Sozialabbau ist auch eine Option
Man habe auch an die Wahl in Frankreich gedacht, sagte EU-Kommissarin Thyssen bei Vorstellung ihrer neuen “sozialen Säule” für die EU. Hoffentlich lesen die Franzosen den Vorschlag nicht – denn er enthält auch Sozialabbau.
Genau genommen enthält er drei Optionen: Die EU-27 vertiefen die “soziale Dimension gemeinsam”, “wer mehr tun will, tut mehr” – und die dritte, neoliberale, die aber gleich an erster Stelle steht.
“Begrenzung der sozialen Dimension auf den freien Personenverkehr”, heißt die Überschrift, mit der Kommissionsvize Dombrovskis offenbar um Osteuropäer und Ordnungspolitiker werben will.
Demnach könnten die Vorschriften fürs Arbeiten im EU-Ausland beibehalten, die EU-Mindestnormen für Arbeitnehmer aber abgeschafft werden. Sozialabbau ist also auch eine Option!
Damit hält sich Brüssel auch für den Fall bereit, dass CDU/CSU und FDP im Herbst die Macht in Berlin übernehmen sollten. Für Frankreich hingegen enthält das Papier keine Zückerchen…
Siehe auch: “Dieser soziale Pfeiler ist ein Witz”
Olli
27. April 2017 @ 11:27
Komischerweise heisst es immer nur SozialABBAU, aber niemals VermögensABBAU.
Wenn man eine Waage ungleich belastet, dann kippt sie, und je mehr man auf der einen Seite draufsattelt oder wegnimmt umso schneller schiesst oder fällt das Gegengewicht nach oben oder unten unten.
So ist das nun mal. Da braucht man kein “Sozialpolitiker zu sein um DAS zu erklären.
Peter Nemschak
26. April 2017 @ 15:34
Hier werden wieder einmal sehr tendenziös Dinge durcheinander gebracht. Jedes Mitgliedsland kann in einem demokratischen Prozess entscheiden, wie viel Sozialstaat es haben will und die dafür erforderlichen Steuern und Abgaben beschließen. Nachdem es keinen politischen Markt (=echte europäische Parteien und Regierung) innerhalb der EU gibt, muss sich die EU auf allgemeine Prinzipien (Recht auf Teilzeit, Recht auf Bildungskarenz etc.) beschränken. Sonst ergeben sich Widersprüche zwischen dem innerstaatlichen und dem transnationalen Entscheidungsprozess. Nicht alle Mitgliedsstaaten wollen ein hohes Maß an Sozialstaat, verknüpft mit hohen Steuern und umgekehrt. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass der transnationale Umverteilungsprozess am Widerstand der reichen Staaten scheitert. Das muss man zur Kenntnis nehmen. Es zeigt sich, dass jene Gruppen und Staaten nach einem europäischen Bundesstaat rufen, die sich netto Transferzahlungen erwarten.Das hat mit Sozialabbau nichts zu tun. Es muss vermieden werden, dass Personen die Personenfreizügigkeit dahingehend missbrauchen, dass sie in einem Land wenig Steuern und Sozialabgaben zahlen, dafür aber in einem anderen Land hohe Sozialleistungen beanspruchen. EU-Vorschläge müssen an diesem Kriterium gemessen werden.
hintermbusch
26. April 2017 @ 16:11
Es ist richtig, dass sich hier Widersprüche ergeben. Das ist exakt die Mechanik, die überall in Europa den Rechtspopulismus befeuert. Die Mechanik wird durch den ultraliberalen EU-Rahmen und die nationalstaatliche Souveranität im Verbund produziert.
Wenn die EU-Kommission diese Widersprüche nur durch ein Rennen um die niedrigsten Sozialstandards auflösen lassen will, darf sie sich nicht wundern, wenn sich umgekehrt Kräfte formieren, die eher der Personenfreizügigkeit und damit der EU selbst ans Leder wollen. Auch Sie sollten erklären, warum Sie den Parameterraum so extrem einengen und damit die zerstörerische Mechanik schützen wollen.
Ich will gar nicht Partei für eine Richtung (zurück zu mehr Nationalstaat oder vorwärts zu mehr europäischer Integration) ergreifen. Nur eines muss jedem klar sein: der aktuelle Rahmen ist selbstzerstörerisch und kann nicht erhalten werden. Der Weg nach vorne ist unbekannt, der Weg zurück erweckt zumindest den Anschein, bekannt zu sein. Das ist das europäische Dilemma, aus dem wir durch undemokratischen Zwang jedenfalls nicht herauskommen können. Ein Absturz ist aber eine reale Möglichkeit.
Peter Nemschak
26. April 2017 @ 17:04
Die sozialstaatlichen Forderungen müssen an den Nationalstaat gerichtet werden. Das muss entsprechend kommuniziert werden. Derzeit wird die EU für alles und jedes verantwortlich gemacht. Die Verantwortung tragen primär die nationalen Politiker, welche die EU pauschal beschuldigen, und damit den Rechtspopulisten ein Einfallstor liefern. Wie die sozialstaatlichen Leistungen seriös zu finanzieren sind, sind alle Kandidaten bisher schuldig geblieben. Was das UK betrifft, waren nicht die wenig grandiosen sozialstaatlichen Leistungen im UK für den BREXIT ausschlaggebend. Das Gefühl von Abgehängtsein, was zum Teil den Zulauf zu den Rechtsextremen erklärt, lässt sich mit mangelnden Sozialleistungen in der EU nicht erklären.
Reinard
26. April 2017 @ 14:35
Wenn Sozialabbau nur eine Option wäre, wäre das ja schon fast beruhigend. Es ist die einzige.
Andres Mueller
26. April 2017 @ 15:11
“Es ist die einzige….”
Nicht für die Franzosen, diese Option heisst für Frankreich Le Pen.
Die Kandidatin will (im Gegensatz zur Konkurrenz) keinen Sozialabbau verordnen.
Es ist gruselig, wer in Frankreich alleine anhand der Wahlverspechen der Kandidaten wählt und keinen Sozialabbau wünscht, der kann nicht für Macron wählen und muss für den FN die Stimme einwerfen.
Diese Sachlage zeigt alleine schon die verfahrene Lage in die sich Europa hinein manövriert hat.
Peter Nemschak
26. April 2017 @ 15:51
Üblicherweise haben Kandidaten der extremen Rechten eher ein wirtschaftsliberales Programm.