erhalten, sollen demnach als so genannte ausländische Akteure (“agents”) eingestuft werden.
Bürgerrechtler befürchten, dass diese Bestimmung ähnlich wie in Russland dazu dienen soll, um Regierungskritiker zu schikanieren. Die EU hatte sich gegen den Entwurf ausgesprochen. Sie verspricht Georgien den Beitritt, was die Demonstranten nun aufgreifen. Sie fürchten um die EU-Perspektive.
Allerdings gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem “russischen Gesetz”, Russland und der EU. Für den umstrittenen Gesetzentwurf ist Georgien selbst verantwortlich. Und daneben gibt es noch viele Dinge, die die EU beanstanden könnte, etwa den Umgang mit dem früheren Regierungschef Saakaschwili.
Angeheizt werden die Proteste von den USA. Die US-Botschaft in Georgien bezeichnete das Gesetz als „vom Kreml inspiriert“. Es sei unvereinbar mit dem Wunsch des Landes, der EU beizutreten. Auch diese Einmischung erinnert an die Ukraine von 2014…
Siehe auch “Was passiert in Moldau und Transnistrien?”
P.S. Bei regierungskritischen Protesten in Tiflis sind Sicherheitskräfte am Mittwochabend erneut mit Gewalt gegen Demonstranten vorgegangen. Die Demonstranten umringten nach Augenzeugenberichten das Parlament der Südkaukasusrepublik; einige versuchten auch, in das Gebäude einzudringen. Daraufhin setzten die starken Polizeikräfte Tränengas und Wasserwerfer ein. Am Donnerstag kündigte die Regierung dann an, den umstrittenen Gesetzentwurf zurückzuziehen.
Art Vanderley
10. März 2023 @ 20:45
Kann sein, daß Rußland seine Finger im Spiel hat, ist aber eigentlich nicht nötig. Viele Georgier dürften es dulden, wenn es georgische Kräfte selber sind, die sich rußlandfreundlich verhalten, um damit zu versuchen, die Russen abzuhalten von einer offenen Invasion. Kann ich verstehen, das ist die effektive Vorgehensweise Putins, ein offener Krieg ist auch ein Signal an andere Länder die potentielle Ziele darstellen, nach dem Motto, zahle einen Krieg, nimm zwei Länder gratis dazu.
Der Westen hat hier effektive Vorarbeit geleistet, eine Spätfolge des desaströsen Wirkens der neocons und George W.Bush, man stelle sich vor, die Europäer hätten nicht, in einem Restanfall von Vernunft, ihr o.k. verweigert zu einem NATO-Beitritt Georgiens, wer weiß, mit was für Leuten wir es dann zu tun hätten in Rußland.
Monika
9. März 2023 @ 19:52
US-Botschaft in Georgien bezeichnete das Gesetz als „vom Kreml inspiriert“…
Das “ähnliche” Gesetz von 2012 aus Russland soll aber die Reaktion auf die Reaktivierung eines Meldegesetzes aus den USA von 1938 (damals gegen Einflussnahme des faschistischen Deutschland auf die Meinungsbildung in den USA gerichtet, nun aber gegen russische Medien in Stellung gebracht) gewesen sein.
Auch in der EU existiert wohl ein ähnliches “Meldegesetz”
KK
9. März 2023 @ 13:20
@ Arthur Dent:
“wohin soll Ami aber gehen, ihm gehört doch die ganze Welt?”
Zu den Vogonen natürlich, sind ja schliesslich die galaktischen Alter Egos der Amerikaner!
Dann sind sie unter ihresgleichen und können sich mit denen messen, wer den längsten hat…
Arthur Dent
9. März 2023 @ 12:36
“Ami, it’s time to go” – wohin soll Ami aber gehen, ihm gehört doch die ganze Welt? 🙂
Stef
9. März 2023 @ 11:52
@ WBD: Die Antwort fällt doch relativ leicht: Die Aufgabe der EU ist inzwischen, den geostrategischen Wünschen der USA nachzukommen. das wird inzwischen ja auch kaum noch verbrämt. Ich fürchte, davon wieder wegzukommen wir zuerst eines politischen Aufstandes bedürfen und anschließend auch noch eines Preises für die Loslösung von den USA (unangenehme Strafaktionen, Veröffentlichung von kompromittierenden geheimdienstberichten).
Ich bin da dennoch ganz bei Oskar Lafontaine: Ami, it’s time to go!
Alles andere führt uns in den Abgrund, denn die USA haben noch niemals Rücksicht auf ihre Vasallen genommen.
KK
9. März 2023 @ 11:46
@ WBD:
“Geographisch liegt Georgien in Asien, und es gibt keine Landverbindung.
Will sich das EU-Imperium nun völlig überdehnen?”
Ein Antrag von Marokko um Aufnahme in die EU wurde jedenfalls mal von Brüssel abgelehnt mit der Begründung, Marokko liege nicht in EUropa…
…immer so wie es dem Wertewesten grad passt. Kennen wir doch!
WBD
9. März 2023 @ 10:59
Man sollte auch mal die Frage stellen, welchen Sinn eine Beziehung zwischen Georgien und der EU macht. Geographisch liegt Georgien in Asien, und es gibt keine Landverbindung.
Will sich das EU-Imperium nun völlig überdehnen?
ebo
9. März 2023 @ 11:02
Das hab ich mich auch schon gefragt. In Georgien heißt es, man sei ein christliches Land und Europa seit je verbunden. In Brüssel heißt es, man müsse Russland ausbremsen…
Thomas Damrau
9. März 2023 @ 10:16
… nebenbei bemerkt: Es handelt sich ja nicht um den ersten Protest in Georgien. Schon letztes Jahr ist “das Volk” auf die Straße gegangen, um gegen den empfundenen fehlenden EU-Enthusiasmus der Regierung zu protestieren ( https://www.zdf.de/nachrichten/politik/eu-georgien-beitritt-100.html )
Damals wurde ganz offen zum Sturz der Regierung aufgerufen.
Der Sinn von Wahlen in einer repräsentativen Demokratie ist eh schon manchmal fragwürdig (“Wenn Wahlen etwas ändern würden, …”) – so werden Wahlen definitiv zu Farce.
Arthur Dent
9. März 2023 @ 09:30
Proteste in Belarus und Kasachstan waren vermutlich der Versuch verdeckter Farbrevolutionen durch fremde NGO’s wie jetzt in Georgien. Schon der Wahlkampf von Juwtschenko 2004 soll nach einem Bericht des Guardians vom Ausland finanziert worden sein.
Kritiker der EU allerdings gelten häufig als Querdenker, Schwurbler Demokratiefeinde, Rechtspopulisten usw.
Thomas Damrau
9. März 2023 @ 09:27
Es entwickelt sich langsam eine Tradition, dass
– in einem Land eine Regierung gewählt wird
– die Regierung danach eine strittige Entscheidung trifft
– Menschen auf die Straße gehen (Ukraine 2013)
– die westlichen Medien verkünden “Das Volk geht auf die Straße” (ohne dass geprüft wird, wie viele Menschen wirklich hinter dem “Volk” stehen – sehr ähnlich zum “Wir sind das Volk”, das die AfD-Fans gerne für sich beanspruchen)
– und zum Schluss der Sturz der Regierung zum Wohle der westlichen Werte erste Bürgerpflicht wird.
Falls das nicht klappt, wird versucht, mit dem Vorwurf der Korruption (Brasilien 2016) die Regierung loszuwerden (was zwar oft stimmen mag – aber vielen Ländern nur bedeutet das nur, dass ein Korrupter den anderen beschuldigt). Die westlichen Medien schildern das gerne als “Schlag gegen die Korruption”.
Man kann natürlich auch alternative Vorwürfe vorbringen, um Regierungen loszuwerden (Bolivien 2019). Wenn man Glück hat, spielen die lokalen Gerichte bei der “Lawfare” mit.
Und wenn all das nicht zum Ziel führt, gibt es ja immer noch das Militär, das die jeweilige Regierung aus dem Amt kegeln kann (Chile 1973, Indonesien 1965, u.v.a). Nicht, dass ich z.B. ein Fan von Mursi in Ägypten (2013) gewesen wäre. Aber die Erleichterung, mit der westliche Politik und Medien die gewaltsame Beendigung des Arabischen Frühlings zur Kenntnis genommen haben, war schon befremdlich.
Robby
9. März 2023 @ 08:27
Verstehe nicht warum da nicht die US Botschaft geschlossen wird und die Bande rausgeworfen wird. Ist ja immer das gleiche Otpor! Skript.
european
9. März 2023 @ 07:34
Man wird sehen, was sich da auftut.
Es kommt den USA jedenfalls erstaunlich passend. Zum einen lenkt es gerade jetzt vom Nordstream-Skandal ab, zum anderen gibt es einen zweiten Flammenherd neben der Ukraine und man darf gespannt sein, ob sie Russland so reizen wollen, damit es einen zweiten Krieg gibt, um so Russland endlich zu schwächen. Bisher hat ja nichts funktioniert. Die freiwilligen EU-Helfer stehen schon parat. Natürlich werden wir auch für Georgien aus dem Fenster springen.
Man wird sehen, ob die USA auch hier die professionelle Revoluzzer-Organisation Otpor mit eingebunden haben, so wie sie es auch schon im Kosovo-Krieg und beim arabischen Frühling getan haben. Der kam ja auch nicht aus dem Nichts, sondern wurde orchestriert.
https://en.wikipedia.org/wiki/Otpor
„In interviews, the leaders and consultants of Otpor have described their involvement in the planning, coordination and implementation of the 2011 „Arab spring“ revolutions“
„By late November 2000, information started appearing about substantial outside assistance Otpor received leading up to the revolution. Otpor was a recipient of substantial funds from U.S. government-affiliated organizations such as the National Endowment for Democracy (NED), International Republican Institute (IRI), and US Agency for International Development (USAID).“
KK
9. März 2023 @ 01:42
The same procedure… und schon wieder fallen fast alle drauf rein.