Kroatien rein, Türkei raus (Update 13.6.11)

Ein Kriegsverbrecher wird als Held verehrt – kein Problem für die EU?

Die EU-Kommission macht den Weg für den EU-Beitritt Kroatiens frei. Der Kandidat habe alle Bedingungen erfüllt und könne im Juli 2013 das 28. EU-Land werden, kündigte Kommissionschef Barroso an. Damit geht nach einer mehrjährigen Pause die EU-Erweiterung weiter. Als nächstes Neu-Mitglied wäre normalerweise die Türkei dran – doch derzeit sieht es eher so aus, als wolle sie nicht rein, sondern raus aus Europa.

Seit dem „Big Bang“ 2004 mit zehn neuen Mitgliedern war es ziemlich still geworden um die EU-Erweiterung. Einst als erfolgreichste Politik Europas überhaupt gelobt, machte sich allenthalben der „Erweiterungsblues“ breit. Der Streit um Dienstleistungsrichtlinie und Arbeitnehmer-Freizügigkeit und das Nein Frankreichs zum Verfassungsvertrag stürzten die EU in die Krise und führten viele Beobacher zu dem Schluss, die Union könne keine neuen Mitglieder verkraften.

Heute ist die Krise noch tiefer – selbst sicher geglaubte Errungenschaften wie der Euro oder der Schengen-Raum ohne Grenzen stehen in Frage. Das EU-Budget ist bis auf den letzten Cent ausgereizt, viele Bürger wollen von Brüssel nichts mehr wissen. Doch die EU-Kommission macht weiter, als sei nichts geschehen. Bürokratisch wie eh und je arbeitet sie ihre Verhandlungskapitel mit Kroatien ab – und kommt nun zu dem Schluß, der Weg zum Beitritt sei endlich frei.

Formal mag dies stimmen, in der Substanz aber bestimmt nicht. Zum einen gibt es in Zagreb immer noch einige wichtige Defizite bei der Durchsetzung des Rechtsstaats, wie selbst EU-Innenkommissarin Malmström einräumt. Zum anderen hängen viele Kroaten an ihrem „Helden“ General Gotovina aus den Balkankriegen und verübeln es der EU, dass sie auf dessen Verurteilung drängte. Bei der für den EU-Beitritt nötigen Volksabstimmung könnte dies für üble Überraschungen sorgen. Last but not least gibt es immer noch Streit über die Grenze mit dem Nachbarland Slowenien, was den Beitritt weiter verzögern könnte. Schließlich müssen alle 27 Mitgliedstaaten zustimmen…

Doch früher oder später wird Kroatien Member of the Club – dafür wird allein schon Deutschland sorgen, das sich (gemeinsam mit dem Vatikan) bereits während der Balkankriege als treuer Anwalt der Kroaten erwies. Ganz anders sieht es mit der Türkei aus. Bei der Wahl am Wochenende dürfte sich der Dauer-EU-Kandidat noch weiter von Europa entfernen; der EU-Beitritt war in Ankara nicht einmal Wahlkampfthema. Auch in Brüssel bewegt sich kaum noch etwas.

Der endlose Streit über die Zypernfrage, immer neue Verstöße gegen die Meinungsfreiheit und anhaltende Meinungsverschiedenheiten in der Außen- und Nahostpolitik belasten das Verhältnis zwischen Brüssel und Ankara. Zwar haben die Türken weiter eine starke Lobby in der EU, vor allem Großbritannien und Spanien machen sich für den Beitritt stark. Doch so lange Deutschland und Frankreich die Annäherung blockieren, wird die Kluft weiter wachsen.

Das rückwärts gewandte Kroatien darf rein, die dynamische Türkei bleibt draußen, die Sorgen der Bürger bleiben unberücksichtigt – sieht so die neue Erweiterungspolitik aus?

Nachtrag 13.6.11

Kommissionschef Barroso hat dem türkischen Ministerpräsidenten Erdogan zu seinem Wahlsieg gratuliert und ihn nach Brüssel eingeladen. Zugleich hat er sich hinter die geplante Verfassungsänderung in der Türkei gestellt. Dabei weiß derzeit wohl niemand, was in der neuen Verfassung stehen soll…


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