Klima-Deal mit Hintertür, Melnyk gegen die Taxonomie – und Uschis geheime Chats

Die Watchlist Europa vom 30. Juni 2022 –

Erst liefen die Telefondrähte heiß, dann knallten die Sektkorken in Berlin: Nach zähen Beratungen und viel Hin und Her in der Ampelkoalition haben sich die 27 EU-Länder doch noch auf die Details des Klimapaketes „Fit for 55“ verständigt. Auch der Streit um das „Aus“ für den Verbrennungsmotor ist vom Tisch, jedenfalls vorläufig.

Nach 17-stündigen Verhandlungen legte der Umweltrat am Mittwoch in Luxemburg einen Kompromiss vor. Das Verbrenner-Aus ist nur ein Detail unter vielen, aber es hat die größte Symbolkraft: Wie zuvor schon von der EU-Kommission und vom Europaparlament gefordert, sollen ab 2035 keine Neuwagen mit Verbrennungsmotor mehr zugelassen werden.

Die Mitgliedstaaten lassen sich allerdings eine Hintertür offen. Die EU-Kommission soll prüfen, ob es vertretbar wäre, auch nach 2035 noch Autos mit Verbrenner zuzulassen, wenn sie mit klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen fahren. Für diese Ausnahme hatte sich vor allem die FDP eingesetzt; sie nennt es „Technologieoffenheit“.

Kompromisse gab es auch beim Emissionshandel. Er gilt als Basis der EU-Klimapolitik und wird nun auch auf Gebäude und Verkehr ausgeweitet. Im Gegenzug sollen die kostenlosen Verschmutzungsrechte für die Industrie reduziert und schließlich ganz abgeschafft werden. Das „Aus“ ist nun aber erst 2035 geplant, das Europaparlament fordert 2032.

Aus den Erlösen des Emissionshandels soll ein neuer Klimasozialfonds finanziert werden. Nach Schätzungen des Parlaments könnten so bis zu 72 Milliarden Euro bis 2032 zusammenkommen. Die EU-Länder wollen jedoch nur rund 59 Milliarden Euro freigeben und erst später (2027) starten. Vor allem Berlin hatte gefordert, die Mittel zu kürzen.

Beim Klimazoll (CBAM), der die EU vor klimaschädlichen Dumping-Importen schützen soll, droht Streit mit dem Europaparlament. Die Abgeordneten wollen CBAM schnell einführen und die freien Zuteilungen für die Industrie jedes Jahr um 10 Prozent verringern. Nach dem Willen der EU-Staaten soll es aber deutlich langsamer voran gehen.

Der Kompromiss ist nicht eindeutig

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Das Gesamtpaket geht nun noch in den sogenannten Trilog mit dem Europarlament und der Kommission. Dort könnte es erneut Änderungen geben. Mit Spannung wird vor allem die Stellungnahme der Kommission zu synthetischen Kraftstoffen erwartet. Denn der Kompromiss ist nicht eindeutig; er könnte auch PKW und Kleinlaster mit E-Fuel zulassen.

Das Europaparlament lehnt diese Auslegung entschieden ab. „Das Aus für den fossilen Verbrennungsmotor kommt“, sagte Michael Bloss von den Grünen. „Das Verbrennerverbot ist nicht vom Tisch, sondern beschlossen“, meint auch Peter Liese (CDU), der bei den Verhandlungen im Parlament die Feder geführt hatte. Die von Deutschland durchgesetzte Änderung am Gesetzestext habe keine rechtliche Bedeutung.

Deutschland als „Elefant im Porzellanladen“

Die Bundesregierung habe sich mit ihren Änderungswünschen in letzter Minute „wie ein Elefant im Porzellanladen“ benommen, kritisiert Liese. Tatsächlich führte die deutsche Haltung zu viel Verwirrung. Selbst der französische EU-Vorsitz hatte große Mühe, den wechselnden Wünschen aus Berlin zu folgen und einen Kompromiss zu schmieden.

„Niemand versteht den deutschen Koalitionsvertrag“, stöhnte ein EU-Diplomat. Erst als sich auch noch das Kanzleramt einschaltete, war der Weg zur Einigung frei.

Watchlist

Mischt sich die Ukraine auch noch in die EU-Gesetzgebung ein? Diese Frage stellt sich, nachdem der ukrainische Botschafter in Berlin, Melnyk, die deutschen Abgeordneten des Europaparlaments zur Ablehnung der sog. Taxonomie aufgefordert hat. Melnyk zielt natürlich auf Uran-Brennstäbe und Gas-Pipelines aus Russland, die Grünen finden das klasse. Doch aus unerfindlichen Gründen zog er seinen Appell dann wieder zurück. Die entscheidende Abstimmung ist am kommenden Mittwoch in Straßburg.

Was fehlt

Transparenz bei EU-Kommissionschefin Ursula „Uschi“ von der Leyen. Auf eine Beschwerde der EU-Bürgerbeauftragten antwortete die EU-Kommission, dass man leider keine Spur von Leyens SMS an den Pharmakonzern Pfizer habe. Wegen ihrer „kurzfristigen Natur“ bewahre man SMS auch nicht auf, so Justizkommissarin Jourova. Damit bleiben die Chats mit Pfizer-Chef Bourla über milliardenschwere Impfstoff-Verträge weiter geheim.