Krude Deals – Wie in der EU Politik gemacht wird
Was haben die umstrittenen Uploadfilter und die Gaspipeline Nord Stream II miteinander zu tun? Nichts. Dennoch sollen Deutschland und Frankreich beide Themen miteinander verknüpft haben. Ein kruder Deal – und der nächste steht vielleicht schon im Raum.
Über die merkwürdige Verquickung zweier Themen berichtete zuerst die “FAZ”. “Altmaier opfert Start-ups im Urheberrecht”, hieß der Beitrag, in dem ein überraschender Bezug zum deutsch-französischen Streit um Nord Stream II hergestellt wurde.
Demnach suchte Berlin Ende Januar französische Hilfe bei der deutsch-russischen Gaspipeline. Paris habe dafür aber einen Preis gefordert – eine schärfere Gangart im Urheberrecht. Deshalb sei Altmaier von Kanzlerin Angela Merkel zurückgepfiffen worden, so das Blatt. Zitat:
Frankreich sträubte sich damals, bei der für den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 wichtigen EU-Gasrichtlinie auf die Wünsche Deutschlands einzugehen. Das zeitliche Zusammenfallen mit dem Urheberrecht bot nun neue Möglichkeiten, den Knoten zu durchschlagen. Die Franzosen gehören in der EU traditionell zu den Befürwortern eines sehr strengen Urheberrechts. (…) Die Gasrichtlinie spielte Frankreich nun einen Trumpf zu: In Brüssel erwähnte ein Vertreter Frankreichs diese nützliche Koinzidenz ganz offen, erfuhr diese Zeitung. Im Wirtschaftsministerium geht man von einer Verknüpfung der beiden Themen aus.
Quelle: FAZ
Beweisen lässt sich das natürlich nicht – doch der Verdacht steht im Raum, dass da eine “Verknüpfung” hergestellt wurde. In Brüssel macht sogar ein neuer Verdacht die Runde: Der krude Deal zwischen Merkel und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron könnte nicht der Letzte gewesen sein.
Es gibt nämlich schon wieder zwei deutsch-französische Streitthemen: die deutschen Restriktionen bei den Rüstungsexporten – und das französische Zögern bei neuen Handelsgesprächen mit den USA. Macron will Waffen verkaufen, Merkel will einen Deal mit US-Präsident Donald Trump.
Am Mittwoch wollen sich die EU-Botschafter über den Handelsstreit mit den USA beugen. Alle seien genervt von der französischen Blockade, heißt es: Macron spielt nämlich auf Zeit. Er möchte nicht den Eindruck erwecken, vor der Europawahl gegenüber Trump einzuknicken.
Das was passiert, wenn Merkel ihm einen Deal anbietet? Wäre das nicht eine “gute” Gelegenheit für Macron, einzuschlagen? – Antwort in ein paar Wochen, wenn wir wissen, wie diese Geschichte ausgeht…
Siehe auch “Sündenfall im Internet”
Peter Nemschak
7. April 2019 @ 21:28
@ebo eine glaubwürdige Sicherung der Außengrenzen und eine Migrationspolitik, welche jedem Mitgliedsland die Freiheit lässt zu bestimmen, wie viele Migranten und unter welchen Bedingungen es bereit ist jährlich aufzunehmen und ggf. temporär zu behalten würde nicht zu einer Abschaffung von Schengen führen. Der Euro war bisher sehr erfolgreich, nur müssen Wege gefunden werden die Staatsverschuldung der Mitgliedsländer zu begrenzen. Am politisch wenigsten kontroversiell wäre es das System dahingehend zu reformieren, dass die Regulierung über die Marktkräfte (Risikoaufschläge für Anleihen der Euroländer) erfolgt. Dazu bedarf es u.a. einer Reform des Insolvenzrechts für Staaten. Die Einführung des Euro wurde vom Schwanz aufgezäumt. Ohne bundestaatliche Institutionen bleibt eine Transferunion wie sie in den USA existiert eine Utopie. Es macht wenig Sinn, mit dem Kopf durch die Wand rennen zu wollen.
ebo
7. April 2019 @ 21:36
Glaubwürdige Sicherung der Außengrenzen? Haben alle gefordert, nun liefert niemand. Das ziel, 10.000 Grenzschützer aufzustellen, wurde gerade von 2020 auf 2027 verschoben. Schuld sind die Nationalstaaten, die viel fordern und nichts liefern, Österreichs Kickl eingeschlossen. https://www.sn.at/politik/weltpolitik/10-000-frontex-grenzschuetzer-erst-ab-2027-62079433
Peter Nemschak
8. April 2019 @ 14:21
Diesen Mangel kann man nicht der EU anlasten. Es liegt am mangelnden Vertrauen mancher EU-Staaten Nationalstaaten, die, in diesem Fall schwer nachvollziehbar, Angst um ihre Souveränität haben.
Kleopatra
6. April 2019 @ 07:10
Das ist eine klassische Art, Politik zu machen (und übrigens geht es in Koalitionsregierungen ja nicht anders zu: die Zugeständnisse, die man sich gegenseitig macht, haben auch sachlich nichts miteinander zu tun). Es wäre auch eine einleuchtende Erklärung, weshalb Frankreich bei Nord Stream 2 zuerst fast schon provozierend auf den Tisch gehauen hat und dann hektisch ein Formelkompromiss gebastelt wurde: der Eklat hat für maximale Hebelwirkung gegenüüber der deutschen Seite gesorgt, die sich zu lange auf Frankreich als treuen und gehorsamen Allierten verlassen hat.
Die vielen Manöver, bei denen man dann im einen Gremium für eine Maßnahme stimmt und den Wählern erklärt, das werde keine Folgen haben bzw. auf der nächsten Ebene werde man es kassieren, sind allerdings der direkteste Weg, um die Öffentlichkeit zum politischen Zynismus zu erziehen.
Peter Nemschak
6. April 2019 @ 09:55
Der Öffentlichkeit ist die klassische Art Politik zu machen bestens vertraut. Das hat mit Zynismus nichts zu tun. Dass Kompromisse aus Themen entstehen, die nichts miteinander zu tun haben, sollte nur kompromissunfähige Zeitgenossen stören. Politik hat eine Logik, die für zwischenmenschliche Beziehungen generell gilt: die Herzensanliegen des einen decken sich nicht notwendigerweise mit denen des anderen. Daher erfolgt die (positive) Kompromissbildung auch im privaten Bereich ähnlich wie in der großen Politik.
ebo
6. April 2019 @ 11:49
Auf nationaler Ebene, zumal in Koalitionen, ist es in der Tat eine klassische Art Politik zu machen. Aber hier geht es um die transnationale, europäische Ebene. Die Gesetzgebung unterliegt dort Regeln, für Kompromisse gibt es Verfahren. So wie Berlin und Paris hier handeln, entspricht es nicht dem EU-Regelwerk. Zudem zerstört es Vertrauen, wie der massive Streit um Nord Stream und Uploadfilter zeigt. Osteuropa wendet sich bereits mit Grausen vom deutsch-französischen Geschacher ab, die Internet-Szene verliert den Glauben an die EU etc. Routine ist das nicht…
Peter Nemschak
6. April 2019 @ 14:18
Osteuropa mag das deutsch-französische Geschacher und der demokratiepolitisch belehrende Ton der alten EU-Mitglieder stören, umgekehrt missfällt den alten EU-Mitgliedern der etwas lockere Umgang des Ostens mit den Werten der Gründungsväter. Die EU-Eliten müssen zur Kenntnis nehmen, dass eine Philosophie der EU-Erweiterung sich schlecht mit jener der Vertiefung verträgt. Will die EU mehr Einigkeit nach außen zeigen, muss sie im Inneren mehr Diversität zulassen. In seinem Kommentar vom 5.4. plädiert der Chefredakteur der NZZ für mehr Subsidiarität: «Der andere Blick»: Baut die EU zurück, lasst in Europa Raum für Unterschiede!
ebo
7. April 2019 @ 13:29
Den Rückbau fordert auch die AfD. Wenn man das ernst meint, heisst es auch Abschaffung des Euro, Abwicklung von Schengen, Kastrierung des Europaparlaments. Wollen Sie das?
Kleopatra
6. April 2019 @ 23:30
Ob so etwas nicht dem EU-Regelwerk entspricht, ist sehr die Frage. Das Regelwerk sagt zwar, wie Stimmen ausgewertet und Mehrheiten festgestellt werden, aber es gibt keine Anweisungen darüber, weshalb z.B. ein Land seine Stimme für oder gegen etwas abgeben soll. Insofern wiederspricht der dargestellte Kompromiss zwar Mythen über die Entscheodungsfindung, aber m.E. nicht dem Regelwerk.
Allerdings kann man in einer Koalitionsregierung offen darüber reden, dass die eine Entscheidung von Partei A, die andere von Partei B gewollt ist. Starke Interessenunterschiede zwischen EU-Mitgliedstaaten werden dagegen eher unter den Teppich gekehrt. Freilich besteht ein fundamentaler Unterschied darin, dass die Zusammensetzung der Koalitionsregierungen wechselt, aber in der EU hat man es immer wieder mit denselben Partnern zu tun, deshalb funktionieren Kuhhändel besser, wenn man sie im Hinterzimmer aushandelt.
ebo
7. April 2019 @ 13:22
Jaja die Hinterzimmer. In diesem Fall kamen sie gleich zweimal zum Einsatz. Erst in Deutsch-französischen Deals, dann im Trilog mit dem Europaparlament. Ergebnis : Null Transparenz, maximale Politikverdrossenheit