Jemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten
Der EU-Gipfel hat die Weichen in der Migrationspolitik neu gestellt. Künftig kann Brüssel auch “Infrastruktur” an den Außengrenzen finanzieren – die einen meinen Grenztürme, die anderen Zäune.
Die Europäische Union will ihre Außengrenzen stärker abschotten und schließt dabei auch Zäune nicht mehr explizit aus. Dies geht aus dem Beschluss des EU-Gipfels hervor, der in der Nacht zu Freitag in Brüssel zu Ende ging.
Demnach können künftig EU-Mittel für “Infrastruktur” an den Grenzen bereit gestellt werden. Ob das Zäune und Mauern oder Wachtürme und Kameras sind, liessen die Staats- und Regierungschefs offen.
Die EU-Kommission hatte sich lange gegen die Finanzierung von Zäunen aus der Gemeinschaftskasse gewehrt. Auch Deutschland und Luxemburg waren dagegen. “Es wäre eine Schande, wenn eine Mauer in Europa gebaut würde mit den europäischen Sternen drauf”, sagte Luxemburgs Regierungschef Xavier Bettel in Brüssel.
Eine harte Linie vertraten dagegen Österreich und Griechenland. Wien drohte gar mit einer Blockade. Der Gipfelbeschluss, der nach stundenlanger Debatte zustande kam, ist ein dehnbarer Kompromiss. Das Wort „Infrastruktur“ kann so oder so ausgelegt werden.
Es geht vor allem um Bulgarien
In der Praxis dürfte nun vor allem Bulgarien EU-Geld erhalten, um die Grenze zur Türkei aufzurüsten. Nach Schätzungen sind zwei Milliarden Euro nötig. So viel steht im EU-Haushalt allerdings nicht bereit. Einen Teil könnte die EU-Kommission finanzieren, den Rest Bulgarien.
EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen sprach von zwei Pilotprojekten. Eines sehe vor, die Grenze zwischen dem EU-Land Bulgarien und der Türkei etwa mit Fahrzeugen, Kameras, Straßen und Wachtürmen zu sichern.
Bei dem zweiten Projekt soll es um die Registrierung von Migranten, ein schnelles Asylverfahren sowie um Rückführungen an der Außengrenze gehen. Einen Ort nannte von der Leyen nicht. Österreichs Kanzler Karl Nehammer sprach von einem Durchbruch.
Die EU habe einen “neuen Schwerpunkt” in der Migrationspolitik, der nun weiterentwickelt werden müsse. “Den Worten müssen Taten folgen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz sprach von einem vertretbaren Ergebnis. “Wir sind in der Lage, hier uns zusammenzufinden und gemeinsame Positionen zu entwickeln, die uns für die Zukunft helfen.”
Kontrollen an den Außengrenzen seien genauso nötig wie eine bessere Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitländern, sagte Scholz. Die EU habe großen Bedarf an Fachkräften, weshalb auch legale Migration notwendig sei.
Keine faire Umverteilung
Auch dieser Punkt hat es in die Gipfel-Schlussfolgerungen geschafft. Dort ist nun von „wechselseitig vorteilhaften Partnerschaften“ die Rede. Das derzeit größte Problem, die sogenannte Sekundärmigration, bleibt jedoch ungelöst.
Dabei geht es um Migranten, die nach ihrer Ankunft in einem EU-Land in ein anderes weiterwandern, etwa nach Deutschland oder in die Niederlande. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte hatte deshalb Alarm geschlagen. Der Schengenraum gerate in Gefahr, sagte Rutte vor dem Gipfeltreffen.
Auch die faire Verteilung von Migranten und Asylbewerbern auf die EU-Staaten bleibt ein frommer Wunsch. Deutschland hat sie seit der großen Krise der Jahre 2015/16 immer wieder angemahnt – vergeblich. Weil man sich nicht einigen kann, geht es jetzt vor allem um Abschottung.
Die Absicht, Zäune und Mauern zu errichten, ist nicht mehr tabu; Österreich will weiter Druck machen.
KK
11. Februar 2023 @ 00:45
@ Arthur dent:
“Nach einem strukruriertem Plan sieht es trotzdem wieder nicht aus – aber wir müssen jetzt schnell eine Gemeinschaftslösung finden…”
Und anno 2023 finden wir jetzt offensichtlich eine nach Trumpschem US-Vorbild… und wurde das nicht seinerzeit von denselben Institutionen und Gestalten, die jetzt in EUropa Zäune finanzieren wollen, als unmenschlicher Populismus gebrandmarkt?
ebo
11. Februar 2023 @ 10:09
So ist es
Arthur Dent
10. Februar 2023 @ 23:57
The same procedure as 2015 – Schön, dass wir mal wieder drüber gesprochen haben. Nach einem strukruriertem Plan sieht es trotzdem wieder nicht aus – aber wir müssen jetzt schnell eine Gemeinschaftslösung finden… blabla
Hekla
10. Februar 2023 @ 17:31
“Auch die faire Verteilung von Migranten und Asylbewerbern auf die EU-Staaten bleibt ein frommer Wunsch. Deutschland hat sie seit der großen Krise der Jahre 2015/16 immer wieder angemahnt – vergeblich”.
Hierzu ein kleiner Einwand von mir: 2015 hat Deutschland im Alleingang, ohne Absprache mit den anderen Mitgliedstaaten einfach für sich entschieden, “alle” aufzunehmen. Die später von Deutschland geforderte faire Verteilung bedeutet demnach nichts anderes, als dass die anderen – souveränen – Staaten die gravierenden Folgen dieser Entscheidung gefälligst mitzutragen haben. Warum sollten sie???? Deshalb finde ich, dass es irgendwie ein Geschmäckle hat, wenn Deutschland
den anderen EU-Mitgliedsstaaten hier mangelnde Solidarität vorwirft.
KK
10. Februar 2023 @ 17:22
@ ebo:
“2015 wollte man noch die Fluchtursachen bekämpfen. Heute nicht mehr – da werden Kriege sogar noch von der EU angeheizt…”
Sehr richtig – man könnte auch sagen: Heute schafft die EU noch zusätzliche.
Um ehrlich zu sein: Ich würde inzwischen auch gern hier weg – wäre diese Entwiclung der EU vom Friedensnobelpreis zum Kriegshetzer innert einer Dekade nur ansatzweise absehbar gewesen, hätte ich mich frühzeitg um die ein oder andere Fremdsprache bemüht…
KK
10. Februar 2023 @ 17:17
@ european:
“Wenn man ehrlich ist, dann muss man zugeben, dass die suedeuropaeischen Laender das schon lange vor 2015 gefordert haben und da hatten auch die Deutschen die Ohren zu und haben immer nur schlaue Belehrungen ueber die Alpen geschickt.”
Unbestritten; deshalb ja auch mein letzter Satz mit dem eigenen Kram, der natürlich auch für Deutschland gilt.
Cornelia Henke
10. Februar 2023 @ 16:16
Ursache und Wirkung: Neue Zeiten – Alte Methoden
Erinnerung: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!“ — Walter Ulbricht
Diese Mauer stand 28 Jahre, 2 Monate und 27 Tage.
Neuer Ansatz:
Endlich Kriege beenden – dann gibt es nicht mehr so viele Flüchtlinge!
Weitere Flüchtlingsgipfel bringen nichts – wenn die Ursache, die menschenverachtenden Kriege auf der Welt nicht beendet werden!
Derzeit befinden sich weltweit knapp 89,3 Millionen Menschen auf der Flucht – die höchste Zahl, die jemals verzeichnet wurde. Wer wird deutsche Flüchtlinge aufnehmen – wenn wir in den neuen “schicken” Krieg gezwungen werden? (Meine Prognose – Keiner)
30 aktuelle Kriege auf der Welt – keine wirklichen Friedensbemühungen, denn es wird sehr viel Geld verdient, mit dem Blut, dem Elend der Menschen – und dem Märchen von der Ehre. Und zwar auf allen Seiten, mit allen Weltanschauungen und auf allen Kontinenten! C. Henke (RIP)
ebo
10. Februar 2023 @ 16:42
2015 wollte man noch die Fluchtursachen bekämpfen. Heute nicht mehr – da werden Kriege sogar noch von der EU angeheizt…
KK
10. Februar 2023 @ 14:34
“Auch die faire Verteilung von Migranten und Asylbewerbern auf die EU-Staaten bleibt ein frommer Wunsch. Deutschland hat sie seit der großen Krise der Jahre 2015/16 immer wieder angemahnt – vergeblich. Weil man sich nicht einigen kann, geht es jetzt vor allem um Abschottung. ”
Ja, und Polen als einer der sog. “VISEGRAD”-Staaten, war am vehementesten dagegen.
Allerdings hat Polen auch als erstes und lautetesten nach einer solchen Verteilung geschrien, als immer mehr Ukrainer anrückten!
Wie es halt grad so in den eigenen Kram passt!
european
10. Februar 2023 @ 15:02
Wenn man ehrlich ist, dann muss man zugeben, dass die suedeuropaeischen Laender das schon lange vor 2015 gefordert haben und da hatten auch die Deutschen die Ohren zu und haben immer nur schlaue Belehrungen ueber die Alpen geschickt. Es ist ja nicht so, als haette man nicht gewusst, was sich in Griechenland oder Lampedusa abgespielt hat. Es haette den Landesfrieden gestoert und ausserdem war die AfD auf dem Vormarsch.
Nach 2015 wusste auch die deutsche Regierung, was das heisst, viele Fluechtlinge aufnehmen zu muessen.
Mal sehen, ob Trump wieder antritt. Was wird der feixen, wenn die europaeischen Oberlehrer selber eine Mauer bauen.