Mit Rechentricks zum „Klimahammer“

EU-Kommission und Parlament feiern sich als Vorreiter beim CO2-Abbau, Brüssel und Peking vereinbaren eine engere Zusammenarbeit – und beim Schutz des Rechtsstaats in Polen ist die EU „zahnlos“: Die Watchlist EUropa vom 15. September 2020.

In Brüssel ist es ein offenes Geheimnis: Die EU-Kommission will das europäische Ziel für den Klimaschutz hochschrauben. Statt wie bisher um 40 Prozent soll der CO2-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduziert werden. Dies will Behördenchefin Ursula von der Leyen am Mittwoch in ihrer Rede zur „Lage der Union“ offiziell ankündigen.

Im Europaparlament kommt dies gut an, es fordert seit langem mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz. Von der Leyen darf also mit Beifall rechnen.

Allerdings arbeitet die CDU-Politikerin mit einigen ungedeckten Schecks. Dies geht aus dem neuen, noch nicht veröffentlichten Klimaplan der EU-Kommission hervor.

Laut dem 23-seitigen Entwurf setzt die EU-Kommission darauf, dass das europäische Emissionshandelssystem ausgeweitet und nachgeschärft wird. Das System soll auch auf Gebäude und den Straßenverkehr angewendet werden.

Bisher hat der Handel mit sogenannten Verschmutzungsrechten aber nicht die gewünschte Steuerungswirkung gebracht. Ob die Ausweitung auch zu weniger CO2-Emissionen führt, bleibt abzuwarten.

Außerdem will die EU-Kommission künftig die Landnutzung bei der Erfüllung des Klimaschutz-Ziels berücksichtigen. Die Aufforstung von Wäldern, der Verzicht auf Straßen etc. soll rund fünf Prozent der Einsparungen bei den CO2-Emissionen bringen.

Bisher wurde die Landnutzung jedoch gar nicht mitgerechnet. Dies relativiert das neue 55-Prozent-Ziel, es macht die Erfüllung für die EU-Staaten leichter.

„Dies gibt der EU ungefähr fünf Prozentpunkte mehr Einsparung ohne zusätzliche Action“, schreibt der Klimaexperte Oliver Geden auf Twitter.

Der Rechentrick dürfte es auch weniger ehrgeizigen Regierungen erleichtern, dem neuen, erhöhten Klimaziel zuzustimmen.

Allerdings will sich das Europaparlament damit noch nicht zufrieden geben. Der Umweltausschuss sprach sich am vergangenen Freitag nicht für 55, sondern für 60 Prozent Reduzierung der Treibhausgase bis 2030 aus.

„Das ist der Klimahammer“, freute sich der grüne Europaabgeordnete Michael Bloss. „Mit diesem Klimagesetz setzen wir neue Standards beim Klimaschutz für den größten Wirtschaftsraum der Welt.“

Abwarten…

Watchlist

Warum unternimmt die EU nichts gegen Menschenrechts-Verletzungen in der Türkei und Belarus? Das will das Europaparlament wissen, das am Dienstag den EU-Außenbeauftragten Borrell ins Kreuzverhör nehmen dürfte. Die Sanktionen gegen das Regime in Minsk sind immer noch nicht in Kraft, und die Drohungen aus Ankara gegen Griechenland, Zypern und Frankreich sind unbeantwortet gelieben… – Mehr hier

Was fehlt

Der EU-China-Videogipfel. Bei dem virtuellen Austausch am Montag haben sich Brüssel und Peking überraschend angenährt. Noch in diesem Jahr könnte es ein Investitionsabkommen geben, auch beim Klimaschutz wurde eine engere Zusammenarbeit vereinbart. Die Repression in Hongkong und die Menschenrechte spielten dagegen unter der Regie von Kanzlerin Merkel nur eine Nebenrolle…

Das Letzte

Im Streit um den Rechtsstaat in Polen ist die EU „zahnlos'“. Das räumte EU-Justizkommissarin Jourova bei einer Anhörung im Europaparlament ein. „Ich bedaure es sagen zu müssen, aber jüngste Entwicklungen haben gezeigt, dass die Situation nicht besser geworden ist“, sagte sie. Der geplante neue Rechtsstaats-Mechanismus dürfte daran nicht viel ändern – denn dem hat Polen zusammen mit Ungarn die Zähne gezogen…