Mit großem Zinsschritt in die Rezession
Wie erwartet, hat die EZB einen großen Zinsschritt gemacht und den Leitsatz um 0,75 Prozentpunkte erhöht. Gegen die Inflation bringt das wenig, stattdessen beschleunigt es den Absturz in die Rezession.
Es ist der größte Zinsschritt seit Einführung des Euro-Bargelds 2002: Die Währungshüter um EZB-Chefin Christine Lagarde haben beschlossen, den sogenannten Hauptrefinanzierungssatz um einen Dreiviertel-Prozentpunkt auf 1,25 Prozent zu erhöhen.
Die Währungshüter reagieren damit auf die ausufernde Inflation, die zuletzt mit 9,1 Prozent einen Höchststand erreichte. Sie wollen den Preisauftrieb eindämmen – wirken jedoch selbst wie Getriebene. Denn Lagarde hat die Zinswende viel zu spät gestartet.
Nun hat die EZB die Kontrolle verloren, viele Experten rechnen im Winter mit zweistelligen Inflationszahlen. Getrieben werden sie von den Mondpreisen an den Energiemärkten, um die sich die EU erst jetzt kümmert – auch viel zu spät.
Anstatt die Preise zu dämpfen, dürfte die Zinswende nun den Absturz in die Rezession beschleunigen. Denn wenn das Geld teurer wird, wird weniger konsumiert und investiert.
Zudem erhöht sie das Risiko einer Eurokrise – nicht alle EU-Länder können sich höhere Zinsen leisten.
Und das zu einer Zeit, da auch noch eine Banken- und Finanzkrise droht, wie die EU-Kommission selbst einräumt. Sind denn alle von allen guten Geistern verlassen?
Siehe auch “Brüssel warnt vor einer Finanzkrise”
Thomas Damrau
9. September 2022 @ 08:51
Die Welt ist ja manchmal wirklich unfair:
– Jahrelang hat die EZB um Preissteigerungen geradezu gebettelt – mit dem seltsamen Argument, dass nur solide Preissteigerungen die Bürger dazu bringen, ihr Geld auszugeben anstatt zu warten, bis es Besseres für das gleiche Geld gibt.
– Außerdem hat die EZB über ein Jahrzehnt mit mäßigem Erfolg versucht, durch billiges Geld Wirtschaftswachstum zu befeuern.
Und jetzt bekommt die EZB ihre Preissteigerung – leider die falsche: zu hoch und nicht wegen starker Nachfrage nach Produkten, sondern wegen explodierender Produktionskosten. Und wieder steht die Gefahr im Raum, dass die Bürger sich mit dem Kaufen zurückhalten – diesmal weil sie befürchten, dass ihnen unterwegs das Geld ausgeht.
Und die EZB kann schwerlich noch mehr Geld ins System pumpen. Also macht die EZB das Gegenteil und verteuert das Geld – um zumindest irgendwas zu tun. Es lebe der Dilettantismus!
So kommt es halt, wenn Zentralbanken ihre rechtlichen und intellektuellen Kompetenzen überschreiten und versuchen, Wirtschaftspolitik zu betreiben.
european
9. September 2022 @ 11:53
Die EZB hat nicht um Preissteigerungen gebettelt, sondern um Einhaltung der Zielinflation von damals 1.9%. Die Formel war ganz einfach: Loehne gemaess Produktivitaet plus Zielinflation. Voellig erfolglos, weil insbesondere die Exportnationen, allen voran Deutschland, die Niederlande und auch Oesterreich es ganz toll fanden, die Laender in Niedriglohnlaender zu verwandeln. Italien und Spanien lagen zeitweise etwas drueber, waren inzwischen aber auch unterhalb der Zielinflation. Zwischen dem europaeischen Musterschueler Frankreich und Deutschland lagen zuletzt etwa 20% Lohndifferenz im Verhaeltnis zur Produktivitaet. Kein Wunder also, dass Frankreich die Exporte weggebrochen sind und die Suedlaender nicht auf die Fuesse kommen. Dass deren Schuldenquote so hoch ist, liegt nicht am Big Spending, sondern am fehlenden Einkommen. Das BIP hatte vor Corona noch nicht das Niveau von vor der Finanzkrise erreicht. Es fehlten in beiden Laendern noch etwa 25%.
All das Geldpumpen hat nicht zur Inflation gefuehrt, weil die Kaufkraft nicht dahinter stand. Deswegen ist die aktuelle Geldpolitik auch so grundlegend falsch, aber Lagarde laesst sich von Medien und Politikern treiben, anstatt vernuenftige Geldpolitik zu machen. Auch die jetzige Zinspolitik wird das Problem nicht loesen, sondern verschlimmern.
Ganz grandios finde ich dann Vorschlaege, dass nun ganz Europa den Guertel enger schnallen sollte. Welches Wunderland mit Superkaufkraft soll denn dann all unsere Produkte kaufen? Monaco?
Varoufakis hat vor einigen Monaten einen sehr guten Artikel zum Thema Leitzins geschrieben, der zumindest sehr nachdenkenswert sein sollte. Aber es hoert ja niemand zu. Es fehlt das qualifizierte und intelligente Spitzenpersonal.
Thomas Damrau
9. September 2022 @ 18:11
@European
Einspruch, Euer Ehren!
Es ist nicht Aufgabe einer Zentralbank – unter welchen volkswirtschaftlichen Überlegungen auch immer – jeden Sonntag in Kirche eine Kerze anzuzünden und für eine angemessene Preissteigerung zu beten.
Die Preissteigerungsrate bildet sich von selbst nach diversen Parametern – wie Sie selbst oben erläutert haben. Deshalb ist mir das ständige „Herr, gib uns unsere 2% gib dieses Jahr“ von Draghi und Lagarde auf die Nerven gegangen.
Ansonsten stimme ich Ihnen vollumfänglich zu.
european
10. September 2022 @ 09:36
@Thomas Damrau
Doch, in diesem Fall ist es der Job der EZB.
Währungsunion heisst nichts anderes, als das Einhalten einer gemeinsamen Zielinflation. Loehne gemaess Produktivität bedeutet 0 Inflation. Länder mit hoher Produktivität erhöhen ihre Löhne eben stärker als Länder mit niedriger Produktivität. Genau so, dass die Kaufkraft im Land den vorhandenen Gütern entspricht.
Darauf setzt man die Zielinflation.
Gehandelt wurde umgekehrt, was die Eurokrise weiter vertieft und die Probleme vieler Länder verstärkt hat.
Die EZB ist nunmal die Hüterin der gemeinsamen Währung und da ist durchaus ihr Job, darauf hinzuweisen, wie das gemeinsame Ziel erreicht wird.
Zugehört hat kaum jemand und Deutschland hat gepredigt, dass nur alle so sparsam werden müssen wie wir.
Ja ja… 😉
KK
8. September 2022 @ 15:15
„Sind denn alle von allen guten Geistern verlassen?“
Das würde ja voraussetzen, dass es bei allen jetzt massgeblichen Entscheidungsträgern jemals „gute Geister“ gegeben hätte…
Gerade Lagarde (vorbestraft in Frankreich wegen „des fahrlässigen Umgangs mit öffentlichen Geldern“) und von der Leyen (mit dieser Praxis schon mehrtfach durchgekommen, weil massgebliche Kommunikation gelöscht wurde) haben ja keine „weisse Weste“ aka „gute Geister“ vorzuweisen…