Vergiftetes Klima

„I did not like when some claimed victory“

Der EU-Gipfel letzte Woche hat, was die Innenpolitik betrifft, einen Scherbenhaufen hinterlassen. Während einige Eurochefs lauthals „Sieg“ rufen, geht in Deutschland die Ausverkaufs- und Verrats-Debatte weiter. Sachlich ist sie durch nichts gerechtfertigt – weder Italien noch Spanien wird schnell geholfen, von Griechenland ganz zu schweigen. Merkels nächtliche Niederlage entpuppt sich bei Tageslicht als Pyrrhus-Sieg des Südens. 

Wie vergiftet das Klima ist, macht eine Rede von Kommissionschef Barroso vor dem Europaparlament deutlich (Video oben). Darin erregt sich Barroso lautstark über die neue Angewohnheit, bei jedem EU-Gipfel „Sieger“ und „Verlierer“ zu suchen, statt die Gemeinsamkeiten und Fortschritte für Europa zu betonen. Es ist – nach seinem Wutanfall beim G20-Gipfel in Mexiko – das zweite Mal in wenigen Wochen, dass der sonst so beherrschte und „runde“ Barroso aus der Haut fährt.

Dabei ist das Triumphgeheul in Italien und Spanien noch harmlos gegen die Debatte, die in Deutschland tobt. Da droht CSU-Chef Seehofer mit dem Bruch der Koalition, Ex-Industriekommissar Verheugen (SPD) wirft Monti „Betrug“ vor, und natürlich darf auch das Gerede von den „vaterlandslosen Gesellen“ nicht fehlen, die Deutschland angeblich an Frankreich verkauft haben. „Der SPD scheinen die französischen Interessen wichtiger zu sein als die der deutschen Steuerzahler“, polemisiert der CDU-Abgeordnete J. Spahn.

Von den Fakten ist all das nicht gedeckt. Frankreich ist auf den deutschen Austeritätskurs eingeschwenkt und wird sogar Merkels Fiskalpakt ratifizieren („Sarkozys Erbe“). Hollandes Wachstumspakt kostet den Steuerzahler keinen Cent; dort, wo er am meisten gebraucht würde – in Griechenland – kommt wohl nichts von dem Programm an. Im Gegenteil: Athen droht eine 40prozentige Kürzung, wie „Kathimerini“ meldet. Spanien muss länger als erwartet auf EU-Hilfen für seine maroden Banken warten – und Italien verschärft nochmal den Sparkurs.

Die vielbeschworene Trendwende weg vom Austeritätskurs ist nirgendwo zu erkennen, der gefürchtete „Ausverkauf“ Deutschlands erst recht nicht. Wenn Merkel heute in Rom den angeblichen „Erpresser“ Monti trifft, kann sie sich ganz entspannt zurücklehnen. Monti ist wieder ganz bei ihr, die „roten Linien“ sind intakt. Zu dumm nur, dass Merkels harter Kurs die Realwirtschaft immer tiefer nach unten zieht. Nicht nur in Italien, auch in Spanien, Griechenland und nun auch in Frankreich verschlimmert sich die Lage zusehends.

Auch in Deutschland ziehen von Süden und Westen dunkle Wolken am Konjunkturhimmel auf. Vielleicht ist das der wahre Grund für die hysterische Debatte – neben dem heraufziehenden Bundestagswahlkampf, natürlich?

 

kostenloser Counter

Twittern