Kröten für die Koalition

Mindestlohn und Flüchtlingspolitik: Bei den Sondierungen für eine neue Regierung in Berlin erweisen sich EU-Themen als Stolpersteine. Doch selbst wenn sie ausgeräumt werden, bleiben noch wichtige Hausaufgaben für Deutschland. Über die meisten wird bisher nicht einmal diskutiert.

Was ist eigentlich aus der Eurokrise geworden? In den letzten Wochen vor der Wahl schien sie wie auf Befehl der Kanzlerin Pause zu machen.

Auch jetzt, zum Start der Koalitionsverhandlungen in Berlin, drehen die Euroretter Däumchen. Alle warten auf Merkel und ihr neues Kabinett, könnte man meinen.

Schließlich ist Deutschland ja der unerschütterliche Stabilitätsanker in Euroland – oder?

Doch der Eindruck täuscht. Zum einen war die Krise nie weg – sie hat sich nur von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft und die Arbeitsmärkte verlagert. Sie ist vom akuten in ein chronisches Stadium übergegangen.

Zum zweiten ist Deutschland selbst zum Problem geworden. Das liegt nicht nur an der Weigerung der Kanzlerin, sich auf Eurobonds oder eine gemeinsame Arbeitslosenkasse einzulassen, die viele EU-Politiker verärgert.

Es liegt auch an den Strukturproblemen der deutschen Wirtschaft, die im Wahlkampf geflissentlich verschwiegen wurden. Die einstige Konjunkturlokomotive Europas ist nämlich zum Bummelzug geworden.

Gleichzeitig hat Deutschland neue Rekorde bei den Exporten und bei der Leistungsbilanz aufgestellt. Damit haben wir Arbeitslosigkeit exportiert, ohne für neues Wachstum zu sorgen.

Um das zu ändern, müsste sich die neue Bundesregierung endlich wieder auf das Stabilitätsgesetz von 1967 zurückbesinnen – und ein außenwirtschaftliches Gleichgewicht anpeilen.

Und das ist noch längst nicht alles. Die Experten vom Brüsseler Thinktank Bruegel haben eine ganze Liste von Hausaufgaben für die neue Regierung aufgestellt, die im Interesse Europas abgearbeitet werden müsste.

Das „Memo für Merkel“ enthält einige alte Bekannte: höhere öffentliche Investitionen, erleichterte Zuwanderung, eine echte Bankenunion und eine neue, massive Initiative gegen die Jugendarbeitslosigkeit.

Das klingt konsensfähig, vor allem wenn es zu einer Koalition mit der SPD kommen sollte. Die Sozialdemokraten fordern ja schon lange höhere Investitionen etwa in die Bildung.

Auch ein groß angelegtes, nicht nur symbolisches Programm gegen die Jugendarbeitslosigkeit steht auf der Wunschliste der Genossen. Allerdings gibt es auch ein paar Kröten, die die neue Regierung schlucken soll.

Die „echte“ Bankenunion – also eine zentrale Überwachung mit gemeinsamer Abwicklung von Pleiteinstituten – stösst auf extrem harten Widerstand in Berlin, wie sich gerade wieder zeigt.

Auch eine etwas höhere Inflationsrate, die Deutschland zur Linderung der Krise hinnehmen soll, dürfte auf wenig Gegenliebe stoßen. Die Leute stöhnen ja schon bei einem Prozent Preissteigerung.

Das ist die Crux mit Deutschland: Wir möchten ganz Europa nach unserem Vorbild umkrempeln, aber bei uns soll sich  nichts ändern. Und kosten darf es natürlich auch nichts…

Dies ist die gekürzte Fassung meiner Eurokolumne in der taz. Das Original steht hier