Zu Merkels Verteidigung
Das war cool! Als US-Präsident Trump beim Nato-Gipfel behauptete, Deutschland sei ein „Gefangener Russlands“, konterte Kanzlerin Merkel, sie habe selbst erlebt, wie es unter den Sowjets zuging – doch das sei vorbei.
Die Bundesrepublik könne „eigenständige Entscheidungen fällen“, so die Kanzlerin – gegen Moskau sowieso, zur Not aber auch ohne Washington. Gut gekontert! Merkel weiß sich zu verteidigen, immerhin.
Dennoch bleibt ihre Haltung paradox. Denn wenn sie Russland so sehr vertraut, dass sie gegen den Willen vieler Nato-Partner Gas nach Deutschland liefern lässt – warum muss sie dann wieder aufrüsten?
Und wenn Deutschland souverän ist – warum müssen dann US-Truppen im Lande bleiben? Wieso empfindet es Merkel als Drohung, dass Trump den Abzug aus Deutschland prüfen lässt (oder mit dem Gedanken spielt)?
Richtig cool wäre es, wenn Merkel sagte, die Bundeswehr könne das Land allein verteidigen, die USA hätten ihre Schuldigkeit getan. Dann wäre auch die unsägliche Debatte über die Lastenteilung beendet.
Stattdessen lassen wir uns weiter von Trump zum Narren halten. Nach der Attacke auf Merkel tat der alte Gockel so, als verstünde man sich bestens – um kurz darauf zu fordern, das Verteidigungsbudget auf vier Prozent zu erhöhen!
Auch diese abenteuerliche Forderung ließe sich leicht kontern – mit dem Verweis auf die imperiale Politik der USA, die weltweit die militärische Vormacht bleiben will. Das hat nun ‘mal seinen Preis, hat mit der Nato aber nichts zu tun.
Aber so “eigenständig” will Merkel dann auch wieder nicht sein. Sie will mit Russland Geschäfte machen, auch gegen US-Interessen, gleichzeitig aber den Schutz der USA behalten. Das ist paradox, da hat Trump einen Punkt…
Siehe auch “Trump vs. Merkel – ist Deutschland ein ‘free rider'”? und “Die Transatlantiker haben verloren”
WATCHLIST:
- Vom Nato-Gipfel reist Trump nach London weiter. Am Donnerstag steht ein Dinner mit Wirtschaftsvertretern auf dem Programm, am Freitag trifft er sich zu Gesprächen mit Premierministerin May. Wird er wieder für den Brexit werben, sich gar mit Mays abtrünnigen Ex-Ministern Johnson und Davis zeigen? Da wäre der nächste Eklat programmiert…
- Stehen Deutschland und Frankreich im Handelsstreit mit den USA zusammen? Nachdem Finanzminister Le Maire Zweifel geäußert hatte, reiste Wirtschaftsminister Altmaier nach Paris, wo er einen Schulterschluss verkündete. Doch Zweifel bleiben – denn Deutschland will die Autozölle abschaffen, Frankreich ist Widerstand gegen Trump wichtiger…
WAS FEHLT:
- Freiheit für Griechenland. Auch nach dem Ende des dritten Bailouts wollen die Gläubiger das hochverschuldete Land weiter unter Kuratel stellen. Alle drei Monate sollen die Aufseher kommen. “Griechenland ist jetzt in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen, aber das bedeutet nicht, dass es alleine stehen muss”, sagte EU-Kommissar Moscovici. Wie zynisch.
- Österreichs Bundespräsident Van der Bellen wird das umstrittene EU-Freihandelsabkommen CETA vorerst nicht unterschreiben – er wartet auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes, den Belgien angerufen hatte. Es gibt Zweifel, ob die mit Kanada vereinbarten Schiedsgerichte mit EU-Recht konform gehen, meldet der “Standard” aus Wien.
Meier, Uwe
12. Juli 2018 @ 12:45
Wenn wir mit Russland dauerhaft befreundet wären, bräuchten wir gar keine Bundeswehr. Ich vermisse ein aktive Friedenspolitik, um das Geld und die Ressourcen zu sparen. Es kann sinnvoller verwendet werden.
Wie brüchig die Freundschaft mit den USA kann daran erkannt werden, dass es eigentlich nur noch um Geld geht. Unsere viel beschworende “Wertegemeinschaft” ist doch eine Worthülse geworden.
Russland brauchen wir als Feind, um Waffenschmieden zu rechtfertigen und um Geld zu verdienen.
Solveig Weise
12. Juli 2018 @ 10:49
Die Bezeichnung von Handlungen einer Angela Merkel als “cool” habe ich zunächst als Realsatire aufgefasst. Dies scheint jedoch Ernst gemeint zu sein. Natürlich weiß Merkel wie es sich anfühlt wenn ein Land (hier die DDR) fremdbestimmt ist. Sie war ja eng mit dem SED Propagandaregime verbunden. Definitiv nicht ernst nehmen kann man jedoch den Vorschlag Merkel solle behaupten die Bundeswehr könne das Land eigenständig verteidigen…..Womit den bitte? Mit Flugzeugen die nicht fliegen und Booten die nicht auslaufen können? Nicht “cool” sondern absolut lächerlich wäre eine solch dümmliche Ansage. Zuzutrauen wäre es der Dame natürlich.
Peter Nemschak
12. Juli 2018 @ 09:13
Wer hat in Deutschland eine schlagkräftige Armee permanent hintertrieben und tut es auch heute noch? Wer predigt ständig den bequemen pazifistischen Diskurs und ruiniert den Wehrwillen? Haltet den Dieb! Realistischerweise werden wir die USA in Europa noch einige Jahre bis zum Aufbau einer schlagkräftigen Armee benötigen. Je früher wir damit beginnen, desto größer wird der politische Bewegungsspielraum Europas.
ebo
12. Juli 2018 @ 09:42
Die Linken, Sozis und die Grünen? Ähem, nein. Die Verteidigungsminister kamen und kommen fast alle aus der CDU, die Kanzlerin heißt seit 12 Jahren Merkel (CDU).
Peter Nemschak
12. Juli 2018 @ 10:11
Das mag sein. Politisch gegen den Wind pinkeln ist naiv. Die Linken und Grünen hätten die Verteidigungsminister in die Zange nehmen und an ihre Pflichten erinnern können. Der Hinweis auf die deutsche Geschichte wurde immer wieder als bequeme Ausrede und Totschlagargument bemüht statt zu sagen, Geschichte ist Geschichte. Tut uns leid, in Zukunft werden wir es anders machen. Immerhin sind seit 1945 mehr als 70 Jahre vergangen, andere unbelastete Generationen im aktiven Leben. Die Zukunft gehört einer europäischen Verteidigungspolitik und zu ihrer Umsetzung wird es einer europäischen Armee bedürfen. Nach dem Austritt des UK fällt die alleinige atomare Verteidigung Europas Frankreich zu und ist auf glaubwürdige Abschreckungswirkung gegenüber jedem möglichen Gegner zu erhöhen. Dessen ungeachtet müssen die anderen EU-Mitglieder konventionell und digital aufrüsten. Die digitale Aufrüstung hätte wie andere Rüstungsvorhaben die nützliche Nebenwirkung Europa digital an die Weltspitze zu bringen mit entsprechend positiven Auswirkungen auf den zivilen Sektor. Ohne den Kalten Krieg hätten wir vielleicht bis heute kein Internet. Die internationale Staatengemeinschaft ist keine Lämmerherde und wird es nie sein, warum auch? Diese Lehre müssen wir aus dem Paradigmenwechsel der USA spät aber doch ziehen. Weder die Heilige Allianz noch die pax britannica und pax americana haben ewig gehalten. Die einzige Konstante ist der soziale und damit politische Wandel mit stets unsicherer und nicht voraussagbarer Zukunft.
Kleopatra
12. Juli 2018 @ 08:15
Die Vorstellung, die Bundeswehr könne Deutschland gegen Russland verteidigen, ist so absurd, dass sie noch nicht einmal von Merkel bei Annette Will geäußert würde. Abgesehen von den Truppenstärken kann nicht nur Russland mit Atomwaffen drohen, sondern es hat auch im Zweifel die technische Ausrüstung seiner Armee nicht systematisch verkommen lassen wie Deutschland.
Tatächlich sind die nach “Courage gegenüber Trump” klingenden Sprüche nicht an Trump gerichtet, sondern an deutsche linke Journalisten, denen A.M. damit gefallen will. Die Realität ist einfach: Die deutsche Politik jeder Couler und Partei legt hohen Wert auf die Verteidigung im Rahmen der NATO, d.h. mit den USA zusammen, und jeder amerikanische Präsident fragt sich, wie man die BRD dahin kriegt, dass sie auch selbst materiell dazu beiträgt. Die berüchtigten zwei Prozent, auf denen Trump gegenwärtig herumreitet, waren ja mit Friedensnobelpreis-Obama vereinbart worden.
Nord Stream 2 steht auf einem anderen Blatt. Hierzu nur folgende Überlegung: Gazprom hatte ja auch eine Leitung im Süden über den Balkan geplant. Das haben sie aufgegeben, als klar wurde, dass diese Leitung dem EU-Recht über Infrastruktur zum Transport von Energi unterliegen würde. Bei Nord Stream 2 will man argumentieren, sie liege ja in internationalen Gewässern und unterliege daher nicht dem EU-Recht. Wenn nun Deutschland mit Russland bei einem Projekt massiv kollaboriert, dessen Attraktivität für Russland hauptsächlich darin besteht, dass es dem EU-Recht nicht unterliegt (bzw. unterliegen soll; die Kommission ist glaube ich noch anderer Meinung), zeigt das, wie wenig weit Merkels Sprüche von ihrer Loyalität zur EU in Wirklichkeit tragen.
ebo
12. Juli 2018 @ 08:39
Dazu ein schöner Kommentar aus der “NZZ”:
Kleopatra
12. Juli 2018 @ 09:11
Da die deutsche Politik sich somit für die Landesverteidigung in exmtremem Maß auf den monopolistischen Verteidigungs-Dienstleister USA verlässt, ist es eigentlich nicht mehr als recht und billig, wenn dieser von Zeit zu Zeit eine Neuverhandlung seines Honorars ansetzt. Der Unterschied zwischen Obama und Trump dürfte in dieser Frage mehr im Stil als in der Substanz liegen (eine extreme Forderung wie “4%” gehört in den Bereich der Verhandlungstaktik).
ebo
12. Juli 2018 @ 09:40
Es gibt auch noch UK und Frankreich, beides Atommächte, beide mit Deutschland befreundet. Doch von Paris und London möchte Berlin offenbar nicht abhängig sein. Es würde die deutsche Dominanz in Europa gefährden, auch die wirtschaftliche – denn ein Burden Sharing hätte seinen Preis. Insofern trifft Trump einen wunden Punkt…
Kleopatra
12. Juli 2018 @ 10:56
@ebo 12.07. 9:40: Ich glaube, dass es nicht nur am Unwillen zur Zusammenarbeit mit/Abhängigkeit von GB und Frankreich liegt. Böse Zungen meinen ja auch schon, dass Deutschland Frankreich dafür bezahlt, dass es auch im Interesse Deutschlands in Afrika eingreift. M.E. sind F und GB einfach als “Anbieter von Verteidigungsdienstleistungen” nicht mit den USA zu vergleichen.
Wie übrigens eine politische Zusammenarbeit mit GB zum gegenwärtigen Zeitpunkt aussehen sollte, ist eine schwer zu beantwortende Frage. Der Standpunkt, ihnen bei den Austrittsverhandlungen kollektiv unfreundlich gegenüberzutreten, ist nicht unbedingt sinnvoll. Vielleicht sollte man sich einfach einmal vorstellen, GB wäre da, wo es tatsächlich liegt, aber es wäre nie Mitglied der EU gewesen. Welche Konditionen eines Nachbarschaftsvertrages würden wir dann akzeptieren?
Oudejans
12. Juli 2018 @ 17:16
>>”Es gibt auch noch UK und Frankreich, beides Atommächte, beide mit Deutschland befreundet.”
Mit Frankreich bleiben der EU vier Bötchen und ein Träger. Lächerlich bei 450 Mio. Werktätigen.
Und Seehofers Brief an das “befreundete” (wie wahr!) Albion war ja nicht mit der Bundesregierung abgestimmt… Tant pis!
Man braucht kein Flüchtlingsargument, um die Parallelwelt aufzuzeigen, aus der die Kanzlerin uns zuwinkt…