Zweierlei Maß?
Ähnlich wie in der Ukraine begehrt auch in der Türkei das Volk gegen ein korruptes Regime auf. Doch im Gegensatz zu Osteuropa, wo sich die EU massiv eingemischt hat, drückt Brüssel am Bosporus beide Augen zu. Misst man Demokratie und Menschenrechte etwa mit zweierlei Maß?
Was in Kiew der Maidan ist, ist in Istanbul der Gezi Park. Im Sommer gab es dort wochenlange schwere Proteste gegen die Regierung Erdogan. Gestern ist ein 15-jähriger an den Folgen eines Polizeieinsatzes gestorben.
Und wie reagiert die EU-Kommission? Schickt sie eine Delegation nach Ankara, protestiert sie scharf, ergreift sie die Seite der Demonstranten wie auf dem Maidan? Weit gefehlt.
Erweiterungskommissar Füle ist dies nur ein paar mahnende Worte wert, ganz am Ende einer langen, völlig unbeteiligten Rede zu den “Fortschritten” des Beitrittskandidaten. Zitat:
Third – a young boy 15 years old died today, many of you have referred to him, after being in coma for over 260 days as a result of being hit by the gas canister fired by the police during Gezi Park protests. It is an extremely sad but important reminder of the aspirations of the Turkish people, I have had those aspirations in mind and will have those aspirations always as the leading light in my efforts.
Ach ja, ein “Reminder” für die Wünsche des türkischen Volkes. Die kamen gestern bei neuen Protestkundgebungen zum Ausdruck. Doch die EU spricht nicht mit den Menschen, nur mit der Regierung Erdogan.
Dass Erdogan Youtube und Facebook verbieten möchte, Justiz und Polizei knebelt, die Medien zensiert, die Armee instrumentalisiert, um von seinem korrupten Regime abzulenken, sind für Füle nur bedauerliche Fehltritte.
Offenbar gelten bei einem Beitrittskandidaten ganz andere Maßstäbe als bei einem Land, das man der russischen Einflusssphäre entreißen will. Oder hat die unterschiedliche Behandlung gar mit der Religion zu tun?
Fest steht, dass es in beiden Fällen nicht mit rechten, sprich rechtsstaatlichen Dingen zusteht. Nicht die EU-Kommission sitzt im Fahrersitz, wie es die Verträge vorsehen, sondern die Mitgliedstaaten.
In der Türkei fordern sie eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen um jeden Preis, ohne Rücksicht auf Menschenleben. Schließlich geht es auch hie um Geopolitik. Dies nur als “Reminder”…
Siehe auch “Derweil in der Türkei”
fufu
12. März 2014 @ 21:58
@ebo, sei nicht traurig, die Idee von Europa war nicht schlecht, aber die Realitaet ist leider so. Aber wenn es gelaenge die Stoerenfriede rauszuschmeissen .. kurzfristig muessen wir aber achtgeben, dass es ihnen nicht wieder gelingt einen Krieg auf europaeischem Boden zu inszenieren, z.B. durch Provokation eines Buendnisfalls.
ebo
12. März 2014 @ 22:06
Das ist tatsächlich eine reale Gefahr… aber keine Angst, Steini und Angie werden es schon richten 🙂
ebo
12. März 2014 @ 21:12
Achja. Ich fall auch bald vom Glauben ab. Wahrscheinlich muss man Nato-Mitglied sein, damit man machen kann was man will. Wenn das so weiter geht, bekommen wir noch zwei EU-Mitglieder vom Typ Bulgarien/Rumänien…
Johannes
12. März 2014 @ 20:04
Die EU hat eben doppelte Moralvorstellungen, das ist sogar gut, es liefert Argumente gegen die EU, und so soll es doch sein, gell *gg
fufu
12. März 2014 @ 10:11
Weltweit gibt es derzeit Unzufriedenheit, Proteste gegen Misswirtschaft, korrupte Regierungen, Farbenrevolutionen. Das neue Sprachrohr ist das Internet gegenueber den alten gesteuerten Systemmedien. Wikileaks, Whistleblower, Leute wie Snowden, gesteuerte Leaks ueber die Medien wie bei Berlusconi, Erdogan prangern das korrupte System an.
Es stellt sich die Frage inwieweit diese neue Offenheit gezielt benutzt wird oder gesteuert ist um alte etablierte Seilschaften zu stuerzen (wenn sie nicht mehr gebraucht werden) oder gefuegig zu machen wo militaerische Mittel nicht (oder noch nicht) angezeigt erscheinen und so diese Laender zu “oeffnen”. Wer dahintersteckt ist einfach zu ergruenden, “follow the money”.
Vergiss die EU als Heilsbringer fuer Demokratie und Menschenrechte, das Gegenteil ist der Fall. Es geht ausschliesslich darum die Resourcen dieser Laender dem internationalen Finanzsystem nutzbar zu machen. Den Menschen in den “demokratisierten” Laendern geht es nach der Oeffnung i.a. viel schlechter, da die alten Seilschaften zumindest in Grenzen auf die Bevoelkerung Ruecksicht nehmen mussten. Alle grossen Strukturen sind ein Uebel an sich.