Kapitale Fehler
Die Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) reißt nicht ab. Nun hat sich auch noch die taumelnde Deutsche Bank in den Chor der Kritiker eingereiht. Das passt ja – wie die Faust aufs Auge.
[dropcap]W[/dropcap]er im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen. Für den DB-Chefvolkswirt ist das wohl ein Fremdwort. Er kritisiert die “aggressive, unkonventionelle und völlig unerprobte Geldpolitik der EZB”.
Angeblich soll sie an den Problemen der Bankenbranche im Allgemeinen und der Deutschen Bank im Besonderen Schuld sein. Wegen der Niedrigzinsen hätten die EU-Staaten Reformen verschleppt.
Ganz ähnlich klingt es auch bei M. Weik und M. Friedrich. In ihrem neuen Bestseller “Kapitalfehler” rechnen sie mit EZB-Chef Draghi ab. Das “irrsinnige Aufkaufprogramm der EZB” müsse sofort gestoppt werden.
Dabei hat nur dieses Programm die europäische Wirtschaft vor Deflation und Depression gerettet. Die Staaten hingegen haben die Krise mit ihrer “irrsinnigen” Austeritätspolitik verlängert und verschärft.
Kapitale Fehler hat vor allem Kanzlerin Merkel gemacht, indem sie ganz Euroland Schuldenbremsen und “Sparen” verordnet hat – und gleichzeitig Milliarden in die Stützung deutscher Banken steckte.
Dafür kann Draghi nichts. Er kann auch nichts dafür, dass Merkel die Krise so weit eskalieren ließ, dass er mit seinem berühmten “Whatever it takes” gegensteuern musste, um den Crash zu verhindern.
Nun wissen wir, was das “whatever” bedeutet – die Politik des billigen Geldes. Sie ist kein Kapitalfehler, sondern ein notwendiges Übel. Was man von der “Deutschen” nicht gerade behaupten kann…
GS
29. September 2016 @ 18:04
Ich sehe das wie Freiberufler. Die Kritik an der andauernden Niedrigzinspolitik der EZB und anderer Zentralbanken ist lange Zeit als Dogmatismus, deutsche Inflationspanik usw. abgetan worden. Ob das Finanzsystem dauerhaft damit funktionieren kann, hat noch keiner gefragt. Die Deutsche Bank gerät sicher als erste in den Fokus, weil sie unheimlich schlecht geführt ist und so eine hohe leverage hat wie kaum eine andere Bank (was freilich schon viele Jahre bekannt ist und die Bank trotzdem einfach nicht vorankommt). Dass das Geschäftsmodell Bank grundsätzlich gefährdet ist, ist dennoch bedenkenswert.
In ähnlicher Weise geraten alle Arten von privaten Versicherungsprodukten, von der Lebensversicherung bis zur privaten Krankenversicherung massiv unter Druck. Gerade die ach so wohlhabenden Deutschen (siehe die einschlägigen Vermögensstatistiken) werden so richtig zur Kasse gebeten.
Freiberufler
28. September 2016 @ 13:47
Die Deutsche Bank ist erst der Anfang. Das Problem ist, dass das Geschäftsmodell “Bank” mit negativen Zinsen nicht funktioniert. Wenn man sich die Bilanzsummen der europäischen Banken vergegenwärtigt, dann…
S.B.
28. September 2016 @ 13:42
“Nun wissen wir, was das “whatever” bedeutet – die Politik des billigen Geldes. Sie ist kein Kapitalfehler, sondern ein notwendiges Übel.”
Also wenn ein Übel (Whatever it takes) notwendig ist, um ein anderes Übel (Euro und EU) am Leben zu halten, dann sollte man am besten auf beide Übel verzichten oder?
Der Crash kommt ohnehin. Das steht außer Frage. Nicht außer Frage steht, dass er um so heftiger ausfällt, je mehr das eigentliche Übel mit einem notwendigen Übel verlängert und damit vergrößert wird.
Zu den ganzen Übeln passt ein Spruch aus früheren Zeiten: Reich mir mal den Übel-Kübel, denn ohne Kübel wird mir übel. 😉
Peter Nemschak
28. September 2016 @ 08:27
Dass Strukturreformen für die langfristig positive Entwicklung der Wirtschaften der EU-Mitglieder unumgänglich sind, wird vor allem von der Linken in Frage gestellt. Sie sind es aber. Umgekehrt wären in manchen Ländern (nicht in Deutschland, wo die Konjunktur gut läuft) kurzfristig Konjunkturspritzen zur Nachfragebelebung durchaus sinnvoll. Allerdings weiß jeder in politischen Dingen Erfahrene, dass nur durch ein knappes Budget schmerzhafte Strukturveränderungen politisch durchsetzbar sind. In guten Zeiten werden sie verschleppt und auf die lange Bank geschoben. Die notwendige Rentenreform ist ein klassisches Beispiel. Dass die Leute älter werden, ist nicht erst seit gestern bekannt.