Nein, Tusk ist noch längst nicht am Ziel
In den Medien wird D. Tusk bereits als neuer polnischer Premier gefeiert. Doch trotz einer rechnerischen Mehrheit im Parlament gibt es Probleme – das EU-Lager ist noch nicht am Ziel.
Normalerweise feiern die Medien den Wahlsieger. Doch in Polen ist alles anders. Obwohl Oppositionsführer Donald Tusk von der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) nur auf dem zweiten Platz landete, wird er bereits als neuer Regierungschef präsentiert.
Der Wunsch ist Vater des Gedankens – denn als ehemaliger Ratspräsident gilt Tusk als Garant eines EU-freundlichen Kurses. Die nationalistische PiS-Partei hingegen, die die meisten Sitze errang, ist sowohl in Berlin als auch in Brüssel verhasst.
Doch noch ist sie nicht weg. Erst einmal muß Staatschef Duda den Auftrag zur Regierungsbildung vergeben. In Polen ist es politische Gepflogenheit, aber kein Muss, dass zunächst ein Politiker aus der stärksten Fraktion diesen Auftrag erhält – das wäre die PiS.
Erst danach kämen Tusks KO und seine potentiellen Koalitionspartner an die Reihe. Doch auch dort gibt es schon erste Spannungen. Die Partei “Dritter Weg” hat Vorbehalte gegen Tusk und dessen liberalen Kurs etwa bei den LGBTQ-Rechten.
Selbst wenn diese Hürden genommen sind, ist Tusk noch nicht am Ziel. Um sein EU-freundliches Programm umzusetzen, muß er die Medien und die Justiz aus den Klauen der PiS befreien. Das könnte mehr als eine Legislaturperiode dauern…
P.S. Europapolitisch ist der Machtwechsel in Polen natürlich trotzdem bedeutsam. Doch ob er die erwarteten positiven Effekte auf die EU oder die Europawahl haben wird, bleibt abzuwarten…
Armin Christ
23. Oktober 2023 @ 07:15
Tusk ist ein USAusgebildeter Neoliberaler – euphemistisch auch ProEUropäer genannt.
Kleopatra
18. Oktober 2023 @ 19:27
Die “Trzecia droga” (Dritter Weg) hat offenbar 65 Mandate, was bedeutet, dass sie sowohl mit Tusk und der Linken (157 + 26 + 65 = 248) als auch mit der PiS (194 + 65 = 259) eine Regierungsmehrheit bilden könnte (eine absolute Mehrheit der Sejmmandate ist mit 231 oder mehr Mandaten gegeben). Da wird es darauf ankommen, wer zu welchen Zugeständnissen bereit ist, um mit ihr regieren zu können. Neben dem LGBTQ+-Thema wird auch eine Reform der Abtreibungsgesetzgebung in dem im Artikel verlinkten Artikel besprochen; auch die scheint eher keine Mehrheit zu finden. Was, wenn zwar Tusk Ministerpräsident wird, aber die Reformen nicht durchbringt, die Westeuropa von ihm erwartet?
ebo
18. Oktober 2023 @ 19:30
Eben, genau das frage ich mich auch.
KK
19. Oktober 2023 @ 11:24
“Was, wenn zwar Tusk Ministerpräsident wird, aber die Reformen nicht durchbringt, die Westeuropa von ihm erwartet?”
Dann muss er es im Zweifel immerhin so ernsthaft versucht haben, dass bei der nächsten Wahl dann die Bremser nicht mitreden dürfen – ergo, auch ansonsten so gute Politik für die Polen machen, dass er mit seiner Partei hinreichend besser abschneidet als dieses Mal.
Demokratie kann mühsam sein.
Kleopatra
19. Oktober 2023 @ 15:37
@KK: Sie scheinen eine etwas einseitige Sicht auf die polnische Szene zu haben. Warum sollten die polnischen Wähler mehrheitlich dieselben Präferenzen haben wie westeuropäische Beobachter? Warum sollten Wähler, die Tusks Bündnis diesmal nicht gewählt haben, ihn nächstes Mal wählen, wenn er seine Ziele von dieser Wahl nicht erreicht? Hätten diese Wähler ihn nicht gleich jetzt wählen müssen?
KK
20. Oktober 2023 @ 12:08
@ Kleopatra:
Die Präferenzen hinsichtlich der Themen, die die Wahlentscheidung in Richtung der ein oder anderen Partei beeinflussen, können sich von Wahl zu Wahl ja durchaus ändern. Auch in Polen.