Schon wieder im Krisenmodus
Die EU kommt nicht aus dem Krisenmodus. Drei Jahre nach dem Schuldendrama um Griechenland und der Flüchtlingskrise gibt es einen neuen Notfall: den Brexit. London bereitet seine Bürger nun auf einen ungeordneten Austritt vor.
Die britische Regierung hat am Donnerstag in 25 “technical notes” die Folgen eines ungeordneten Austritts aus der Europäischen Union dargelegt. In den kommenden Wochen sollen etwa 55 weitere folgen.
Damit sollen sich Unternehmen und Bürger darauf vorbereiten, wenn die EU und Großbritannien bis zum vereinbarten Austrittsdatum am 29. März 2019 kein Brexit-Abkommen vereinbart haben.
Dass es so weit komme, sei sehr unwahrscheinlich, sagte Brexit-Minister Raab. Vorsichtshalber gab er aber schon mal der EU die Schuld. Ein “No deal”-Szenario hätte allein Brüssel zu verantworten.
Tatsächlich hat die EU bisher nicht viel dafür getan, um den Notfall zu vermeiden. Alle Vorschläge von Premierministerin May und ihrem Ex-Minister Davis wurden abgeblockt. Auch Raab ergeht es nicht besser.
Als er am Dienstag in Brüssel war, lehnte es EU-Verhandlungsfüher Barnier sogar ab, über die britischen Vorschläge für eine privilegierte Freihandelszone zu reden. Barnier beharrt auf seiner Agenda.
Bisher ist geplant, dass der Scheidungsvertrag bis zum EU-Gipfel Mitte Oktober steht. Dann bliebe noch genug Zeit, den Vertrag durch das Europaparlament und die nationalen Parlamente ratifizieren zu lassen.
Doch an dieses Szenario glaubt kaum noch jemand. Auch wegen des Parteitags der zerstrittenen Konservativen Partei vom 30.9. bis 3.10. gilt eine Einigung bis Mitte Oktober als kaum noch machbar.
EU-Diplomaten stellen sich daher schon auf einen Sondergipfel im November ein. Dort könnte es dann zum „Showdown“ kommen. Ohne Drama geht es offenbar nicht…
Siehe auch “Sogar der Austritt kann scheitern” und “Gefangen im Binnenmarkt”
G. Predl
25. August 2018 @ 08:57
Das Haupt-Problem zwischen Brüssel und GB sind eben NICHT handelspolitische Probleme!
Das Problem ist, dass GB nach dem Brexit die 3,5 Mio in GB aufhältigen EU-Ausländer rauswerfen will. Nicht sofort, sondern je nach Entbehrlichkeit, Lust und Laune früher oder später. Wie’s halt gefällt. Ist ja klar, dass diese 3,5 Millionen Menschen (und ihre Familien) dann bei europ. Arbeits- und Sozial-Ämtern Schlange stehen werden, Unterkunft benötigen werden. Auf ein Jahr gerechnet sind das, wenn man pro Person und Monat 1000 Euro ansetzt, 42 Mrd Euro!!
Der letzte Brexit-Vorschlag der Briten enthielt wieder nix Neues: voller Freihandel mit Europa bei gleichzeitigem Rauswurf der bösen, bösen EU-Ausländer! Brüssel weist immer wieder darauf hin, dass freier Warenverkehr mit freiem Personenverkehr Hand in Hand gehen müsse. Was die Briten nicht verstehen wollen, schließlich gründet sich der ganze Brexit auf dem stillen Versprechen den älteren Briten gegenüber, diese lästigen Ausländer loszuwerden. Überraschung: die den älteren Briten so lästigen Muslime und Afrikaner aus den ehem. Kolonien und Mandatsgebieten werden bleiben!
Jeden Tag stehen rund 10.000 LKW mit Waren für GB zur Überquerung des Ärmelkanals an! Wenn nur jeder dieser LKW 5 Minuten mehr für die Abfertigung benötigt … das ist der Grund, warum die Briten sich auf Versorgungsengpässe einstellen müssen. Diese 50.000 zusätzlichen Minuten müssten mit etwa 100 zusätzlichen – arbeitenden! – brit. Beamten abgefangen werden, was etwa 150 neu einzustellende und auf dzt. noch unbekannte gesetzliche Umstände einzuschulende Personen bedeutet.
Peter Nemschak
24. August 2018 @ 14:45
@Claus und Soltau Was heißt Bestrafung oder Drohung? Menschen reagieren nun einmal auf finanzielle Anreize, seien sie positiv oder negativ. Auch die nationale Steuerpolitik bedient sich dieser Mechanismen, und niemand findet dabei etwas Verwerfliches. Rückgewinn an Souveränität geht von der durch nichts begründeten Hoffnung aus, dass die eigene Bürokratie um so vieles besser sei als jene in Brüssel. Auch ist keineswegs garantiert, dass nationale politische Entscheidungen besser als supranationale sind. Woran wollen Sie das messen?
Georg Soltau
24. August 2018 @ 17:34
@Nemschak erst reden Sie von “spürbaren Nachteilen” jetzt von “finanziellen Anreizen”
als ob Nachteile oder Vorteile immer nur mit Finanziellem zu tun haben. Es gibt auch andere Größen zum Messen! …übrigens sind Anreize nicht immer positiv?
Peter Nemschak
26. August 2018 @ 09:22
Vor- und Nachteile haben selbstverständlich, zumindest in der Anfangsphase der Diskussion, auch mit anderen als finanziellen Überlegungen zu tun. Nur, wenn es dann ans Zahlen geht, treten finanzielle Erwägungen wieder in den Vordergrund. Menschen, zumindest in unserem kulturellen Umfeld, reagieren nun einmal stark auf positive und negative finanzielle Anreize, weshalb letztere vor Wahlen tunlichst von den Politikern vermieden werden.
Claus
24. August 2018 @ 18:00
. . . ob supranationale Entscheidungen besser sind als nationale, könnte man zum Beispiel daran messen, dass letztere direkter und schneller vom Souverän zu korrigieren sind, falls sie falsch sind. Und in der Tat reagieren Menschen auf finanzielle Anreize. Sie merken nämlich auch, wenn ihre Sparbücher und Lebensversicherungen durch EZB-Nullzinspolitik still und heimlich geplündert werden, und ihr Vermögen schrumpft, bzw. nach Süden verschoben wird, weil Draghi & Co. ihre mediterran engagierten Bankenfreunde retten wollen. Und weil die Leute diese Zusammenhänge zunehmend verstehen, sogar Abgründe wie Target II, wählen sie nicht mehr so wie die Eliten sich das vorstellen. Womit wir auch wieder bei Michel Barnier und seinen Ausfällen wären.
Claus
24. August 2018 @ 11:22
Das Problem der EU und der wachsenden Abneigung gegen sie repräsentiert Michel Barnier in perfekter Weise. Fast noch im zarten Knabenalter aber bereits fest im französischen Politikbetrieb verwurzelt und bestens von ihm alimentiert erscheint er in seinem Verhalten gegenüber England wie der fleischgewordene EU-Verdruss. Niemals wertschöpfend gearbeitet weiß er vermutlich auch nicht, wie es im normalen Arbeitsleben so funktioniert, und anscheinend schon garnicht, dass es in Zeiten vor der Machtübernahme der Brüsseler EU-Kamarilla einen bestens funktionierenden Handel zwischen den europäischen Ländern gab, ohne dass man dafür ein Schutzgeld nach Brüssel überweisen mussten.
England wird seinen Weg in die Unabhängigkeit machen – mit oder ohne Barnier.
PS: Michel Barnier ist übrigens der Mann, der als Lobbyist französischer Sprudel-Firmen die europäische Trinkwasserversorgung der profitmaximierten Privatisierung zuführen wollte. Als es hier ungemütlich wurde, zog er recht flott den Schwanz ein.
Peter Nemschak
24. August 2018 @ 12:49
Der Austritt aus der EU muss für das austretende Land verglichen mit einem Verbleib spürbare Nachteile haben. Sonst steht morgen der nächste Austrittswillige vor der Tür.
Claus
24. August 2018 @ 13:54
@Peter Nemschak: Nein, es MUSS für das austretende Land nicht nur Nachteile haben, in Bezug auf den Handel mit den Rest-EU-Ländern könnte man allenfalls über den Wegfall gewisser Vorteile sprechen. Dagegen steht ein Rückgewinn an Souveränität und Wegfall von Fremdbestimmung und Bürokratie. Deswegen gibt es den Brexit.
Georg Soltau
24. August 2018 @ 14:08
aha!..”muss spürbare Nachteile haben” also eine Art von Bestrafung und Drohung für den “nächsten”…also zu Richtern werden.
Kleopatra
24. August 2018 @ 21:06
Der Austritt aus der EU ist in den verträgen ausdrücklich als Option vorgesehen. Wer von einer legalen Option Gebrauch macht, hat insofern jedenfalls keine “Strafe verdient”. Man könnte sogar paradoxerweise sagen, dass diejenigen Briten, die aus der EU austreten wollen, jedenfalls die Verbindlichkeit des EU-rechts ernster nehmen als manche andere.
Peter Nemschak
24. August 2018 @ 09:44
Eine Brandschutzübung ist noch kein Notfall.
Georg Soltau
24. August 2018 @ 11:28
Doch, wenn die Brandschützer mit Benzin anstelle von Wasser üben.