Tödlicher Stillstand, Mordplan gegen Assange – und eine wunderliche Erklärung
Die Watchlist EUropa vom 30. September 2021 –
Erinnern Sie sich noch an die “europäische Lösung” in der Flüchtlingspolitik, die Kanzlerin Merkel 2015 versprochen hat? Sechs Jahre später ist sie weiter entfernt denn je. Dies mußte nun auch die EU-Kommission einräumen. Merkels Parteifreundin von der Leyen hatte vor einem Jahr einen neuen Migrationspakt vorgelegt – doch nichts bewegt.
Kein einziger EU-Staat hat sich den Vorschlag zu eigen gemacht, auch Deutschland nicht. Man habe “nur quälend langsame Fortschritte erzielt”, beklagt sich von der Leyen.
“Es ist, als hätte man einen Fallschirm zur Hand, aber beschließt, es allein auf gut Glück zu versuchen”, sagte Vizepräsident Schinas. Der konservative Grieche will aber nicht aufgeben.
Im Gegenteil: Nun lockt er die EU-Staaten mit noch mehr Härte. Abschiebungen sollen erleichtert, der Kampf gegen “Menschenschmuggler” weiter verschärft werden.
Härter gegen Schwarzarbeit
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Außerdem will die Brüsseler Behörde schärfer gegen Schwarzarbeit vorgehen. Das sei nämlich ein “Pullfaktor”, sagte Innenkommissarin Johansson.
Besonders viele illegal Beschäftigte gebe es auf dem Bau, in der Landwirtschaft oder im Reinigungsgewerbe. Dagegen will Brüssel vorgehen – dabei werden die Leute dringend gebraucht!
Nicht so eilig hat es die EU-Kommission dagegen mit der Hilfe für Asylbewerber in Polen und im Baltikum. Dort gibt es eine neue Flüchtlingskrise, weil Belarus immer mehr Migranten über die Grenze schickt.
Zum Drama wird das Ganze aber vor allem deshalb, weil Polen illegale Push-Backs einsetzt und dabei sogar Tote in Kauf nimmt, wie “Amnesty International” anprangern. Einige Migranten sind schon gestorben.
Kein Wort zu toten Flüchtlingen
Doch zu den unhaltbaren Zuständen in der neuen polnischen “Sicherheitszone” an der europäischen Ostgrenze sagt die “Hüterin der EU-Verträge” nichts.
Angesprochen auf das Leid der im Grenzgebiet gestrandeten Menschen, erklärte Schinas lediglich, Europa werde immer Zufluchtsort für Flüchtlinge bleiben.
Auf der anderen Seite müsse man aber das “Geschäftsmodell” der Schmuggler brechen. Ein Wort des Bedauerns über die Toten an der EU-Aussengrenze suchte man vergebens…
P.S. Siehe auch meinen taz-Artikel zu der Lage an der polnischen Grenze: “Brüsseler Balance” sowie “Europas Tote” im “Spiegel”
Watchlist
Wird die EU bei ihren Handelsgesprächen mit den USA auch den Fall Assange ansprechen? Die CIA hatte, wie erst jetzt bekannt wurde, die Ermordung des “Wikileaks”-Gründers erwogen. Die EU hingegen setzt sich für den Schutz von Whistleblowern ein – jedenfalls theoretisch. Zu Assange hat sie noch nie ein Wort verloren – wohl aus Rücksicht auf den großen Bruder. Die Handelsgespräche in Pittsburgh gehen am Donnerstag weiter.
It has now become impossible to ignore that the #Assange case is not about the law, but about intimidating journalism, suppressing press freedom & protecting impunity.
— Nils Melzer (@NilsMelzer) September 28, 2021
This we have to fight against & ‘we’ means literally everybody – because the public deserves to know the truth! https://t.co/d10NbrR2SP pic.twitter.com/YlNmOi2DfX
Was fehlt
Die wunderliche Erklärung für den schwindelerrenden Anstieg der Energiepreise. Die hohen Strom- und Gaspreise sind nach Ansicht von EU-Kommissar Sefcovic “hauptsächlich” auf eine gestiegene Nachfrage nach der Corona-Pandemie zurückzuführen. Hinzu komme eine “ungewöhnliche” Unterversorgung. Die Spekulation an den Börsen erwähnte der Kommissar ebenso wenig wie den Emissionshandel, der die Preise treibt…