Tristesse im Troika-Muster-Land
Portugal gilt als Beispiel für eine gelungene Euro-“Rettung”. Doch die Realität sieht anders aus. Vor den Wahlen im Herbst herrscht selbst in der Touristik-Hochburg der Algarve wirtschaftliche und soziale Tristesse.
Zwei Wochen war ich in der Region um Lagos unterwegs. Gleich zu Beginn fiel mir die menschenleere Autobahn auf – die von der Troika eingeführte Maut-Gebühr können nur reiche Touristen zahlen!
In den Restaurants an der Küste herrscht zwar Hochbetrieb. Doch schon im Hinterland bietet sich ein anderes Bild. Die neue Mehrwertsteuer von 23 Prozent macht ein Essen für Einheimische zu teuer.
Nachfrage in der Quinta, die uns beherbergt: Das Haus ist nur in der kurzen Hochsaison ausgebucht, die Krise hat tiefe Spuren hinterlassen. Allein vom Tourismus lebt kaum noch jemand an der Algarve.
Selbst die für Touristen bestimmte lokale Presse zeichnet ein Bild der Tristesse. “20 Jahre Arbeitslosen-Misere erwarten Portugal”, meldet der “Algarve resident” mit Verweis auf einen neuen IWF-Bericht.
“Der Lebensstandard fällt auf das Niveau der 90er Jahre”, warnt “The Portugal News”. Schuld daran seien auch die Steuern, die unter dem Troika-Regime auf einen traurigen EU-Rekord angehoben wurden.
Die Mehreinnahmen dienen natürlich vor allem dazu, die “Hilfs”-Kredite abzutragen. Deshalb sind die Gläubiger zufrieden. Die Portugiesen hingegen erwartet ein heißer Herbst, die Wahl wird spannend…
photo credit: Portimao setting sun via photopin (license)
Andres Müller
12. August 2015 @ 13:19
In Portugal kam es mit 15548 verkauften PKW ( http://www.acap.pt/site/uploads/noticias/documentos/2842BA92-23310_1.pdf ) zu einer gewissen Erholung in diesem Sektor, wobei solche gegenüber den doppelt so hohen Hochs immer noch erschreckend tiefen Zahlen, die bereits in den 80er Jahren des letzten Jahrhundert erreicht wurden. In Griechenland wurden jetzt 5215 PKW -Zulassungen im Juli vermeldet, ( GR hat 500’000 mehr Einwohner als die 10.5 Millionen in Portugal . Das bedeutet dass in Griechenland derzeit ca. 95% der Bürger langfristig kein (neues) Auto kaufen können, in Portugal sind etwas weniger also ca. 85% dazu nicht in der Lage.
Mit Blick auf andere Wirtschaftssektoren kann ich Portugal nur mässig besseren Ausblick als den Griechen zugestehen -aber doch etwas besser. Das (offizielle) BIP der Portugiesen scheint sich 2015 bisher zwar nicht sehr positiv zu bewegen, allerdings wird geschätzt das über 20% des BIP über Schattenwirtschaft läuft. Der Leidensdruck der Bevölkerung wegen der Sparmassnahmen dürfte angesichts der leicht besseren Situation (als zwischen 2007-12) eher noch zu keinem “Systemwechsel” durch Wahlen führen, zumal man jetzt gesehen hat das Politiker wie Tsipras nach kurzer Zeit unter Druck verheerend heftig zurück buchstabieren und die Wahlversprechen sich mehr als nur in Luft auflösen.
winston
11. August 2015 @ 11:14
“In Spanien funktioniert die Austerität nicht.
Da werden Statistiken gefälscht”.
Spanien ist grösster Schuldner Deutschlands, da geht man sehr zimperlich mit um.
Spanischer Staatshaushalt:
http://de.tradingeconomics.com/spain/government-budget
Spanien überzog die 3% Defizitgrenze permanent in den letzten 5 Jahren und das massiv. Aus den Austeritäts und Regel Polizisten der CDU hörte man kein Wort, schweigen im Walde. Frankreich überzog dieses Jahre die Defizitobergrenze um 1.1%. Die CDU schoss danach aus vollen Rohren gegen die Franzosen 2-3 Wochen lang, das ganze gewürzt mit einer medialen Schmutzkampanie gegen Frankreich die schon fast an die “Stürmer” Zeiten erinnert.
GS
10. August 2015 @ 23:57
@ebo
Die französischen Autobahnen sind auch leer. Hab Dich hier noch nie dagegen wettern sehen.
ebo
11. August 2015 @ 08:43
Schon mal was von journée noire gehört? Dann würdest du nicht so einen Quatsch schreiben!
Peter Nemschak
10. August 2015 @ 21:41
@alle Unzufriedenen: Tun Sie was dagegen!
winston
10. August 2015 @ 20:42
K. Rogoff ist ein Dummkopf oder bezahlter Spin Doktor.
Die Krise wurde NICHT von den Staatsschulden verursacht, wie Rogoff behauptet(e), (die berühmt berüchtigte Excel Tabelle). Spanien und Irland hatten wesentlich tiefere Staatsschulden als Deutschland, sondern wegen den Auslandsschulden.
Das ist bei den seriösen Wirtschaftswissenschaftler schon längst Mainstream. Selbst bei Institutionen wie IWF, Eurostat, EZB ist das angekommen. Rogoff heizte die Krise durch diesen Schwachsinn massiv an. Er kam vor allem bei Merkel gut an, was nicht verwundert.
@ Oxigen
Das schweigen und die völlige Gleichgültigkeit der europäischen Politiker, angesichts der dramatischen Jungenarbeitslosigkeit und der humanitären Katastrophe in Südeuropa ist nur noch beschämend und erschreckend zugleich. Das ist der Grund meiner Wut ggü. den Linken. Die Linken müssten eigentlich die ersten sein die Aufschreien angesichts dieser Zustände. Hier wären vor allem Renzi und Holland samt ihren Fin. Min. gefordert aber was machen sie, sie Loben Mutti Merkel und das Deutsche Modell (Agenda 2010) in höchsten tönen. Wobei Das Deutsche Modell ist auf die gesamte EZ nicht anwendbar, pure Logik. Manchmal kommt sich vor wie in einem Horrorfilm von John Carpenter wenn man sich die Zustände in der EZ anschaut.
OXIgen
10. August 2015 @ 23:25
@winston
Ja, winston, die Zustände in Europa können einen in Rage bringen. Vor allem die Mutti mit der Pickelhaube kann einen das Fürchten lehren. Soviel Brutalität und Kaltschnäuzigkeit macht mich fassungslos.
Wenn Sie Hollande und Renzi als Linke bezeichnen, dann muss ich Ihnen leider widersprechen. Das sind Sozialdemokraten und damit genau so bis zur Unkenntlichkeit neoliberalisiert wie beispielsweise Gabriel. Von diesen Pharisäern ist kein Widerstand zu erwarten. Erinnern Sie sich noch daran, wie fix Hollande seine Wahlversprechen gebrochen hatte? Mit ihm gäbe es keinen von Merkel diktierten Fiskalpakt, tönte er vor der Wahl. Knapp eine Woche nach seinem Einzug in den Elysée unterschrieb er. Nur ein Beispiel von vielen. Mit den europäischen Sozialdemokraten kann man nicht mehr rechnen, von denen kommt kein Aufschrei, die kuscheln lieber mit den Folterknechten.
Ich fürchte, dass auch die kommenden Wahlen in Portugal und Spanien, evtl. Neuwahlen in Griechenland, nichts ändern werden.
OXIgen
10. August 2015 @ 18:38
Wohin der Desasterkapitalismus in Europa und sonstwo auf der Welt geführt hat und weiterhin führt, interessiert einen Herrn Nemschak einfach nicht.
Jugendarbeitslosigkeit von über 50% in den Südländern? Kein Problem, sollen sie doch in AMAZONien arbeiten oder bei McCall, da findet sich sicher ein günstiges Arbeitsplätzchen.
Hungrige Rentner? Also bitte, wozu gibt es schließlich Millionen von Armen? Die können den ganz bitter Armen ja ein wenig unter die Arme greifen. Europa ist schließlich solidarisch.
Kranke ohne Medikamente? Bedauerlich aber unvermeidbar, denn im neuen europäischen Wohlfahrtsmodell ist dafür leider kein Budget vorgesehen. Keine Leistung ohne Gegenleistung. Außerdem kommt ein sozialverträgliches Ableben schließlich allen zugute.
Die Liste ließe sich schier endlos fortsetzen, aber dafür reicht selbst mein Vorrat an Sarkasmus nicht aus.
Egal mit welchen Floskeln (wie z.B. Strukturanpasssung) die Nemschaks dieser Welt die nackten Tatsachen verdrehen wollen, sie bleiben Tatsachen. Egal welche ökonomischen Theorien man herbei zitiert, welche angeblichen Fachleute man vorschickt: das Resultat der brutalen Austeritätsdiktate in den Programmländern ist die Verelendung von Millionen Europäern. Und das kann und darf nicht das Europa sein, von dem wir einmal geträumt haben.
Die Tristesse muss ein Ende haben.