Nicht nur Polen hat Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat

Alle reden über die Rechtsverdreher in Polen. Doch nicht nur die PiS-Regierung in Warschau hat Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat. Auch der amtierende Ratsvorsitz fällt unangenehm auf – und sogar die deutsche Hauptstadt.

Dreht Polen den Geldhahn zu! Dieser Ruf wird immer lauter. Nicht nur das Europaparlament, sondern sogar die Niederlande fordern Finanzsanktionen, weil sich die erzkonservative PiS-Regierung in Warschau über Demokratie und Rechtsstaat hinwegsetze.

Dummerweise sind die Niederlande selbst nicht frei von Problemen. Nach dem Mord an einem prominenten Journalisten ist die Pressefreiheit in dem einst liberalen Land gefährdet. Die Niederlande könnten zu einem „Narkostaat“ werden, so die Sorge.

Sogar die Venice Commission im Europarat, die für die Einhaltung der Grundrechte und Verfassungsfragen zuständig ist, schlägt Alarm. Nach dem Familienhilfeskandal, der Premier Rutte in Bedrngnis gebracht hatte, seien tiefgreifende Reformen nötig.

Doch davon hört man in Brüssel nichts. Schließlich gehören die Niederlande traditionell zu den „Guten“ – genau wie Deutschland. Dass das größte EU-Land seine Wahl in der Hauptstadt Berlin versemmelt hat und womöglich eine Neuwahl fällig wird – kein Thema.

Ebenso wenig diskutiert die EU-Kommission den Fall Österreich. Dabei hat der Korruptionsskandal um Ex-Kanzler Kurz gezeigt, dass Medien und Umfragen in Wien käuflich sind. Ex-Kanzler Kern beklagt, dass es 2017 keine fairen Wahlen gegeben habe.

Ein ungeheurer Vorwurf. Doch Kommissionschefin von der Leyen geht dem nicht nach. Sie hat schon Kurz‘ Amtsnachfolger Schallenberg in Brüssel begrüßt und sich darüber gefreut, dass eine „lupenreiner Demokrat“ – pardon: ein „überzeugter Europäer“ – in Wien regiert.

Von der Leyen schweigt auch zu den Angriffen auf die Pressefreiheit, die von Sloweniens Regierungschef Jansa – dem amtierenden Ratsvorsitzenden – ausgehen. Erst als Jansa antisemitische Verschwörungstheorien verbreitete, ließ sie ihre Sprecher protestieren.

All diese Beispiele zeigen, dass es zahlreiche Probleme mit Demokratie und Rechtsstaat in der EU gibt – nicht nur in Polen. Und sie belegen einmal mehr, dass die EU-Kommission nicht willens oder nicht in der Lage ist, ihre viel beschworene Wächterrolle zu erfüllen.

Strenggenommen ist sie dafür auch gar nicht zuständig. In der Rechtspolitik hat Brüssel kaum Kompetenzen. Auch die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs ist umstritten. Er hat sich diese Macht erst durch ein strategisches Urteil 2018 selbst verschafft.

Aus meiner Sicht wäre es ohnehin besser, in diesen Fragen nicht auf eine Behörde oder ein Gericht zu vertrauen – sondern auf die Bürger und ihre Volksvertreter in den Parlamenten. Bei ihnen ist die Demokratie in besseren Händen, schließlich sind sie selbst gewählt…

Siehe auch „Kein Geld mehr für Polen“. Mehr zum Streit um den Rechtsstaat hier

P.s Rechtsstaats-Probleme gibt es natürlich auch in Spanien. Das Land räumt seiner Verfassung nicht nur einen Vorrang vor EU-Recht ein (den es allerdings sehr flexibel handhabt). Es hat auch eine überaus politisierte Justiz, wie auf „telepolis“ nachzulesen ist. „Polen nimmt sich spanische Repression zum Vorbild“, heißt der lesenswerte Beitrag.