Wir sind dann mal weg, Sassoli ist tot – und Rutte regiert wieder

Die Watchlist EUropa vom 11. Januar 2022 –

Die USA und Russland haben in Genf über die Ukraine-Krise gesprochen – ohne die EU. US-Vizeaußenministerin Sherman bezeichnete die fast achtstündigen Gespräche als “offen und direkt”. Ihr russischer Amtskollege Rjabkow beschrieb das Gespräch als “schwierig, aber sehr professionell”

Die USA seien bereit, über Themen wie die Begrenzung von Manövern oder die Stationierung von Raketen zu sprechen, sagte Sherman. Es könne etwa der INF-Vertrag über das Verbot landgestützter atomwaffenfähiger Mittelstreckensysteme wiederbelebt werden.

Konzessionen zur Ukraine, wie Russland sie fordert, schliessen die USA jedoch aus. Das Land könne allein über eine mögliche Nato-Mitgliedschaft entscheiden. Die USA würden zudem keine Entscheidungen über die Ukraine, Europa oder die Nato fällen, ohne dass diese Länder und Organisationen beteiligt wären.

Doch die EU ist immer noch nicht dabei – sehr zum Verdruß des EU-Außenbeauftragten Borrell. Nicht nur die USA, auch Russland werde mit der EU sprechen müssen, so der Spanier. Seine letzte Reise nach Moskau vor einem Jahr war allerdings ein Desaster – Borrell wurde regelrecht vorgeführt.

Die EU soll es am Ende ausbaden

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Und es sind auch nicht nur die Russen, die die Europäer gering schätzen. Die Amerikaner sind kaum besser – auch wenn US-Präsident Biden genau wie Sherman beteuert, er werde nichts ohne seine europäischen Alliierten entscheiden. Die Erfahrung der letzten Monate spricht eine andere Sprache.

In Afghanistan und im Indopazifik haben die USA die EU gleich zweimal vor vollendete Tatsachen gestellt. In der Ukraine dürfte es nicht anders sein – mit dem großen Unterschied, dass die EU diesmal auch noch die Sanktionen ausbaden soll, die die USA und Nato gegen Russland verhängen wollen.

Vom Stopp der deutsch-russischen Ostsee-Pipeline Nord Stream 2 bis zum Abklemmen vom belgischen Finanzdienstleister Swift reichen die Optionen, um Moskau für eine mögliche Aggression gegen die Ukraine zu bestrafen. Beides würde die EU und vor allem Deutschland treffen – nicht aber die USA.

Funkstille in Berlin und Brüssel

Doch in Berlin und Brüssel spricht man darüber nicht so gern. Die neue Bundesregierung ringt immer noch um eine gemeinsame Linie zu Russland und Nord Stream. Kanzler Scholz versucht, die Pipeline zu einem Nicht-Thema zu erklären und die Grünen zum Schweigen zu bringen.

Derweil geht die EU-Kommission auf Tauchstation. Mitten in der Ukraine-Krise hält sie eine Klausurtagung ab. Statt der üblichen, beschlußfähigen Kommissionssitzung werden Behördenchefin Ursula von der Leyen und ihre Kommissare am Mittwoch ein diskretes “Teambuilding” betreiben.

Wir sind dann mal weg, heißt das Motto in Brüssel. Ausgerechnet in der Woche der Wahrheit für die europäische Sicherheit ist die EU nicht sprech- und beschlußfähig. Ein “souveränes Europa” habe ich mir irgendwie anders vorgestellt…

Siehe auch Afghanistan, Indopazifik – und nun die Ukraine? Die Woche der Wahrheit

Die Watchlist

EU-Parlamentspräsident Sassoli ist tot. Der Sozialdemokrat starb in der Nacht auf Dienstag im Alter von 65 Jahren in einem Krankenhaus im norditalienischen Aviano, wie sein Sprecher mitteilte. Dort war er seit dem 26. Dezember wegen einer schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems behandelt worden. Die traurige Nachricht kommt wenige Tage vor dem Ende seiner Amtszeit. Am kommenden Dienstag soll Sassolis Nachfolgerin in Straßburg gewählt werden – doch der Tod könnte den Zeitplan durcheinander wirbeln…

Was fehlt

Die neue Regierung der Niederlande. Fast ein Jahr nach der Wahl wurde sie endlich vereidigt. Der Koalition gehören neben der rechtsliberalen VVD von Premier Rutte die linksliberale D66 und zwei christliche Parteien an, die zusammen eine knappe Mehrheit im Unterhaus haben. Im Oberhaus ist sie in der Minderheit. Die wichtigsten Kabinettsposten übernehmen erstmals genau so viele Frauen wie Männer. Für Rutte ist es die vierte Amtszeit als Ministerpräsident. Er will weniger streng sparen als bisher und sogar neue Atomkraftwerke bauen…