Nur den Schein wahren
Wie reagiert die “politische” EU-Kommission auf den umstrittenen Wahlsieg von Sultan Erdogan? Mit einem nichtssagenden Statement, das Ratlosigkeit verrät. Brüssel will auf die “Umsetzung” des Referendums warten.
Erst sollen die Wahlbeobachter eine Einschätzung abgeben, heißt es in der Stellungnahme von Kommissionschef Juncker. Dabei gehe es auch um die “Unregelmäßigkeiten”. Erst danach will Brüssel tätig werden:
The constitutional amendments, and especially their practical implementation, will be assessed in light of Turkey’s obligations as a European Union candidate country and as a member of the Council of Europe.
Zu gut deutsch: Brüssel spielt auf Zeit. Das Ende der türkischen Republik und die Machtergreifung Erdogans, die seine Kritiker als neuen Putsch bezeichnen, soll (noch) kein Verstoß gegen die EU-Regeln sein.
Deshalb ist auch (noch) kein Ende der Beitrittsverhandlungen zu erwarten. Brüssel und Berlin dürften sich weiter über das Europaparlament hinwegsetzen, das seit Dezember eine Unterbrechung fordert.
De facto läuft zwar nichts mehr zwischen der EU und der Türkei. Doch Juncker will wenigstens so lange den Schein wahren, bis Erdogan zum Angriff bläst. Früher nannte man das Appeasement…
Mehr zur Türkei hier
Ute
18. April 2017 @ 13:57
@Nemschak – “Realpolitik” wie eine Monstranz vor sich herzutragen verschleiert die realen Absichten der Mächtigen des Kapitals.
Was bei Ihnen nach nüchterner Politik klingt, kostet vielen Menschen das Leben.
Obwohl keine Papst-Anhängerin, stimme ich Jorge Mario Bergoglio zu, wenn er
sagt: Diese Wirtschaft tötet!
Für Sie @Peter Nemschak, ist das ja bloß “moralischer Treibsand”, in dem all die verrecken können, die in Ihrer sog. Realpolitik nicht vorkommen.
Empfehle Ihnen nochmals die Lektüre von Hannah Arendt über die ‘Banalität des Bösen’.
Peter Nemschak
18. April 2017 @ 02:19
@GS Stecken Sie nicht den Kopf in den moralischen Treibsand. Wir haben bereits heute intensive Wirtschaftsbeziehungen mit Staaten, die keine Demokratien nach unserem Standard sind, Pluralistische Demokratien stellen eine Minderheit in der globalen Staatenwelt dar. Zwischen der Türkei und der EU bestehen traditionell enge Wirtschaftsbeziehungen. Es gibt auch gemeinsame Interessen. Schließlich ist die Türkei ein relativ hoch entwickeltes Schwellenland. Im übrigen haben die Finanzmärkte bisher wesentlich gelassener auf die Entwicklungen in der Türkei reagiert als manche Politiker und aufgeregte Demokraten. Solange Investoren Rechtssicherheit genießen, werden sie auch in Zukunft in der Türkei investieren, Erdogan oder Mekka hin oder her. Niemand zwingt Sie, in der Türkei Ihren Urlaub zu verbringen.
bluecrystal7
17. April 2017 @ 23:43
Ja, also bis im Brüsseler EU-Raumschiff reagiert wird, vergeht noch sehr, sehr viel Zeit…
Wie immer halt. In Brüssel und Berlin setzte man doch schon immer auf Appeasement-Politik gegenüber der Türkei…
Klare Kante zeigen gibt’s nicht.
GS
17. April 2017 @ 20:58
Klare Kante. Die ist schon lange angebracht. Endlich mal Eier zeigen. Sind leider keine vorhanden. Nicht in Berlin, nicht in Paris und erst recht nicht in Brüssel.
kaush
17. April 2017 @ 16:16
Ich muss hier Peter Nemschak zustimmen. Zum einem hat sich die EU nicht in die Angelegenheiten eines anderen Staates einzumischen, zum anderem wäre es dumm, mit Schaum vor dem Mund und Schnappatmung Politik machen zu wollen.
Vor allem wenn die EU / Deutschland von der Türkei etwas will: Behaltet bloß die syrischen Flüchtlinge bei euch, wenigstens bis unsere Wahlen in EUropa gelaufen sind…
Interessanter finde ich für Deutschland: In allen Städten wo gewählt wurde, hat die Mehrheit mit “Ja” gestimmt. Minimal mit 50,1% (in Berlin) und maximal mit 75,9% (in Dortmund).
Und die Türkische Opposition hat auch in Deutschland kräftig Wahlkampf gemacht. Das war aber Ok. Nur bei der AKP war es das nicht.
So viel zu unserem demokratischen Verständnis.
ebo
17. April 2017 @ 19:12
@Kaush Natürlich soll und muss sich die EU in die türkischen Verhältnisse einmischen. Das nennt man Beitritts-Verhandlungen. Wer in den EU-Club eintreten möchte, muss sich an die dort herrschenden Regeln und Norman anpassen. De facto ist dieser Prozess aber seit Gezi-Park, spätestens aber seit dem gescheiterten Putsch beendet. Der Club namens EU will es nur nicht wahrhaben… denn das könnte wichtige Clubmitlieder wie Deutschland daran hindern, weiter mit dem Sultan zu mauscheln.
Peter Nemschak
17. April 2017 @ 19:57
Die EU wollte im Grunde von Anfang an, dass die Türkei nicht beitritt, die Türkei will es seit einiger Zeit nicht mehr. Hier kommen zwei Falschspieler zusammen. Was heißt mauscheln? Realpolitik, nicht lächerliche, von Moral triefende Bestrafung ist angesagt. Sie müssen ja Merkel nicht wählen und können trotzdem auf dem Boden der Realität bleiben. Die Türkei wird auch in Zukunft ein wichtiger strategischer und wirtschaftlicher Partner der EU bleiben. Daher sollte im Interesse der EU das Ziel eine privilegierte Partnerschaft sein. Die EU braucht aus sicherheitspolitischen Überlegungen Vorfeldstaaten wie die Türkei und die Ukraine sowie nordafrikanische Staaten im Zusammenhang mit der Sicherung ihrer Außengrenze..
GS
17. April 2017 @ 21:01
Das Gelaber kann ich nicht mehr hören. Vorfeldstaaten, blabla. Wollen wir gleich noch die Scharia und uns alle fünf mal am Tag gen Mekka werfen, damit wir unsere Vorfeldstaaten haben? Meine Güte, zeig doch mal Rückgrat und hör auf, ein Lurch zu sein.
bluecrystal7
17. April 2017 @ 23:52
Ja genau… War doch klar…
Die EU braucht „Vorfeldstaaten“, damit die Flüchtlinge ja nicht nach Europa kommen…
Peter Nemschak
17. April 2017 @ 13:42
@ebo nur keine Übertreibungen. Im Grunde braucht die EU die Bearbeitung der Beitrittskapitel für die Türkei bloß auf unbestimmte Zeit aussetzen.Die verschiedenen Politiker der EU werden noch genug Möglichkeit haben, je nach Temperament, ihren Unmut kund zu tun. Das wird aber nichts am Ausgang des Referendums ändern. Es bewahrheitet sich wieder einmal die Beobachtung, dass Demokratisierung ein zyklisches Phänomen ist. Derzeit befinden wir uns wieder in einer Gegenbewegung, nicht nur in der Türkei. Warten wir einmal ab, was die französischen Wahlen bringen werden.
ebo
17. April 2017 @ 12:58
@Nemschak Angriff auf Demokratie, Rechtsstaat, Meinungsfreiheit, Opposition… Hat alles schon stattgefunden! Angriff auf die EU, auf deutsche, niederländische, österreichische Politiker – verbal längst erfolgt. Aber offenbar reicht das (Ihnen) noch nicht?
Peter Nemschak
17. April 2017 @ 13:16
Ich sehe die internationalen Beziehungen emotionsloser als Sie und andere, welche glauben die Welt verändern zu können. Sollen wir uns in die Angelegenheiten eines souveränen Staates einmischen? Lassen wir doch das Missionarische bleiben und lernen aus den Erfahrungen der Vergangenheit. Die Türkei soll gehen wohin und mit wem sie will. Wir werden sie nicht aufhalten können sondern müssen versuchen, auch in Zukunft ein unseren Interessen dienliches zwischenstaatliches Verhältnis zu erreichen. Mehr Rationalität und weniger Emotionalität tut den internationalen Beziehungen gut.
ebo
17. April 2017 @ 13:28
Die EU muss sich sogar einmischen, denn die Türkei ist Beitrittskandidat. Damit hat sie sich zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, der gemeinsamen Aussenpolitik u.v.m verpflichtet.
Peter Nemschak
17. April 2017 @ 11:22
Angriff worauf? Spätestens die Einführung der Todesstrafe lässt der EU keine andere Wahl als den Kandidatenstatus der Türkei zu beenden oder so lange zu sistieren bis ein alternatives Arrangement ausgehandelt worden ist. Mittelfristig wird man, unabhängig davon, in welche politische Richtung die Türkei gehen wird, im Eigeninteresse der EU eine privilegierte Partnerschaft sinnvollerweise anstreben. Ähnliches gilt für die Ukraine und, modifiziert, auch für die nordafrikanischen Staaten. Die Erweiterungsphase der EU ist zum Ende gekommen. Nun gilt es, Sorge für ein zumindest nicht feindselig gesinntes Vorfeld zu tragen. Die wirtschaftliche Attraktivität der EU sollte dabei helfen. Die hohe Zustimmung für Erdogan bei der türkisch-stämmigen Bevölkerung in der EU sollte die Mitgliedsstaaten daran erinnern, dass der lokale Spracherwerb von Migranten nicht nur über den Grad an integration der jetzigen Zuwanderer sondern auch von deren Kinder- und Enkelgeneration entscheidet. Sprache ist die Voraussetzung für Bildung, damit berufliche Aufwärtsmobilität und mehrheitlich moderate politische Gesinnung.