“Merkel springt Juncker bei”
Wenn Kanzlerin Merkel jemandem ihr vollstes Vertrauen ausspricht, ist es meist nicht mehr weit bis zum Rücktritt. Deshalb klingt alarmierend, was die “Süddeutsche” schreibt: “Merkel springt Juncker bei”.
Ist es wirklich schon so eng für den Chef der EU-Kommission? Muss er um seinen Job fürchten? Das kommt darauf an – was Merkel macht und was ihr Finanzminister Schäuble will.
Schäuble sägt bereits seit einem Jahr an Junckers Stuhl. Schon im Schuldenstreit mit Griechenland hat der “überzeugte Europäer” den “ewigen Europäer” Juncker brutal ausgebremst.
Jetzt sägt er schon wieder – diesmal gleich an den Grundfesten der EU. Denn Schäubles Vorschlag, die Kommission zu entmachten und wichtige Fragen in die Staaten zurück zu verlagern, ist mit dem EU-Vertrag nicht vereinbar.
So viel zum Thema “Vertragstreue” des CDU-Ministers. Die große Frage ist nun, ob und wieweit Merkel den Vorstoß Schäubles mitträgt. Dabei kommt noch ein anderer Politiker ins Spiel.
Denn EU-Parlamentschef Schulz hätte gern eine weitere Amtszeit. Auch darüber muss letztlich Merkel befinden. Dabei dürfte auch ihr Vize Gabriel, der SPD-Chef, ein Wörtchen mitreden.
Kurz: In Berlin ist ein Machtkampf entbrannt, der Streit erschüttert das deutsche EUropa. Wer sich am Ende durchsetzt und wer dran glauben muss, ist längst nicht ausgemacht…
alex
5. Juli 2016 @ 20:11
Das Ceta-Abkommen über die EU-Kommision zu beschiessen ist eindeutig rechtswidrig,
ein Beitrag z.B. dazu hier: http://norberthaering.de/de/27-german/news/649-merkel-gabriel-ceta#weiterlesen . Auf der anderesen Seite soll darüber der Bundestag bereits im September entscheiden, also über ein hochtechnisches Regelwerk von mehreren Tausend Seiten, über die bisher inhaltlich noch keine Übersetzung vorliegt und daher nicht beraten wurde. Einfach unglaublich.
Noch ein zweiter Punkt ist zu bedenken: für Europa wäre die Annahme von CETA ohne TTIP (was durchaus real ist, das haben die USA bereist signalisiert) ein riesiger Fehler, denn ohne TTIP wären die US-Staaten und Städte frei, die allermeisten europäischen Unternehmen von staatlichen Aufträgen fern zu halten. Dazu schreibt Norbert Häring in seinem Blog: Die in den TTIP-Leaks deutlich gewordene kompromisslose Haltung der US-Regierung zeigt klar, dass für die USA gilt: CETA plus restriktives TTIP ist schlechter als CETA und gar kein TTIP. Für die Europäer ist das natürlich umgekehrt. CETA und kein TTIP ist der Super-Gau.
Mehr dazu hier: http://norberthaering.de/de/27-german/news/611-ttip-falle#weiterlesen oder hier: http://www.attac.de/index.php?id=71381
Claus
5. Juli 2016 @ 16:25
Etwas mehr Gelassenheit würde der Sache gut tun. Ist die Lüge inzwischen nicht als probates Mittel der Politik zu sehen und wird sie von der Öffentlichkeit nicht als ihre Eigenheit wohlwollend geduldet? Da haben sich weder Cameron noch Farage von dem abgehoben, was man täglich gewohnt ist. Wie von Skyjumper bereits angemerkt – auch die öffentlich-rechtlichen Medien betreiben Brexit-Bashing vom Allerfeinsten und tun so, als hätten sie noch nie etwas vom Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar gehört. Da ist „Wegschleichen“ der mildeste verbale Ausfall. Wo blieb der mediale Aufschrei beim öffentlichen Juncker-Bekenntnis zur Lüge, wo bei „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben“, wo „Es ist unfair, die Politik an dem zu messen, was vor den Wahlen gesagt wird“, wo (Bundestagswahl 2005) „Mit uns keine USt.-Erhöhung“ versus „Wir wollen 18 statt 16% USt.“ = 19% USt. nach der Wahl und Koalitionsbeschluss? Hat das alles noch irgendjemand aufgeregt, sind da Köpfe gerollt oder ist jemand aus dem Tempel gejagt worden? NEIN!
Wenn alle, die die Brüssel-EU wollen, darin bleiben und bereit sind, diesen Abgrund demokratischen Fehlverständnisses weiterhin zu alimentieren, und alle, die das nicht wollen, sie verlassen und ihre Interessen bi- oder multilateral regeln, und dies die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben ohne ständiges Gezänk über Euro, Bankenrettung oder Immigration sein könnte, wäre das vermutlich das beste Zukunftsmodell für Europa.
Sehe gerade: Euro / Pfund liegt fast noch im 2008-Langfristtrend zugunsten des Pfunds Sterling, der FTSE 100 liegt höher als vor dem Brexit (während der DAX noch schwächelt!), Big Ben ist nicht kollabiert und seine Glocken läuten noch. Wo ist also das Problem?
Peter Nemschak
5. Juli 2016 @ 14:11
Beide sind aus höchst eigensüchtigen Motiven angetreten. Dass Farage sich von der “Gesundheitslüge” heute distanziert , obwohl er sie nie richtiggestellt hat und liebend gerne davon profitiert hat, auch wenn er sie selbst nicht in die Welt gesetzt hat, zeigt, wes Geistes Kind er ist. Würden Sie von den beiden Herren einen Neuwagen, weil Verdacht auf Montagsfahrzeug, oder gar einen Gebrauchtwagen kaufen? Bei uns nennt man so ein Verhalten Rosstäuscherei.
ebo
5. Juli 2016 @ 14:45
@Nemschak Mir ist diese Kritik etwas zu billig. Farage und Johnson haben gelogen, dass die Balken biegen, richtig. Aber Cameron und die übrigen EU-Politiker haben es versäumt, die Lügen richtigzustellen. Zudem hatten auch sie keinen “Plan B”, genauso wenig wie die Brexiters. Selbst jetzt, nach dem Referendum, verweigert die EU Antworten darauf, wie es nun weitergehen soll. Stattdessen wurde Cameron beim letzten EU-Gipfel hofiert wie ein guter alter Freund. Dabei war er es, der sein Land und die Zukunft der EU verzockt hat – ebenfalls aus höchst eigensüchtigen Motiven…
Peter Nemschak
5. Juli 2016 @ 18:38
Cameron hatte ich schon früher abqualifiziert. Für den freundlichen Abschied für ihn gilt: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.
Skyjumper
5. Juli 2016 @ 15:41
@ Peter Nemschak
Ich würde den beiden nicht einmal einen Lolli abkaufen, um das ganz klar zu sagen.
Aber das war in dem Fall auch nicht mein Punkt. Mir ging es darum dass Sie unhinterfragt eine wertende Begrifflichkeit (Flucht) aus Presse/Rundfunk/Fernsehen übernommen haben und damit bewußt oder unbewußt zu einem Multiplikator werden.
Und das hier wieder einmal sehr deutlich wird in welcher Form die Medien versuchen uns zu lenken. Nein, nicht indem sie richtiggehend lügen, aber indem sie manipulativ berichten, z.B. durch das Weglassen von Hintergründen.
“Beide sind aus höchst eigensüchtigen Motiven angetreten. Dass Farage sich von der “Gesundheitslüge” heute distanziert , obwohl er sie nie richtiggestellt hat und liebend gerne davon profitiert hat, auch wenn er sie selbst nicht in die Welt gesetzt hat, zeigt, wes Geistes Kind er ist.”
Ganz ehrlich: Welcher Politiker ist heute noch anders? Leider ist es so, dass die meisten von uns diese Charakterlosigkeit zwar bei den Vertretern der “Gegenpartei” wahrnehmen, es aber bei unseren eigenen ideologischen Vertretern beharrlich ausblenden. In meiner Jugend gab es ein geflügeltes Wort: “Verbrandt (von Willi Brandt) oder Verkohlt (von Helmut Kohl) ist völlig egal”. Besser ist es seitdem nicht geworden.
Peter Nemschak
5. Juli 2016 @ 18:37
Warum sollen die Politiker jedweder Couleur weniger charakterlos sein als ihre Wähler? Schließlich wählen die meisten Menschen jene Partei, von der sie sich das meiste für sich selbst erhoffen. Das nennt man rational choice. Sie ist allerdings irrtumsanfällig.
Skyjumper
5. Juli 2016 @ 13:41
“Johnson und Farage auf Grund ihrer Flucht zu alleinigen Sündenböcken hochstilisiert werden…….”
Ich glaube ja mit Ihnen daran, dass die Beiden für diese Rolle auserkoren wurden. Warum die Beiden in den deutschen (in den britischen nur teilweise) Medien jedoch als “Flüchtlinge” stigmatisiert werden ist wahrheitsgemäß nicht zu begründen.
Farage als Vorsitzender der UKIP hätte in keinem Fall etwas mit der Bewältigung eines Brexit-Beschlusses zu tun gehabt. UKIP verfügt über 1 !!! Sitz im 650 Abgeordnete umfassenden Unterhaus. Davon abgesehen könnte sich eigentlich die gesamte UKIP auflösen da das Parteiprogramm politisch erfüllt ist und innenpolitisch von Tories und Labour bereits erklärt wurde dass man die UKIP nicht an den Brexit-Verhandlungen beteiligen wolle.
Johnson wiederum wurde von seiner Parteispitze geschasst und hat nach dem was man von den Tories hörte nicht ganz freiwillig auf seine Kandidatur verzichtet. Wohl auch der Grund warum er nun etwas überraschend Leadsom unterstützt und nicht den ihm politisch eigentlich näher stehenden Gove.
Aber diese Hintergründe finden sich in den deutschen Medien leider kaum. Wieder mal ein Beispiel dafür warum man die deutschen Medien als Informationsmedien weitgehend nicht mehr ernst nehmen kann.
Peter Nemschak
5. Juli 2016 @ 11:55
Verträge kann man interpretieren oder auch ändern. Ohne personelle Maßnahmen wird es in der Kommission allerdings nicht abgehen. Damit lenkt man von alten Fehlentscheidungen ab und erzeugt Zukunftsneugierde, wenn nicht Zukunftshoffnung. In Großbritannien können nunmehr Johnson und Farage auf Grund ihrer Flucht zu alleinigen Sündenböcken hochstilisiert werden, was den BREXIT, dem das Parlament zustimmen muss, mittlerweile wieder unsicher macht. Der österreichische Finanzminister Schelling rechnet nicht mit einem BREXIT. Er war früher erfolgreich in der Wirtschaft tätig. Dadurch ist er mit “kaufmännischen” Lösungen vertraut: man darf dem Geschäftspartner (=Interessensgegner) die Türe nicht endgültig zuschlagen, sonst kann man mit ihm in der Zukunft kein Geschäft mehr machen. Vom Geschäft lebt nicht nur die Wirtschaft sondern auch die Politik. beiden gemeinsam ist das Eigeninteresse der Akteure, ausgedrückt in Geldscheinen oder Machtmünzen.