Luftraum-Verletzung in Estland – der fehlende Kontext
Die (angebliche) Verletzung des estnischen Luftraums durch russische Kampfjets wird zur Staatsaffäre. Der UN-Sicherheitsrat kommt deshalb am Montag zu einer Sondersitzung zusammen. Auch der Nato-Rat wird sich mit dem Vorfall befassen. Was ist da los?
Ich habe versucht, den Vorfall einzuordnen. Und siehe da: Die Sache sieht gleich ganz anders aus, wenn man den politischen und militärischen Kontext einbezieht.
Zum politischen Kontext gehört eine Ankündigung des Pentagon, die US-Hilfe für das Baltikum einzuschränken. Das dürfte Estland und die anderen Balten aufgeschreckt haben.
Nun stellen sie selbst kleine Vorfälle wie den über der winzigen Insel Vaindloo als riesige Bedrohung dar – vermutlich, um das Pentagon und US-Präsident Trump umzustimmen.
Das könnte sogar gelingen: Jedenfalls sicherte Trump den Baltenstaaten und Polen den Beistand der USA im Falle einer Eskalation durch Russland zu.
Zum militärischen Kontext gehört, dass Estland versucht, seinen “exklusiven” Luftraum über der Ostsee auszuweiten. Nach offizieller Lesart reicht er bis zur Grenze der EEZ – Russland sieht dies aber anders.
Die von Estland veröffentlichte Flugroute zeigt, dass die russischen Jets schnurgerade entlang der EEZ-Grenze geflogen sind, womöglich ein wenig innerhalb. Sie haben nicht versucht, auf Tallin zuzusteuern.
Zum militärischen Kontext gehört auch, daß die umstrittene Flugroute in die russische Enklave Kaliningrad führt. Die Russen provozieren nicht und greifen nicht an – sie fliegen auf einen Airport in ihrer Heimat.
So Estonia decided to publish a map exposing Russia’s alleged "airspace violation"
— Richard (@ricwe123) September 20, 2025
Russian planes flying over neutral Baltic waters, safely over 3 kilometers from Vaindloo Island.
They were only in the airspace above Estonia's EEZ (beyond 12 nautical miles from the coast)
This… pic.twitter.com/w9SwRAPEu3
“Kein Grund zur Panik”
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Dabei hat es schon öfter Luftraum-Verletzungen gegeben – ein Experte nennt 40 Fälle seit 2014. Estland und die Nato haben seither auch eine gewisse Routine des “Air policing” entwickelt.
Zwar dauerte der Vorfall diesmal länger als gewöhnlich. Außerdem ist die Öffentlichkeit durch die Drohnen-Vorfälle in Polen alarmiert. Dennoch bestehe “kein Grund zu Panik“, so der o.g. Experte. Zitat:
Despite appearances – carefully cultivated by Moscow – this was a cautious infringement. The Russians deviated only slightly from their usual route, left themselves the excuse of a navigational error, carried no visible armaments, and complied when NATO fighters forced them out.
Dementsprechend gelassen gibt sich die Nato. Sie hat es mit Gegenmaßnahmen nicht eilig – warum auch? Es bestand keine Gefahr. Und nicht nur Russland verletzt regelmäßig den alliierten Luftraum.
Türkei ist viel aggressiver
Wesentlich aktiver – und aggressiver – geht das Nato-Mitglied Türkei vor. Allein 2022 registrierte Griechenland mehr als 200 unerlaubte Luftraumverletzungen durch türkische Kampfjets.
Oftmals wurden dabei auch bewohnte griechische Inseln wie Agathonisi und Samos überflogen, in einigen Fällen kam es sogar zu simulierten Luftkämpfen (sog. Dogfights).
Doch das wird in den aufgeregten Berichten über Estland verschwiegen. Wenn die Türkei mal erwähnt wird, dann als “Vorbild”, weil sie 2015 einen russischen Jet abgeschossen hat.
Danach war aber keineswegs Ruhe, wie viele Heißsporne behaupten. Vielmehr heizte sich der Konflikt bedrohlich auf; erst ein Gipfeltreffen konnte die Krise beenden. Die Nato war machtlos…
Siehe auch den Update Estland: Von russischen Jets ging keine Gefahr aus
P. S. Übrigens stößt Israel derzeit wilde Drohungen gegen die Türkei aus – es könne das nächste Katar sein. Dazu hören wir aber nichts aus der Nato oder der EU. Warum nur?

Jäger
22. September 2025 @ 13:57
Ich erinnere mich nicht, daß Russland jemals ein europäisches Land angegriffen hat. Und das machen sie auch zukünftig nicht denn die sind lerne Selbstmörder. Sie werden sich von allein niemals mit der Nato anlegen. Der Zwischenfall ist ein stellen in Wasserglas und die Esten versuchen durch viel Geschrei nach Melnik-Art die Nato in einen Konflikt zu ziehen.
KK
22. September 2025 @ 16:15
Es ist nicht entscheidend, was die Russen tun – entscheidend ist, was man den EUropäern glauben macht, dass die Russen täten.
WBD hat es ja unten schon auf den Punkt gebracht!
Arthur Dent
23. September 2025 @ 07:28
Ich glaub ja schon viel über die sagenumwobene russische Armee, aber das sie uns mit 19 „leeren“ Drohnen und drei altersschwachen MIGs (die nur mit ihren Luft-Luft-Raketen zur Selbstverteidigung bewaffnet und auch nicht sonderlich schnell unterwegs waren) angreifen, fällt bei mir in die Kategorie „Schauermärchen“. Nach Kartenmaterial sind die über eine Strecke von grob geschätzt 150 – 200 km hart an der Grenze zum internationalen Luftraum und Hoheitsgebiet Estlands geflogen. Beim Abfangpunkt der italienischen F-35 waren die längst wieder im internationalen Luftraum und wurden dann weiter eskortiert.
Wer möchte, kann unter der Schlagzeile „Flug in der Grauzone“ auch im Militär-Blog „Augen geradeaus“ von Thomas Wiegold den Vorfall nachlesen.
KK
22. September 2025 @ 13:36
„P. S. Übrigens stößt Israel derzeit wilde Drohungen gegen die Türkei aus – es könne das nächste Katar sein.“
Das würde spannend, wenn dann das NAhTOd-Mitglied Türkei den Artikel-5-Joker aus dem Ärmel zöge…
european
22. September 2025 @ 09:40
Bisher hat sich noch jedes hysterische „Die Russen warn’s“ anschliessend in Luft aufgeloest. Angefangen vom Hunter-Biden Laptop ueber Nordstream bis hin zu den aktuellen Vorfaellen.
Immer nach dem Motto „Kein Rauch ohne Feuer“ oder es wird schon etwas bei den Buergern haengenbleiben. Es wird aber fuer die EU nicht gut ausgehen, wenn man weiterhin den oestlichen Laendern die Fuehrung ueberlaesst. Deren „schlechte“ Erfahrung bezieht sich auf die Sowjetunion, die es seit Dezember 1991 nicht mehr gibt.
Bogie
22. September 2025 @ 10:13
@european: „Deren „schlechte“ Erfahrung bezieht sich auf die Sowjetunion, die es seit Dezember 1991 nicht mehr gibt“ … und deren mitgestaltende Teile die baltischen Länder waren (wie im Übrigen auch die Ukraine), was keinesfalls vergessen werden sollte.
Bogie
22. September 2025 @ 08:59
Wir werden auf den großen Krieg mit Russland eingestimmt.
Möglichst täglich mit irgendwelchen angeblichen Provokationen, wovon sich mindestens die Hälfte als erlogen und der Rest als aufgebauscht darstellt.
Das ist auch keine Verschwörung, sondern das geschieht offen und für jeden (der will) leicht erkennbar. Gleichwohl verfehlt es seine Wirkung nicht. Auch bei weniger kriegsaffinen Menschen in meiner Bubble (und das sind fast alle) steigt die auch für sie selbst rational kaum erklärbare Furcht vor Russland. Dagegen fürchten sich nur wenige Leute vor den derzeit in Deutschland und EUropa Regierenden, obwohl das, lässt man die ideologischen Scheuklappen weg und betrachtet es mal historisch, viel angebrachter wäre: Wann immer sich Deutschland militärisch stark wähnte in den letzten gut 100 Jahren, kam es zur Katastrophe. Unsere jetzigen Eliten (in D, unterstützt von der EU) steuern aber (ganz offen und ohne jede Scham) genau diesen Zustand an.
Ich sehe derzeit auch keinen Hoffnungsschimmer am Horizont, der das noch abwenden könnte.
Ist das Pessimismus?
Ich hoffe es und hoffe dazu, dass ich Unrecht habe.
WBD
22. September 2025 @ 08:45
Merke: Gleiwitz ist überall…
hg
22. September 2025 @ 08:37
Auch in PL war s wohl ganz anders, als Propaganda es glauben machen wollte!