Jetzt schüren sie wieder die Angst
Der “Spiegel” spricht von “Schnorrern”, das “Handelsblatt” beschwört den “Italexit” herauf: Unsere Leitmedien schüren mal wieder die Angst. Dabei spielen Fakten keine große Rolle mehr.
Fakt ist, dass eine Schuldenquote von 130 Prozent, wie ihn Italien aufweist, an sich noch kein Grund zu Unruhe ist. Unsere “Euroretter” wollen Griechenland zurück an die Märkte schicken – mit einer Quote von über 180 Prozent!
Fakt ist auch, dass weder die Lega noch die Fünf Sterne-Bewegung einen “Italexit” fordern. Selbst noch in den später zurückgezogenen Sondierungspapieren war nur von einem Schuldenerlass die Rede.
Und zuletzt ging es bloß noch um eine Änderung der EU-Regeln. Die ist in der Tat überfällig. Vor allem der deutsche Fiskalpakt gehört auf den Prüfstand. Denn er zwingt Italien, immer neue Kürzungen vorzunehmen, um den Schuldenberg abzubauen.
Dass die EU-Regeln nicht funktionieren, räumt sogar T. Wieser ein, der ehemalige Chef der Euro Working Group – also jener verschwiegenen Truppe, die die Spardiktate an Griechenland & Co. vorbereitet hat.
Wer sich an die strikten Regeln halten will, zahle dafür einen immer höheren “politischen Preis”, kritisiert Wieser in einer lesenswerten Analyse für den Brüsseler Thinktank “Bruegel”, der auch die Finanzminister berät.
Die von Deutschland vorgegebenen Fiskalregeln seien “severely compromised”, so Wieser. Doch statt sie endlich zu reformieren, klammerten sich die EU-Staaten an den Status Quo.
Dies ist in der Tat die größte Gefahr für den Euro, aber in Berlin hat man das immer noch nicht erkannt. In Hamburg und in Düsseldorf – dem Sitz großer Redaktionen – offenbar auch nicht…
Peter Nemschak
30. Mai 2018 @ 15:58
@ Erstens wächst die italienische Wirtschaft derzeit, zweitens enthält auch der sehr vernünftige Reformvorschlag der BQ-Kommission eine Begrenzung des Wachstums der Staatsverschuldung. Daran führt kein Weg vorbei. Unrentable Unternehmen im Staatseinfluss wie Alitalia hätten längst privatisiert oder geschlossen werden müssen. Was die Verstaatlichte Industrie in Österreich in den 1980-iger Jahren an Reformen durchmachen musste, wäre auch Italien zumutbar gewesen. Italien war und ist ein schlecht verwaltetes Land. Da gibt es nichts zu beschönigen.
Claus
30. Mai 2018 @ 11:20
Ich lese: “Fakt ist, dass eine Schuldenquote von 130 Prozent, wie ihn Italien aufweist, an sich noch kein Grund zu Unruhe ist. Unsere “Euroretter” wollen Griechenland zurück an die Märkte schicken – mit einer Quote von über 180 Prozent!”
Fakt ist auch, dass Italien “eine andere Nummer” als Griechenland ist und wegen des Vetos des Staatspräsidenten Mattarella gegen die Regierungsbildung in eine veritable Verfassungskrise geraten ist. Und Fakt ist zudem, dass weder Griechenland noch Italien (noch Deutschland!) seine überbordende Staatsverschuldung wird tilgen können oder sich diese auf Dauer wegfinanzieren ließe und es deshalb einen Reset geben muss. Nur eben, dass es noch kein politisch Verantwortlicher zugeben mag. Sowas würde das Volk nicht gern hören.
ebo
30. Mai 2018 @ 11:49
Völlig richtig. Wir sollten aber auch festhalten, dass ein Großteil der Schulden von den Italienern selbst gehalten wird. Das wird – noch – beruhigend. Was den Schuldenabbau betrifft: Durch permanente Kürzungen im Staatshaushalt, wie bisher, wird er sich nicht schaffen lassen. Es braucht eine Schuldentilgung – dafür gab es schon einmal einen Vorschlag der deutschen Wirtschaftsweisen – oder neue Finanzinstrumente, z.B. Eurobonds. Ansonsten bleiben wohl nur Umschuldung bzw. Schuldenschnitt – doch das dürfte die Panik schüren und die Lage unbeherrschbar machen. Schäuble hat es in Griechenland ja schon einmal versucht – und damit die Eurokrise erst so richtig angefacht…
Peter Nemschak
30. Mai 2018 @ 12:28
Schuldenabbau hin oder her, an einer disziplinierten Finanz- und Steuerpolitik – das haben auch die Reformökonomen festgestellt – führt in Zukunft kein Weg vorbei. Dazu waren die notorischen Schuldenländer in der Vergangenheit nicht imstande. Warum sollte sie sich ihr politisches und gesellschaftliches Verhalten in Zukunft ändern?
ebo
30. Mai 2018 @ 12:55
Seit Monti macht Italien eine “disziplinierte” Finanzpolitik. Sie können das in den Berichten der EU-Kommission nachlesen. Die ständigen Kürzungen, mit denen der Schuldenberg abgetragen werden soll, haben jedoch das italienische Wachstum abgewürgt. Niedrigeres Wachstum bedeutet aber auch geringere Steuereinnahmen, eine höhere Schuldenquote (Schulden im Verhältnis zum Volkseinkommen) und mehr faule Kredite. Es ist der Teufelskreis der Austerität – ist das denn so schwer zu verstehen?
ben
30. Mai 2018 @ 07:43
Wer hat denn damals Italien in den Euro aufgenommen? Zu diesem Zeitpunkt war doch schon klar, dass die Voraussetzungen nicht erfüllt wurden und man hat es so gedreht, dass es passte.
Mit Italien als Kreditnehmer und Abnehmer von Waren hat man die ganze Zeit gut verdient und jetzt stellt man quasi die eigene Politik an den Pranger; nur pickt man sich nur eine schuldige Seite heraus.
Peter Nemschak
30. Mai 2018 @ 12:15
Man hätte auch gut verdient, hätte Italien seine Lira beibehalten.
Oudejans
29. Mai 2018 @ 18:59
>>”… in Berlin hat man das immer noch nicht erkannt. In Hamburg und in Düsseldorf – dem Sitz großer Redaktionen – offenbar auch nicht…”
Wenn meine komfortable Position davon abhängt, etwas nicht zu erkennen, das sie verunmöglicht – erkenne ich es dann?
Peter Nemschak
29. Mai 2018 @ 15:12
Die Vorschläge der Bénassy-Quéré Kommission wären zweifellos eine massive Verbesserung gegenüber dem Status quo, würden aber nichts daran ändern, Italien finanzielle Disziplin pro futuro aufzuerlegen. Genau das wollen die italienischen Populisten nicht. Sie glauben, mit den Mitteln einer nicht finanzierbaren populären Bequemlichkeitsdemokratie auf Kosten der anderen EU-Mitglieder Zustimmung bei den Italienern zu erhalten. Das wird es nicht spielen. Unpopuläre Opfer, und diese wird es geben müssen, zum Erhalt der Mitgliedschaft in der Eurozone, müssen die Italiener bereit sein zu akzeptieren. Nichtsdestoweniger sollte der BQ-Vorschlag so rasch wie möglich umgesetzt werden, um die Stabilität der Eurozone mit oder ohne Italien zu stärken. Dies würde auch politischen Druck von Deutschland nehmen, ohne das Prinzip fiskalischer Disziplin aufgeben zu müssen.
Oudejans
29. Mai 2018 @ 19:02
>>”Bequemlichkeitsdemokratie auf Kosten der anderen”
Sie müßten sich mal zuhören.
Der Splitter im Auge des Anderen…