Protektionistisch, nationalistisch, ignorant: Das Ausland hält der EU den Spiegel vor

Die EU gibt sich Mühe, trotz Corona und Brexit vorbildlich und solidarisch zu agieren. Doch in Großbritannien, Nordirland und Australien sieht man das ganz anders: Die EUropäer seien protektionistisch, nationalistisch und ignorant.

Dies mußte ich bei meiner heutigen Presseschau feststellen, mit der ich meinen Arbeitstag in Brüssel beginne. Hier die passenden Artikel:

  • Nationalistisch – dieser Vorwurf kommt aus der Londoner “Times”, wegen des Lieferstopps von Corona-Impfstoff aus der EU:

“Es fällt schwer, darin etwas anderes als ein kleinliches Manöver zu sehen, mit dem die Versäumnisse der EU in der Krise verschleiert werden sollen. Die EU-Kommission scheint davon ausgegangen zu sein, dass die hohe Bevölkerungszahl in der EU es ihr erlauben würde, Impfstoffe in großen Mengen und daher zu günstigen Konditionen zu kaufen. Das hat sich als eine katastrophale Strategie erwiesen. Das Ziel hätte Schnelligkeit sein müssen, statt über den Preis zu verhandeln. Die öffentliche Gesundheit hat oberste Priorität. Impfstoff-Nationalismus ist kontraproduktiv.

  • Protektionistisch – so sieht man die EU in Australien, wohin nun kein Impfstoff von AstraZeneca geliefert werden darf:

“Wir sind natürlich enttäuscht und frustriert über diese Entscheidung, aber das ist auch der Grund, warum wir uns doppelt abgesichert haben”, sagte Finanzminister Simon Birmingham dem Sender Sky News. “Wir haben bis zu 150 Millionen Dosen Impfstoff in Auftrag gegeben, davon 50 Millionen Dosen, die hier in Australien produziert werden sollen”, sagte er. Die Welt befinde sich derzeit in einem ziemlich unerforschtem Gebiet, da sei es wenig überraschend, “dass einige Länder das Regelbuch zerreißen werden“.

  • Ignorant – dieser Vorwurf fällt im Streit um die Brexit-Regeln für Nordirland. Der zuständige britische Brandon Lewis in einem Gastbeitrag für den “Telegraph”:

“In meinen Gesprächen mit nordirischen Unternehmen und der Zivilgesellschaft wurde immer deutlicher, dass jetzt Entscheidungen getroffen werden müssen, um eine erhebliche kurzfristige Störung des Alltags in Nordirland zu vermeiden”, schrieb Lewis. Es handele sich um “schwerwiegende Probleme”. Infolge der Vereinbarungen mit der EU klagen Firmen über Schwierigkeiten, teils blieben nordirische Supermarktregale leer. Doch Brüssel ignoriert das – die EU-Kommission bereitet ein “Vertragsverletzungsverfahren” wegen eines Bruchs des Brexit-Vertrages vor.

Ich mache mir diese Einschätzungen nicht zu eigen. Mir gibt es aber schon zu denken, wie krass der Kontrast zwischen der Selbstwahrnehmung der EU (“Wir sind die Besten, wird helfen der ganzen Welt”) und dem Ausland geworden ist…

Siehe auch “Die EVP ist wie die EU – ein Bündnis ohne Werte”

P.S. Auch Deutschland wird nicht verschont. Das Land sei in der Coronakrise “in die Falle des Nationalismus” gegangen, schreibt J. Quatremer in “Libération”