Sanktionen am Limit, KI-Gesetz auf der Kippe – und die wahren Klimasünder
Die Watchlist EUropa vom 21. November 2023 –
Früher ließ es sich Ursula von der Leyen nicht nehmen, neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland persönlich vorzustellen. Noch härter, noch wirksamer würden die Strafen ausfallen, erklärte die deutsche EU-Chefin noch im Sommer.
Doch diesmal, beim 12. Sanktionspaket, ist alles anders. Man bemüht sich um größtmögliche Diskretion. Von der Leyen machte nur vage Andeutungen – aber nicht in Brüssel, sondern erstmals in der neuen europäischen “Hauptstadt” Kiew.
Die EU-Staaten, die den Vorschlag am Freitag entgegennahmen, hüllen sich in Schweigen. Niemand will verraten, wie das Embargo auf russische Diamanten funktionieren könnte, oder warum der Ölpreisdeckel nicht funktioniert.
Das liegt nicht nur daran, dass die Vorschläge unausgegoren sind – wie die anderen elf Sanktionspakete auch. Es liegt auch daran, dass immer mehr EU-Politiker zweifeln. Der Wirtschaftskrieg überzeugt nicht mehr.
News & Updates
- KI-Gesetz auf der Kippe. Die EU wollte mutig vorangehen und die so genannte “Künstliche Intelligenz” (KI) regulieren. Doch nun steht das erste KI-Gesetz auf der Kippe: Deutschland, Frankreich und Italien wollen nur noch konkrete Anwendungen von KI regulieren und nicht die Basis-Technologie an sich. Dahinter steht mal wieder die Angst, den Anschluß zu verlieren…
- Orbans neue Anti-EU-Kampagne. Vor fünf Jahren zielte er auf Juncker, nun wird VDL zur Zielscheibe von Ungarns Regierungschef Orban. Neue Plakate zeigen die Kommissionspräsidentin mit Alex Soros, dem Sohn des umstrittenen Mäzens, und dem Spruch “Tanzen wir nicht nach ihrer Pfeife”. Brüssel gibt sich gelassen: VDL habe nicht mal mit der Wimper gezuckt…
- Milei-Sieg bedroht Mercosur-Deal. Nach der Wahl des Rechtspopulisten Javier Milei zum Präsidenten in Argentinien wackelt der EU-Handelsdeal mit den Mercosur-Staaten mehr denn je. Doch Brüssel tut so, als laufe alles nach Plan. – Mehr im Blog
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Sanktionen am Limit (Fortsetzung)
Alle Ziele – den Krieg zu verhindern, ihn schnell zu stoppen, Russland zu ruinieren oder das Land wenigstens zu isolieren – wurden krachend verfehlt. Als führendes Mitglied der expandierenden BRICS-Gruppe hat Moskau heute mehr Einfluß als zuvor.
Mittlerweile lege es die EU nicht mehr darauf an, alles zu tun, um Kremlchef Putin zu stoppen, schreibt die “Süddeutsche” – sondern nur noch das Nötigste. Statt “whatever it takes” (wie in der Eurokrise) heiße es nur “as long as it takes”, klagt das Blatt.
Auch die “FAZ” ist unzufrieden. Russland habe es “überraschend schnell” geschafft, den Ölpreisdeckel zu umgehen und einen Parallelmarkt zu schaffen. Die Umgehung des Preisdeckels zu beenden, sei „wahrscheinlich unmöglich“.
Wenn das stimmt, dann wird auch das 12. Sanktionspaket nicht viel bringen. Die EU ist mit ihren Strafmaßnahmen am Limit angelangt. Zeit, umzudenken und auf Diplomatie umzuschwenken? Nicht mit von der Leyen, fürchte ich…
Siehe auch meinen Artikel in der taz “Das Tamtam bleibt diesmal aus”
Das Letzte
Die wahren Klimasünder sind reich. Nach einem neuen Bericht des UN-Umweltprogramms steuert die Erde auf eine Erwärmung um etwa drei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu. Damit wäre das Pariser Klimaziel – maximal 1,5 Grad – deutlich und womöglich unwiderruflich verfehlt. Zu diesem Debakel tragen mit ihren CO2-Emissionen vor allem die Superreichen bei, wie Oxfam errechnet hat. Wenn das stimmt, müsste die EU ihre Klimapolitik neu ausrichten – auf bzw. gegen die reichen CO2-Zocker. Doch in Brüssel denkt niemand daran, Privatflüge zu verbieten oder dicke SUV einzuschränken. Auch die Anpassung an die Klimakrise kommt zu kurz…
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european
21. November 2023 @ 11:31
Stoltenberg selbst hat sich im September verplappert und sogar zugegeben, dass der Ukraine-Krieg vom Westen provoziert war. Eine Zusammenstellung der Ereignisse
https://www.telepolis.de/features/Der-unprovozierte-Krieg-Wenn-Stoltenberg-und-Co-die-Wahrheit-ueber-die-Nato-Erweiterung-sagen-9314024.html?seite=all
das englische Original findet sich hier:
https://responsiblestatecraft.org/russia-ukraine-nato-expansion/
“President Putin declared in the autumn of 2021, and actually sent a draft treaty that they wanted NATO to sign, to promise no more NATO enlargement,” Stoltenberg told a joint committee meeting of the European Parliament on September 7. “That was what he sent us. And [that] was a pre-condition for not invade [sic] Ukraine. Of course we didn’t sign that.”
und weiter
“He went to war to prevent NATO, more NATO, close to his borders. He has got the exact opposite,” Stoltenberg reiterated, referring to the accession of Sweden and Finland into the alliance in response to Putin’s invasion. Their entry, he later insisted, “demonstrates that when President Putin invaded a European country to prevent more NATO, he’s getting the exact opposite.”
Der Krieg waere durch Diplomatie verhinderbar gewesen. Die Ukraine koennte mit Ausnahme der Krim noch vollstaendig sein und als bluehendes Bindeglied zwischen Ost und West gedeihen. Wer hat’s vermasselt?
Es wird auch immer so gern auf die “historischen Erfahrungen” z.B. der Polen hingewiesen, die teilweise Jahrhunderte (1772) zurueckliegen. Was ist eigentlich mit der “historischen Erfahrung” Russland’s? Immerhin haben wir 27 Mio Sowjetbuerger niedergemetzelt, vor 80 Jahren und auch Napoleon hat 1812 auf blutigem Weg versucht, Russland einzunehmen, mit Hunderttausenden Toten, Verletzten und Vermissten.
Vom Westen kommt offensichtlich auch nichts Gutes, trotz gluehender Versprechen und Erklaerungen. Soviel also zum “Historischen Gedaechtnis”. Wenn man schon darueber spricht, muessen alle Seiten zu Wort kommen und da sehen wir auch nicht gut aus.
Thomas Damrau
21. November 2023 @ 08:47
Die Situation rund um den Ukraine-Krieg ist im Augenblick maximal unübersichtlich:
– jeden zweiten Tag wird in den Nachrichten erwähnt, dass die Ukraine sich bei Cherson auf dem östlichen Ufer der Dnepr festgesetzt hat -> Hoffnung auf militärischen Fortschritt
– es mehren sich auch den klassischen Medien Berichte, dass die ukrainische Bevölkerung langsam Kriegs-müde wird -> die Zweifel kommen im Mainstream an
– die Rüstungslobbyisten suggerieren, eine Ausweitung der Waffenlieferungen könne den Sieg der Ukraine sicherstellen – besonders verschwurbelt heute im DLF Nico Lange von der Münchner Sicherheitskonferenz, der viele (rhetorische) Fragen in den Raum stellt, die der Zuhörer dann selbst mit einem “all-in” beantworten soll (https://www.deutschlandfunk.de/wenn-russland-ukraine-krieg-gewinnt-interview-nico-lange-politik-berater-dlf-ae791fd2-100.html) -> neue Waffen, neues Kriegsglück
– Pistorius schwirrt in Kiew herum, um wieder einmal Solidarität zu symbolisieren -> der Wille versetzt Berge
– … und gibt es noch die Frage nach dem Geld. Politiker von FDP und CDU wollen Ausgaben für Soziales und Transformationsprojekte auf den Prüfstand stellen, um Haushaltlücken zu schließen. Dabei bleibt der Elefant im Raum unerwähnt: Man könnte natürlich auch in Washington anrufen und Biden erklären “Hey Joe, war eine nette Idee von Dir, die Ukraine zackig in den Westen integrieren. Leider hast Du die Gewaltbereitschaft Putins unterschätzt. Und jetzt werden Menschenleben und Geld verheizt, ohne dass eine Ende in Sicht ist. Lass uns damit aufhören.” Damit würde auch viel Geld frei -> um Russland zu beschäftigen, darf uns kein Kollateral-Schaden zu groß sein.
KK
21. November 2023 @ 11:13
“– Pistorius schwirrt in Kiew herum, um wieder einmal Solidarität zu symbolisieren -> der Wille versetzt Berge”
Und verteilt dabei, weil die Solidarität eben Unsummen kostet, wieder einmal Geld, das nach dem Verfassungsgerichtsurteil erst recht keiner mehr hat. Offenbar ist der Schuldenbremse auch eine Denkbremse immanent.