Sanktionen ohne Strategie, Rechtsruck in Italien – und die EU lädt 44 Länder ein

Die Watchlist EUropa vom 23. September 2022 –

Das gab’s noch nie: Am Rande der UN-Vollversammlung in New York haben sich die EU-Außenminister getroffen, um eine Antwort auf die russische Eskalation im Ukraine-Krieg zu suchen. “Wir werden neue restriktive Maßnahmen prüfen, wir werden sie verabschieden”, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach der eilig einberufenen Sondersitzung.

Schnell und entschieden sollte das wirken. Es sei darum gegangen, nach der Rede von Kremlchef Wladimir Putin eine kraftvolle Botschaft zu senden, betonte Borrell. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gab sich kämpferisch. “Wir sind bereit, Russland (…) weitere wirtschaftliche Kosten aufzuerlegen“, erklärte sie.

Doch in Brüssel kamen die Ankündigungen aus New York nicht gut an. EU-Korrespondenten beschwerten sich, weil von der Leyen nur mit CNN gesprochen hatte, nicht aber mit europäischen Journalisten. Diplomaten fragten sich, welche Sanktionen eigentlich gemeint sein sollen.

Bereits im Sommer war den Europäern die Puste ausgegangen. Das letzte Sanktionspaket war nur noch ein Päckchen voller kleinteiliger Maßnahmen, die Putin kaum weh tun dürften. Vor dem großen Hammer – einem Gasembargo – schreckt die EU aus Angst vor den Folgen für die heimische Wirtschaft zurück.

Öl und Diamanten

Und so dürfte auch das nächste, achte Sanktionspaket eher mager ausfallen. Es könnte einen Preisdeckel für russisches Öl und ein Embargo auf Diamanten enthalten, sagen Insider in Brüssel. Diese Maßnahmen werden allerdings schon seit Wochen diskutiert. Den Preisdeckel hat die G7 wiederholt angekündigt. Wie er umgesetzt werden soll, ist immer noch unklar.

Offen ist auch, ob die EU die für Sanktionen nötige Einstimmigkeit erreicht. Noch vor der Krisensitzung in New York sagte Ungarns Regierungschef Viktor Orban in Budapest, er werde sich für ein Ende der Sanktionen einsetzen. Die Strafmaßnahmen hätten die Gaspreise und die Inflation in die Höhe getrieben, das müsse aufhören.

Orban ist nicht der einzige Quertreiber. Auch Griechenland und Zypern haben Bedenken – ihre Reedereien liefern russisches Öl in alle Welt und lehnen harte Auflagen ab. Und dann ist da noch Italien: Bei der Wahl am Sonntag könnte die extreme Rechte an die Macht kommen. Ob sie neue Sanktionen mitträgt, ist völlig offen.

Die Einheit bröckelt

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In New York trug die EU ihre Entschlossenheit zur Schau, doch in Brüssel bröckelt die Einheit. Das gilt nicht nur für die Sanktionen, sondern auch für Waffenlieferungen. Eine einheitliche europäische Linie gibt es immer noch nicht – trotz der militärischen Erfolge der Ukraine und der zunehmenden Drohungen aus Russland.

Jeder macht, was er will – auch im Umgang mit russischen Touristen und Flüchtlingen. Polen und die baltischen Staaten haben de facto ein Einreiseverbot verhängt. Finnland hingegen nimmt weiter Flüchtlinge auf. Die EU-Kommission will sich nun um eine gemeinsame Linie bemühen. Den Außenministern war dies nicht gelungen.

Die 27 Mitgliedstaaten konnten sich bisher auch noch nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen. Soll sich Europa völlig von Russland abschotten – oder doch noch Fluchtwege und Gesprächskanäle offen halten? Darf Russland nicht gewinnen, oder muß die Ukraine unbedingt siegen? Und wann geht dieser Krieg endlich vorbei?

Keine Antworten aus Brüssel

Antworten sucht man in Brüssel vergebens. Dabei fordert Putin die EU immer offener heraus. In der Ukraine habe es Russland mit der „Militärmaschinerie des kollektiven Westens“ zu tun, sagte er in seiner Rede. Damit sind dann wohl auch Deutschland und andere EU-Länder gemeint.

Bisher meiden sie den direkten Konflikt mit Russland. Doch nun steigt das Risiko einer Konfrontation. Man wüßte schon gern, wie die EU damit umgehen will. Setzt sie weiter auf Sanktionen und Waffen – oder bemüht sie sich auch um Deeskalation?

Man halte weiter Gesprächskanäle zu Moskau offen, sagte der Sprecher von Borrell in Brüssel. Doch wie sie genutzt werden, wollte er nicht verraten.

Siehe auch “Eskalation im Stellvertreterkrieg”

Watchlist

Rückt nun auch noch Italien nach rechts? Das Land wählt am Sonntag, 25. September, ein neues Parlament. Bei den vorgezogenen Neuwahlen nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi galt das Lager um Giorgia Meloni von der nationalistischen Partei Fratelli d’Italia als klar favorisiert. Meloni hat sich nie eindeutig von Faxchistenführer Mussolini distanziert; nur will sie mit Ex-Premier Berlusconi zusammenarbeiten. Die EVP um den deutschen CSU-Politiker Weber hat keine Einwände…

Was fehlt

Die Einladungsliste für die neue politische Gemeinschaft, die Frankreichs Präsident Macron ausgeheckt hat. Beim ersten Treffen am 6. Oktober in Prag sollen 44 Länder zusammenkommen. Neben den 27 EU-Mitgliedern sind das 17 weitere europäische Staaten. Zu den Eingeladenen gehören die Ukraine, die Türkei, Großbritannien und die Schweiz. Die Ukraine will der EU beitreten, Großbritannien ist gerade ausgetreten, die Türkei stört und die Schweiz will neutral bleiben… – Siehe auch “Projekt Groß-EUropa”