Sie hatten es versprochen – Die EU-Favoriten verlieren
Am Freitag sollte Großbritannien aus der EU austreten, am Sonntag sollte die Sommerzeit enden. Doch weder London noch Brüssel haben sich an die Versprechen gehalten. Für eine Überraschung sorgen auch die Wahlen in der Slowakei und in der Ukraine.
Sieben Wochen vor der Europawahl sieht es nicht gut aus um die EU-Bilanz. Die Union hat mehrere zentrale Versprechen gebrochen und steht jetzt ziemlich “blank” da. Hier eine Übersicht:
- Die Briten ziehen lassen. Normalerweise sollte der Brexit am 29. März über die Bühne gehen. Doch weil der EU-Austrittsvertrag keine Mehrheit im britischen Unterhaus findet, spielen Brüssel und London nun auf Zeit. Wenn nicht alle täuscht, wird Großbritannien nun sogar an der Europawahl teilnehmen – ein Szenario, das noch vor ein paar Wochen als undenkbar galt (und als unvereinbar mit dem “Neustart” der EU).
- Ein letztes Mal an der Uhr drehen. Am Sonntag sollte Schluß sein – so hatte es EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker versprochen. Eine dubiose Online-Befragung und eine populistische “Bürgernähe” verführten ihn zu der Aussage, rechtzeitig vor der Europawahl sei Schluß mit der ungeliebten Zeitumstellung. In Wahrheit werden wir wohl noch dreimal an der Uhr drehen, erst 2021 soll Schluß sein.
- Den Euro krisenfest machen. Auch das hat Juncker versprochen. “Man muß das Dach decken, wenn die Sonne scheint”, tönte er 2017. Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron stimmte ein – und legte eine ganz neue Euro-Vision vor, sogar demokratisch sollte die Währungsunion werden. Doch Deutschland stellte sich taub, die Niederlande legten sich quer. Ergebnis: Alle Versprechen wurden gebrochen, nur die EZB handelt.
- Den Grenzschutz massiv ausbauen. 10.000 Grenzschützer bis 2020 hat Juncker versprochen. Nun dauert es mindestens 7 Jahre länger, wenn die Zahl überhaupt erreicht wird. Denn fast alle EU-Staaten legen sich quer, Deutschland eingeschlossen. Doch ohne Grenzschutz kann auch Schengen nicht richtig funktionieren – die Grenzkontrollen gehen also weiter. Schlimmer noch: Wenn sich 2015 wiederholt, ist die EU nicht vorbereitet…
- Trump die Stirn bieten. Noch so ein leeres Versprechen. Man werde nicht mit vorgehaltener Pistole mit dem US-Präsidenten verhandeln, tönten die EUropäer noch vor einem Jahr. Nun tun sie es doch, sogar mit zwei vorgehaltenen Pistolen (Aluminium- und Stahlzölle plus die Drohung mit Strafzöllen auf Autos). Auch außenpolitisch knickt die EU ein (Iran), oder man läuft Trump hinterher (Venezuela). Mehr hier
Watchlist
- Muß das strenge EU-Wettbewerbsrecht gelockert werden, um “Europäische Champions” möglich zu machen? Darüber diskutieren Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier und Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager am Montagabend in Brüssel. Es wird wohl eine Wahlkampf-Veranstaltung – denn Vestager tritt im Rennen um die Nachfolge von Kommissionschef Juncker an, Altmaier steht zu Manfred Weber (CSU).
Was fehlt
- Die Präsidentschaftswahl in der Slowakei. Die liberale Anwältin und Bürgerrechtlerin Zuzana Caputova setzte sich in der Stichwahl mit deutlichem Vorsprung gegen den Regierungskandidaten Maros Sefcovic durch. Sefcovic ist (freigesteller) EU-Kommissar und gehört somit zum Brüsseler Establishment. Doch er konnte sich ebenso wenig durchsetzen wie der EU-Favorit in der Ukraine, Pedro Poroschenko – der muß in die Stichwahl.
Mehr zur Wahl in der Ukraine hier
Kleopatra
1. April 2019 @ 08:31
Die Kommission ist (mindestens) zur Hälfte eine Staatenkammer und daher ist ein Kommissar vor allem ein von der Regierung seines Landes nominierter Politiker; d.h. ein Mensch, der zum Zeitpunkt der Ernennung das Vertrauen der Regierung seines Landes genoss. Im Fall Šefčovič bedeutet das die Regierung Fico, die vor einiger Zeit gestürzt ist. In der Slowakei dürfte daher Šefčovič weniger als “Vertreter des Brüssler Establishments” als als “Fico-Mann” gelten, was wohl nicht unbedingt eine Empfehlung war. Nichtsdestoweniger kann man natürlich sagen, dass offenbar ein EU-Amt einen Kandidaten nicht zusätzlich attraktiv zu machen scheint.
Trotzdem sollte man solche Wahlergebnisse nicht jedesmal als “Niederlage des EU-Favoriten” interpretieren und damit überbewerten. Es kann nun einmal kaum passieren, dass beide Kandidaten für ein Amt ein wichtiges EU-Amt haben (Kommissare können sie eh nicht beide gleichzeitig sein). Wäre nach der obigen Logik nicht auch das Ergebnis der Bundestagswahl 2017 als katastrophale Niederlage des EU-Favoriten (Schulz) zu werten?
ebo
1. April 2019 @ 09:40
Gute Frage. Sie ist allerdings leicht zu beantworten: Bei der Bundestagswahl war Merkel die EU-Favoritin, Schulz war der Außenseiter, den selbst in Brüssel kaum (noch) einer wollte.
Kleopatra
2. April 2019 @ 09:47
Außer Ihnen singt die ganze deutschsprachige Presse Frau Čaputová Lobeshymnen als einer angeblichen Vertreterin europäischer Werte. Unter dem macht ein Kommentator es offenbar nicht, jede Wahl in einem anderen Land ist offenbar eine Stellungnahme pro oder contra EU. Vielleicht ist aber den Wählern die EU gar nicht so wichtig?
ebo
2. April 2019 @ 10:21
Ja, sie wird zur Hoffnungsträgerin erklärt. Das ist sie wohl auch – aber bei einer Wahlbeteiligung von unter 50 Prozent trägt das nicht weit, fürchte ich. Und wie gesagt, in der Stichwahl hat sie sich nicht gegen einen finsteren Nationalisten durchgesetzt, sondern gegen einen Politiker aus dem EU-Estabilshment 🙂
Kleopatra
3. April 2019 @ 07:48
Etwas über 40% Wahlbeteiligung sind nicht sehr beeindruckend. Aber im Vergleich mit den in der Slowakei üblicher Wahlbeteiligungen bei Europawahlen von zuletzt 13% ist es geradezu akzeptabel.