TTIP: Gerupfte Demokratie

Das Europaparlament hat die Abstimmung zu TTIP verschoben, sogar die Debatte wurde überraschend abgeblasen. Was ist davon zu halten? Ein Kommentar.

Es sollte eine Sternstunde des Europaparlaments werden. Wochenlang hatten sich die EU-Abgeordneten mit dem heftig umstrittenen transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP befasst, am Mittwoch war eine große Aussprache im Plenum und dann die finale Abstimmung geplant.

Doch die Demokratie hatte keine Chance an diesem schwarzen Tag in Straßburg. Erst blies Parlamentspräsident Martin Schulz die Abstimmung ab, dann wurde auch noch die Debatte abgewürgt. Es kam zu Tumulten, TTIP-Kritiker wurden wahlweise als links- oder rechtsradikal abgekanzelt.

Vordergründig kreist der Streit vor allem um den Schutz ausländischer Anleger durch private Schiedsgerichte, das so genannte ISDS. Die Sozialdemokraten wollten klarstellen, dass sie gegen eine Paralleljustiz für große Konzerne sind. Das wollten Konservative und Liberale nicht mitmachen.

In Wahrheit kam es aber vor allem deshalb zum Eklat, weil Präsident Schulz der EU-Kommission und der Bundesregierung den Rücken freihalten und „seine“ große Koalition im Parlament retten wollte. Mit einem Verfahrenstrick („zu viele Änderungsanträge“) hat er die Demokratie in Straßburg ausgehebelt.

Schulz hat damit einmal mehr seine Macht missbraucht. Schon beim Streit um den LuxLeaks-Skandal stellte er sich schützend vor Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – und verhinderte mit juristischen Kniffen, dass ein Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde. Den Abgeordneten wurden so die Hände gebunden.

Nun intervenierte der SPD-Mann, um die wichtigste  Abstimmung dieses Jahres zu verhindern. Mit seinem Votum hätte das Parlament eine klare Linie bei den Verhandlungen mit den USA vorgeben können. Doch das passte offenbar nicht in die Agenda eines Politikers, der immer wieder dafür sorgt, dass alles im Sinne von Obergenosse Sigmar Gabriel und Kanzlerin Angela Merkel in Berlin läuft.

Erst vor wenigen Wochen ließ sich Schulz in Aachen mit dem Karlspreis für seine Verdienste um die europäische Einigung ehren. Nun steht er als Gralshüter einer großen Koalition da, die die Demokratie bei unbequemen Themen aushebelt. Ein Trauerspiel.

Bleibt zu hoffen, dass sich die Sozialdemokraten in Europa keinen Maulkorb anlegen lassen – und TTIP und ISDS wieder auf die Tagesordnung setzen. Denn die große Gefahr ist nun, dass das wohl wichtigste Thema dieser Legislatur auf den Sankt-Nimmerleinstag vertagt wird.