Ja zur Atomkraft, Nein zu Lawrow – und Puigdemont muß weiter draußen bleiben

Die Watchlist EUropa vom 07. Juli 2022 –

Die Proteste waren nicht zu überhören. „Atomkraft: nein, danke“ und „No Gas, no nuclear“ skandierten Klimaschützer in der Nähe des Europaparlaments in Straßburg. In letzter Minute wollten sie die umstrittene Taxonomie verhindern – eine neue EU-Verordnung, mit der Investitionen in Erdgas und Kernkraft als „nachhaltig“ eingestuft werden.

Doch die Mehrheit hat anders entschieden: die Taxonomie kommt. Statt der erforderlichen 353 Abgeordneten votierten lediglich 278 gegen den Rechtsakt, den die EU-Kommission in der Silvesternacht auf den Weg gebracht hatte. Grüne, Sozialdemokraten und Linke schafften es nicht, eine Mehrheit gegen das Ökolabel zu mobilisieren.

Die meisten Abgeordneten aus Deutschland, Österreich und Luxemburg sprachen sich zwar gegen die Taxonomie aus. Parlamentarier aus Frankreich, Polen oder Finnland stellten sich jedoch hinter den Vorschlag der EU-Kommission. Auch der Vorsitzende des Umweltausschusses, der liberale Franzose Pascal Canfin, stimmte dafür.

„Die Sorgen sind nicht berechtigt“, sagte Canfin. Atom und Gas würden auch künftig nicht in dieselbe Kategorie eingeordnet wie die Erneuerbaren Energien, außerdem sei das Öko-Label mit strikten Bedingungen versehen.

So sollen Investitionen in neue AKW nur dann als nachhaltig klassifiziert werden, wenn die Anlagen neuesten Standards entsprechen und ein Plan für die Entsorgung vorgelegt wird. Zudem sollen die Anlagen spätestens 2045 eine Baugenehmigung erhalten, danach ist Schluß.

Beim „grünen“ Label für neue Gaskraftwerke soll es darum gehen, wie viel Treibhausgase ausgestoßen werden – und ob sich die Anlagen spätestens 2035 mit grünem Wasserstoff oder kohlenstoffarmem Gas betreiben lassen können. Dafür hatte sich vor allem Deutschland stark gemacht.

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“Das spielt Putin in die Hände”

Doch diese Vorbehalte reichen den Kritikern nicht. Sie sprechen von „Greenwashing“ und einer Entwertung des Nachhaltigkeits-Labels. “Diese Entscheidung ist ein Rückschlag für den Klima- und Umweltschutz in Europa”, sagte der SPD-Europaabgeordnete Joachim Schuster.

Die Gegner der Taxonomie hatten wochenlang mobilisiert und zuletzt noch versucht, mit dem russischen Krieg in der Ukraine zu punkten. Wer Investitionen in die Gasindustrie fördere, spiele Kremlchef Wladimir Putin in die Hände, hieß es. Das reichte jedoch nicht, um die Taxonomie abzuschießen.

Am Vorabend des Votums schwor die konservative EVP-Fraktion ihre Abgeordneten auf ein „Ja“ ein. „Wir wissen, dass wir Gas und Kernenergie für eine Übergangszeit brauchen, um das Netz nicht zu destabilisieren und um den Weg zu erneuerbaren Energien zu weisen“, mahnte der EVP-Koordinator im Energieausschuss, Christian Ehler (CDU). Man dürfe den Streit nicht „ideologisieren“.

Die EU setzt selbst auf Gas

Den Befürwortern spielte auch die Gaskrise in die Hand, die Deutschland und die EU in Atem hält. “Wir müssen uns auf weitere Unterbrechungen der Gasversorgung aus Russland vorbereiten, sogar auf eine vollständige Beendigung“, sagte EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen (CDU) kurz vor der Abstimmung in Straßburg. In zwei Wochen will sie einen Notfallplan vorlegen.

Bereits im Mai hatte von der Leyen ein Programm namens „Repower EU“ vorgelegt, mit dem sich die Union von russischen Öl- und Gaslieferungen unabhängig machen will. Es sieht auch Investitionen in neue Gasinfrastruktur vor, um den Import von Flüssiggas aus Übersee zu erleichtern. Nur so könne man gegen Putin bestehen, heißt es in Brüssel.

Vor diesem Hintergrund ist es kaum denkbar, die Nutzung von Atom und Gas völlig auszuschließen, wie dies manche Kritiker tun. Als „Brückentechnologien“ werden die umstrittenen Energieträger noch eine Zeitlang gebraucht…

Watchlist

Werden sie miteinander sprechen? Dies ist die bange Frage, wenn sich Außenministerin Baerbock und ihr russischer Amtskollege Lawrow am Donnerstag beim G-20-Treffen auf Bali begegnen. Zuletzt hieß es im Auswärtigen Amt, Baerbock werden nicht mit Lawrow reden. Dafür hagelte es Kritik – sie verweigere ihren Diplomaten-Job, hieß es. Mal schauen, wie es auf Bali läuft…

Was fehlt

Der neue Dämpfer für Puigdemont. Der prominente katalanische Politiker kann sein Mandat im Europaparlament weiter nicht antreten. Das erstinstanzliche Gericht der Europäischen Union (EuG) wies eine Klage als unzulässig ab. Das Parlament sei bei seinen Entscheidungen an die Vorgaben aus Spanien gebunden gewesen. Nun dürfte der Streit vor den EuGH wandern…