Lauter falsche Zeilen
Die deutsche Berichterstattung über die Spannungen in der Eurozone wird immer einseitiger. Pünktlich zum Besuch des neuen italienischen Premiers Letta in Berlin wird Italien als Schuldensünder dargestellt.
„Schuldenpolitik: EU drängt Italiens neue Regierung zu Sparkurs“, titelt etwa SPON.
Dabei hält Italien die Maastricht-Kriterien ein. Das Land ist weder Schulden- noch Defizitsünder noch hängt es am Tropf des Euro-Rettungsschirms – es ist wie Deutschland ein Geberland! Was fehlt, ist Wachstum, und dafür will Letta sorgen.
Aber das wird dem SPON-Leser vorenthalten. Auch, dass die EU erst Ende Mai ihr Urteil zu Italien abgibt, wird verschwiegen. Es könnte ja die schöne Story kaputt machen, die den Eindruck erweckt, „wir“ müssten für „die Italiener“ zahlen…
Noch doller treibt es das „Handelsblatt“. „Angst vor dem Frankreich-Absturz“, titelt das Wirtschaftsblatt. Wer diese Angst haben soll, schreibt das HaBla nicht. Die Märkte jedenfalls nicht – die Spreads sind niedrig wie nie.
Und dass FDP-Chef Rösler – die offizielle Quelle für diesen offiziösen Artikel – Angst vor einem Absturz Frankreichs haben soll, glaubt ja wohl niemand. Der hat höchstens Angst vor dem Absturz der FDP…
Doch wo so schön Stimmung gemacht wird, darf die „Bild“-Zeitung natürlich nicht zurückstehen. „Fiese Frust-Attacken gegen Merkel“ haben sich die Springer-Journalisten heute ausgedacht.
Im Kleingedruckten lesen wir dann, dass die „fiesen“ Passagen alle schon wieder aus dem Entwurf der Sozialisten gestrichen wurden. Und dann kommt’s:
Nach „Handelsblatt“-Informationen kursiert im Wirtschaftsministerium ein Schock-Papier. Darin rechnen Experten aus dem Haus von Philipp Rösler (FDP) mit der französischen Industrie-Politik ab und listen auf, was derzeit in der Grande Nation schlecht läuft. Kurzum: Die Bundesregierung stellt seinem wichtigsten Euro-Partner ein vernichtendes Zeugnis aus.
So läuft also der Hase: „Bild“ schreibt beim „Handelsblatt“ ab, das wiederum versucht, mit „SPON“ Schritt zu halten. Kein Wunder, dass bei diesem Wettlauf der schlimmsten und fiesesten Krisenmeldungen die Fakten auf der Strecke bleiben…
marty
30. April 2013 @ 18:10
@ebo: Es ist natürlich sehr ehrenwert, dass Du die romanischen Länder gegen die gleichgeschaltete deutsche Hetz-Presse verteidigst.
Dennoch haben die neoliberalen Dummköpfe in den deutschen Redaktionen auf eine verquere Weise recht − vielleicht sogar mehr als Du.
Man kann etwas Falsches sagen und auf einer Meta-Ebene trotzdem richtig liegen − so wie die griechischen Demonstranten, die „Bundeskanzlerin“ Merkel mit Hitler vergleichen. Vordergründig sicher zu unrecht, denn Merkel ist kein Nazi. Aber das Ergebnis ihrer dummdreisten und größenwahnsinnigen Politik ist das gleiche wie beim „Führer“: die Zerstörung Europas.
Ähnlich verhält es sich beim „Bashing“ der deutschen neoliberalen Presse gegen Südeuropa (inkl. Frankreich). Wenn man mal Polemik, Hetze und diese unerträgliche Schuld(en)-Frage weglässt, bleibt unterm Strich: die romanischen Volkswirtschaften siechen vor sich hin und haben innerhalb des Euros keine Chance, daran etwas zu ändern. Und was genau ist an dieser Aussage falsch?
Da hilft es auch nix, wenn Du betonst, dass Italien die Maastricht-Kriterien einhält (OK, bis auf die Gesamt-Verschuldung). Erstens waren die Maastricht-Kriterien von Anfang an unsinnig − sie haben den Euro-Beitritt ungeeigneter Länder (Spanien, Portugal, Italien, Griechenland) nicht verhindert.
Zweitens wird die sture Einhaltung dieser idiotischen Benchmarks mit der Zerstörung der italienischen Volkswirtschaft erkauft − und mit einer verlorenen Generation von Arbeitslosen und Unterbeschäftigten.
Sogar eine kluge Frau wie Außenministerin Emma Bonino huldigt neuerdings dem Maastricht-Götzen („Italien kann die 2,9 Prozent nicht neu verhandeln“).
Lass Dich nicht vom Brüsseler Benchmark-Fetischismus anstecken, ebo! Südeuropa (inkl. Frankreich) stirbt vor unseren Augen … da ist die vom HaBla erwähnte Angst durchaus legitim.
ebo
30. April 2013 @ 22:03
@Marty
Keine Sorge, ich huldige keinem Benchmark-Fetichismus. Ich versuche nur die irreführenden Berichte richtigzustellen. Übrigens leidet nicht nur Südeuropa, auch der „Kern“ der Eurozone kriselt. Neben Frankreich zähle ich dazu die Niederlande, Belgien und sogar Finnland. Selbst Deutschland schwächelt gewaltig…