Nichts dazugelernt
Kommt die Eurokrise zurück? Diese Frage treibt Politik und Medien kurz vor den Wahlen in Rom um. Italien, Spanien und Zypern werden als neue Wackelkandidaten genannt. Auf die Idee, dass etwas an der “Rettung” falsch sein könnte, kommt offenbar niemand.
In Brüssel wird wieder eifrig “gebrieft”. In Hintergrundgesprächen versuchen Politiker und Bürokraten, den Journalisten und ihren Lesern ihre Weltsicht nahezubringen. Meist ist ein starker persönlicher “Spin” dabei.
Doch diesmal sind sich alle einig: es ist Gefahr im Verzuge! Wenn Berlusconi in Italien zu stark wird, wenn Rajoy in Spanien schwächelt, und wenn Zypern nicht endlich seine “Reformblockade” aufgibt, kommt die Eurokrise zurück.
Die Krise war nie weg
Was für eine merkwürdige Weltsicht. Denn erstens war die Krise nie weg, sie hat sich “nur” von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft verlagert, was wesentlich schlimmer ist und Südeuropa eine verlorene Generation beschwert.
Zweitens tun unsere “Retter” so, als sei die Demokratie das Problem, und die Austerität die Lösung. Sie sprechen sogar von einem “politischen Risiko” und meinen damit freie Wahlen.
Dabei ist es umgekehrt! Berlusconi ist nur deshalb so erfolgreich, weil er sich als “Retter” gegen die nicht gewählten Technokraten und als “Erlöser” vom Sparkurs präsentieren kann.
Jetzt rächt sich, dass man mit Monti einen Professor eingesetzt hat, der von Politik nichts versteht. Jetzt rächt sich auch, dass man Italiens Wirtschaft in die Rezession “saniert” hat, genau wie in Spanien, Portugal und Griechenland.
Dass die europäischen Eliten nichts dazugelernt haben, zeigt sich aber auch in Spanien. Unbeirrt halten sie an Rajoy fest, obwohl der in einem Sumpf aus Korruption versinkt. Aber es ist “ihr” Rajoy, denn er setzt ihre Politik um.
Bloß keine Wahlen, heißt die Devise. Bloß keine Änderung am “Reform”kurs! Wer nicht spurt, den lässt man am langen Arm verhungern, wie das Beispiel Zypern zeigt.
Weil Noch-Präsident Christofias sich weigerte, den geforderten Ausverkauf seiner Insel mitzumachen, gibt es keine Notkredite.
Das dürfte sich zwar nach der Wahl von Merkels Wunschkandidat Anastadiadis am Sonntag ändern. Wenn der konservative Politiker wie erwartet die Stichwahl gewinnt, will Berlin den Weg für Zypern-Hilfen frei machen.
Doch schon bereiten die Euro-“Retter” die nächste große Dummheit vor: Nicht nur Bankeigner, sondern auch Bankkunden sollen an der Sanierung der hoffnungslos überschuldeten Insel beteiligt werden.
Euro”retter” riskieren neue Panik
Es treffe ja nur das Schwarzgeld russischer Oligarchen, heißt die populäre (und populistische) Begründung. Dies sei ein Sonderfall. Man werde Vorkehrungen treffen, dass es keine Panik gibt.
Doch das hat man in Griechenland auch gesagt. Als dann die Banken zur Kasse gebeten wurden (im ersten Schuldenschnitt vor zwei Jahren), machte sich auf den Finanzmärkten Panik breit.
Übrigens war dies auch der Moment, als die Spreads in Italien und Spanien in die Höhe schossen. Berlusconi war damals noch kein Thema. Die Krise hatten die Euro-“Retter”, angeführt von Deutschland, ganz allein verursacht.
Doch aus den fatalen Fehlern hat man offenbar nichts gelernt. Wenn nicht alles täuscht, geht es bald wieder von vorne los…
Siehe zu diesem Thema auch: “Die Eliten zittern” sowie den lesenswerten Beitrag auf “Zerohedge” zur EU-Einmischung in den italienischen Wahlkampf
Hier noch ein interessanter Tweet:
200000 italian jobs lost in last 2 months (ilfattoquotidiano.it/2013/02/20/con…) while orders are down by 10% (finanza.lastampa.it/Notizie/0,4966…) Austerity works!
— Yanis Varoufakis (@yanisvaroufakis) 21. Februar 2013
marty
21. Februar 2013 @ 21:22
@Tim: Einspruch, Einspruch und Einspruch! 😉 Aber der Reihe nach …
“Austerität heißt: nur soviel Geld ausgeben, wie man hat.” − Nein, im heutigen Kontext bedeutet Austerität drastische (“strenge”) Spar- und Kürzungspolitik mitten in einer Wirtschaftskrise.
“Bitte, ‘europaweiter Großversuch’? Wo denn?” − In fast ganz Europa, oder? Zunächst mal in allen sog. “Programm-Staaten” (ein scheußlicher, fast Orwell’scher Begriff). Aber auch in Staaten, die nicht unter Zwangsverwaltung stehen und sogar eine eigene Währung haben (wie GB). Und letzten Endes sogar in D, wo die Bundesländer aufgrund der unsinnigen Schuldenbremse massiv ihre Ausgaben zurückfahren müssen …
“Schulden mit Schulden bekämpfen funktioniert nicht, die Japaner versuchen doch genau das seit über 20 Jahren in ganz großem Stil.” − Es geht nicht darum, Schulden mit Schulden zu bekämpfen. In erster Linie haben wir keine Schuldenkrise, sondern eine schwere Wirtschaftskrise mit riesiger Arbeitslosigkeit und Nachfrageausfall.
Japan ist eine ganz andere Baustelle − die Jungs stecken seit Jahren in einer Deflationsspirale fest.
“Genau diese Abwertung muß (und wird) Südeuropa ebenfalls vornehmen, nur eben intern.” − Weißt Du, was Du da sagst? Eine interne Abwertung ist mit schrecklichen sozioökonomischen Verwerfungen verbunden und dauert mehr als 10 Jahre! Das können die Südis nicht verkraften …
OK, Du bist also kein Schäuble-Fan, sondern − noch schlimmer! − ein Brüning-Fan. Weißt Du, dass unser Land bis heute unter den Folgen von Brünings Austeritäts-Wahn leidet?
Tim
22. Februar 2013 @ 09:43
@ marty und alle
Ich glaube, nicht allen ist bewußt, wie groß und welcher Art unsere Probleme heute sind, darum mal eine kurze Darstellung der Euro-Krise:
1. In den Euro-Verträgen wurde von Anfang an festgelegt, daß nationale Zentralbanken im Target-(2)-System unbegrenzt Geld schöpfen können. Außerdem wurde festgelegt, daß die entstehenden Salden nicht automatisch regelmäßig ausgeglichen werden. (Was übrigens der katastrophalste Geburtsfehler des Euros ist.)
2. Banken mußten Staatsanleihen von Euro-Ländern nicht als Risiko betrachten und nicht (oder kaum) mit Eigenkapital hinterlegen.
Damit haben wir schon die beiden Hauptursachen der heutigen Krise. (1) führte dazu, daß sich gewisse Staaten hemmungslos verschulden konnten und sich so eine Konjunktursblase aufbaute, die weit über der tatsächlichen Wirtschaftskraft lag. (2) führte dazu, daß die privaten Banken munter und völlig sorglos Kredite vergaben, weil ihnen ja per EU-Richtlinie die Bonität der (insgeheim von allen als schlecht beurteilten) Schuldner garantiert war.
Über Jahre konnten Griechenland & Co. über ihre Verhältnisse leben und eine Wirtschaftsleistung aufbauen, die sich zunehmend von ihrer Wettbewerbsfähigkeit entkoppelt – das typische Spiel bei einer Politik des extrem lockeren Geldes.
Nun ist die Blase geplatzt. Griechenland & Co. sind gezwungen, sich den wirtschaftlichen Realitäten anzupassen, die durch das lockere Geld jahrelang vertuscht worden sind. Genau darum haben wir es auch nicht mit einer normalen Wirtschafts- oder Konjunkturkrise zu tun, sondern einer tiefen strukturellen Krise der Wettbewerbsfähigkeit. (Ausnahme: Spanien, dort liegt der Fall etwas anders, aber die Probleme sind ebenfalls gigantisch.)
Wenn man nun wieder mit neuen Schulden anfängt, um die Konjunktur anzuheizen, löst man das eigentliche Problem kein bißchen: die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Griechenland & Co. können nur durch interne Abwertung wieder wettbewerbsfähig werden. Man wird keinen einzigen Investor in die Südländer locken, wenn man ihm bloß verspricht, daß man die schuldenfinanzierte Scheinkonjunktur noch ein paar Jahre länger aufrechterhält.
Aber genau darum muß es gehen: Investoren in die Südländer bekommen.
Je nach Land sprechen wir ja von einem Wettbewerbsrückstand von 20-40 %. Damit haben wir auch schon ungefähr den Grad der nötigen internen Abwertung. Das wird verdammt hart, keine Frage. Das eigentliche Drama ist aber, daß die europäische Bereitschaft zur Solidarität inzwischen schon weitgehend für Bankenrettung aufgebraucht wurde, so daß für die Bürger wohl nicht mehr viel bleibt.
Bedankt Euch bei den Politikern, die den Banken-Bailout-Unsinn durchgezogen haben. Und natürlich bei den Politikern, die das Target-2-System installiert haben. Aus meiner Sicht ist das alles das größte Wirtschaftsverbrechen aller Zeiten.
Johannes
21. Februar 2013 @ 15:26
Das Mitleid von Ebo, man wurde Zypern verhungern lassen ist dreist in meinen Augen. Ein Land das auf Kosten der anderen Steuerdumpink betreibt, mit dem Land soll ich jetzt Mitleid haben? Nein. Ein Land, dass die Gelder der Russenmafia verwaltet, die mit Drogen, Kinderhandel, Prostition, Waffen und Straftaten ihr Geld verdienen? Nein, für dieses Zypern habe ich kein Mitleid, niemals.
Das man Zypern die Hilfe verweigert, ist total in Ordnung. Zypern will doch von UNS Geld haben, nicht umgekehrt.
Warum wollen die Politker in Deutschland jetzt nicht mehr Geld geben? Vielleicht weil wir Bürger und damit die Demokratie doch noch eine kleine Rolle spielen?
marty
21. Februar 2013 @ 15:25
@Tim: Puh, ausgerechnet das Baltikum als Vorbild zu erwähnen grenzt an Realsatire …
Trotz “brutalstmöglicher” Reformen hat das Baltikum für die letzten 5 Jahre praktisch KEIN reales Wachstum vorzuweisen − schau Dir mal die Charts hier an:
http://www.forbes.com/sites/markadomanis/2012/06/13/latvias-imaginary-manufacturing-growth-or-why-paul-krugman-is-right-and-anders-aslund-is-wrong/
Dafür gibt es dort jede Menge Elend, Arbeitslosigkeit und Auswanderung …
Im übrigen kann man nur Paul Krugman zustimmen: was haben die Neoliberalen bloß für eine Obsession mit dem armen kleinen Baltikum?
Fast in ganz Europa wurde der Austeritäts-Wahn ausprobiert (und ist überall grandios gescheitert). Erst waren die Spar-Fanatiker überzeugt, dass es in Irland klappt, dann hielten sie Großbritannien als leuchtendes Vorbild hoch (immerhin sind die Brüder nie auf die Idee gekommen, Spanien oder Griechenland als Musterländer zu preisen!) …
Inzwischen sind die Neoliberalen bei ihrer verzweifelten Suche nach einem Austeritäts-Erfolg in Lettland angekommen. Nix gegen Lettland − aber nach einem europaweiten Großversuch ist dieses winzige Land (das weniger Einwohner hat als Brooklyn!) alles, was die “Austerianer” vorweisen können ??? => vgl. “Looking for Mister Goodpain” http://www.nytimes.com/2013/02/01/opinion/krugman-looking-for-mister-goodpain.html −
“Zwei harte Jahre, und danach geht es voran.” − Du übersiehst die riesigen sozialen Folgekosten und die langfristigen ökonomischen Schäden einer Depression …
Tim
21. Februar 2013 @ 17:35
@ marty
Bitte, “europaweiter Großversuch”? Wo denn? Austerität heißt: nur soviel Geld ausgeben, wie man hat. Wieviele europäische Krisenstaaten kennst Du, die das jetzt in der Krise beherzigen? Die vielbeklagte Austeritätspolitik gibt es überhaupt nirgendwo, wenn man mal vom Baltikum und den heroischen Isländern absieht!
Schulden mit Schulden bekämpfen funktioniert nicht, die Japaner versuchen doch genau das seit über 20 Jahren in ganz großem Stil. Mit der Folge, daß die Handlungsfähigkeit des Staates durch die immer zunehmende Staatsverschuldung immer geringer wird. Schrecken ohne Ende! Das sind gigantische soziale und ökonomische Schäden.
Eines muß uns allen klar sein: Eine schmerzfreie Therapie ist für die Schuldenstaaten nicht möglich, denn die Probleme wurden viele, viele Jahre lang verschleppt.
ebo
21. Februar 2013 @ 18:50
Willkommen im Club der Schäuble-Fans. Indes: Island hat es nur geschafft, weil es die Schulden einfach nicht mehr bediente und die Währung abwertete. Beides ist den Euro-Krisenländern verwehrt. Warum? Weil unser “Ordnungspolitiker” Schäuble die Anlagen deutscher Banken und Versicherungen in Südeuropa retten möchte – und weil er an “funktionierende” Devisenmärkte glaubt (die den Euro in der tiefsten Rezession genauso hoch bewerten wie vor der Krise).
Tim
21. Februar 2013 @ 19:39
@ ebo
Ich bin gewiß kein Schäuble-Fan, ganz im Gegenteil. Schäuble ist einer der Hauptschuldigen, er hätte schon Anfang/Mitte 2010 auf einen griechischen Schuldenschnitt hinarbeiten müssen (meinetwegen mit einem Bailout der Bankkunden, aber keinesfalls der Anteilseigner).
Aber Du siehst die Erfolgsfaktoren Islands exakt richtig: Schulden nicht bedienen und abwerten. Genau diese Abwertung muß (und wird) Südeuropa ebenfalls vornehmen, nur eben intern.
Tim
21. Februar 2013 @ 11:10
Wie man die Finanzkrise am besten übersteht, haben Island und die baltischen Staaten gezeigt: harter Sparkurs, keine Toleranz gegenüber den Banken. Mit anderen Worten: Konsequente Austerität ist die Lösung. Zwei harte Jahre, und danach geht es voran.
ebo
21. Februar 2013 @ 11:15
@Tim In Griechenland haben wir schon drei Jahre Austerität, und es wird immer schlimmer. Ähnlich in Spanien und Portugal. Das Beispiel Island ist leider nicht auf die Eurozone übertragbar, weil die Banken in Euroland miteinander verflochten sind, und weil die Krisenländer ihre Souveränität an EZB und EU abgegeben haben…
Tim
21. Februar 2013 @ 11:34
Das Problem im Fall Griechenland ist doch, daß viel zu lange gewartet wurde. Spätestens im Mai 2010(!) hätte ein harter Schuldenschnitt erfolgen müssen. Dann würde es heute weitaus besser aussehen.
Island hat sich ganz bewußt gegen Forderungen aus dem Ausland gestellt und erst dadurch ja die Verflechtung gesprengt. Das war großartig, und der Mut wurde belohnt.
Was Europas Politiker offenbar erst noch auf die japanische Art lernen müssen, ist, daß man eine Schuldenkrise nicht mit neuen Schulden bekämpft. Es geht nur über Sparen & Reformen.
Die Leute, die jetzt gegen Austerität ins Felde ziehen, würden bei einem Krebspatienten wahrscheinlich auch von einer Chemotherapie abraten.