It’s the single market, stupid! – Warten auf Berlin (schon wieder)
Wer ist nun schuld am Brexit-Debakel – EU-Ratspräsident Tusk oder Premierministerin May? Die Briten schieben Tusk die Schuld in die Schuhe, tatsächlich lässt es der polnische EU-Präsident an Takt und Feingefühl missen.
Doch der Kern des Problems liegt tiefer: im Binnenmarkt, den die EU-Granden zum Stolperstein gemacht haben. Tusk & Co. behandeln ihn nicht mehr wie einen normalen Markt, sondern wie einen unantastbaren Fetisch.
Die im Binnenmarkt vereinten “vier Freiheiten” (freier Personen-, Waren-, Kapital- und Dienstleistungsverkehr) werden in Brüssel für unteilbar erklärt, wie einst die heilige Dreifaltigkeit in der katholischen Kirche.
Demgegenüber will May mit der EU nur im Warenverkehr verbunden bleiben – wohlgemerkt nach dem Austritt. In Brüssel wird das als “Rosinenpicken” bezeichnet, dabei geht es bloß um Freihandel mit Waren und landwirtschaftlichen Produkten.
Warum sollte das nach dem Austritt nicht möglich sein? Mit den USA verhandelt die EU ja auch über ein Industriezollabkommen – dabei geht es nur um Zölle auf Industriegüter. Und nicht z.B. um die Personenfreizügigkeit!
Klar, an Industriewaren wie Autos sind auch Dienstleistungen geknüpft. Das führen die EU-Politiker gern als Grund an, warum Mays Wunsch nicht durchsetzbar wäre. Doch dann dürften sie auch nicht mit US-Präsident Trump dealen.
In Wahrheit haben die vier Grundfreiheiten im Binnenmarkt noch nie richtig zusammengepasst. Die Dienstleistungen sind nicht wirklich frei (vor allem Berlin bremst), bei der Personenfreizügigkeit gibt es längst Ausnahmen für London.
Der Kapitalverkehr wurde in Krisenländern wie Griechenland eingeschränkt, und bei den Lebensmitteln (=Waren) gibt es zwei Klassen – eine in West-, eine andere in Osteuropa. Die EU-Kommission bemüht sich erst jetzt um Besserung.
Deshalb ist der Vorwurf des “Rosinenpickens” mit Vorsicht zu genießen. Zwar will May tatsächlich den Nutzen für ihr Land auch nach dem Brexit mehren – aber das ist ja nun mal ihre Aufgabe und keine Gotteslästerung.
Eine Zumutung hingegen ist es, dass die EU allen Ernstes fordert, eine Seegrenze zwischen England und Nordirland zu errichten, um die Integrität des Binnenmarkts zu erhalten und eine harte Grenze zu Irland zu vermeiden.
Das kann May ebenso wenig akzeptieren wie Tusk das “Rosinenpicken” beim Binnenmarkt. Hier stehen Souveränität und territoriale Unversehrtheit gegen “heilige” EU-Prinzipien – kein Wunder, dass der Streit aus dem Ruder läuft…
WATCHLIST:
- Wird der Labour-Parteitag ein zweites Brexit-Referendum fordern? Dies dürfte sich am Montag klären. Mehr als 100 Ortsverbände haben Beschlussanträge gestellt, nach denen die Wähler entscheiden sollen, ob sie einen von der Regierung verhandelten Trennungsvertrag mit der EU akzeptieren. Parteichef Corbyn will sich dem Votum seiner Partei beugen.
WAS FEHLT?
- Impulse aus Berlin. Europapolitisch sei die neue deutsche Regierung ein Ausfall, klagt nun sogar Merkels Mann in Brüssel, Oettinger. “Es wird immer schwieriger, den europäischen Partnern hier in Brüssel zu erklären, warum sich die große Koalition in immer neue Konflikte verstrickt, die eigentlich von geringer Bedeutung sind”, sagte der CDU-Politiker.
Holly01
25. September 2018 @ 16:17
Ich denke der Austritt ist erfolg.
Die Zeit bis zur rechtskräftig Werdung, ist eine Frage es “Wie”, nicht des “Ob”.
Ansonsten bin ich ja der Auffassung, der Brexit war die EU freundlichste Tat, der Briten überhaupt.
Diese Tat sollte man nicht mit Abkommen verwässern.
“Drittstaat Regelung” ist das Stichwort.
Nicht mehr und nicht weniger.
Knall harte Grenze in Irland.
Visapflicht.
Kapitalkontrollen.
Keine Doppelbesteuerungsabkommen.
Keine Zusammenarbeit in irgend einer Form, über die reinen WTO Regeln hinaus.
Aber diese Zusammenarbeit auch nur, wenn GB in der WTO ist.
Die Briten haben bewiesen, dass der reine Umstand, das diese Insel in der Nähe von Europa ist, sie nicht zu einem Bestandteil von Europa macht.
Das wollen die Briten so, schon seit 40 Jahren.
Dann sollen die das auch bekommen.
Uneingeschränkt.
Ohne Erleichterungen.
Ohne irgend welche Zugeständnisse.
Zugeständnisse haben immer nur dazu geführt, das es den Briten “zu wenig” war.
Die knallharte Scheidung, mit (harten) Sanktionen, wenn es zum erreichen der Rückzahlungen notwendig ist.
Diesen Schierlingsbecher haben sich die Briten selbst eingeschenkt, also “Prosit” ….
vlg
Freiberufler
24. September 2018 @ 14:17
Es ist wohl eher so, dass May grottenschlecht verhandelt. Dass die EU keine Lösung, sondern nur die Kapitulation will, sollte inzwischen klar geworden sein. Mays Verhandlungsstrategie ist zum Scheitern verurteilt und die Umfragewerte auf der Insel bestärken die EU in ihrem Kurs. Es scheint inzwischen sogar vorstellbar, dass das Empire nach einem zweiten Rferendum die weiße Fahne hisst. Die “Verhandlungen” könnten für Merkel kaum besser laufen. Obwohl sie alles falsch macht, gibt der Erfolg ihr recht: Man hält die Briten nicht mit Konzessionen und Reformen in der EU, sondern mit unverschämten Drohungen und Erpressungen.
Auf der anderen Seite lässt sich schwerlich behaupten, dass der Hegemon der Klassenliebling ist. May hätte sich in bilateralen Konsultationen an die Länder halten müssen, denen Merkels Europa auf den Keks geht. Das werden ja immer mehr…
Ein Europäer
24. September 2018 @ 12:09
Hallo Thomas, es ist die EU die kein Freihandelsabkommen will. Die EU will, sofern ich alles richtig verstanden habe, dass GB sich an einem Norwegische oder Kanadische Modell unterwirft, das geht nicht. Ebo hat dies schon begründet. Die EU muss hier pragmatisch und zukünftsorientiert handeln.
Peter Nemschak
24. September 2018 @ 13:34
Müssen wir unbedingt auf die hard-core brexiteers Rücksicht nehmen? Ich sehe keinen plausiblen Grund dafür. Warum soll sich die EU vor einem hard-Brexit fürchten?Neuwahlen im UK könnten dazu führen, dass es nochmals zu einer Volksabstimmung kommt, wie auch immer diese ausgehen mag. Es muss nicht für alles und jedes einen Konsens geben, um gut schlafen zu können. Er fehlt auch innerhalb des UK.
Ein Europäer
24. September 2018 @ 11:04
Hallo Peter, das norwegische Modell würde per se das Brexit-votum und das Brexit an sich obsolet machen. GB mußte dann in das EU Budget weiterzahlen, das EGH sich unterwerfen, sich an alle EU-Rechtlinien anpassen, keine individuelle Handels – und Steuerabkommen beschließen und dazu kein Veto stimme mehr haben. Das ist no go für GB und würde die Hardcore Brexiters zum rasen bringen. Hier muss ein FTA oder eine Freihandelszone verhandelt und beschlossen werden.
Peter Nemschak
24. September 2018 @ 12:01
Dann gibt es halt kein Abkommen. Die EU wird mit diesem Umstand leichter als das UK leben können. Nicht die EU sondern das UK hat den BREXIT betrieben. Niemand hat das UK dazu gedrängt. Das wird gerne übersehen. Der Ausdruck engstirnig ist fehl am Platz, zumindest was die EU betrifft.
Thomas Dreher
24. September 2018 @ 10:50
Das Problem ist eben, das die Briten kein Freihandelsabkommen wollen, wie es mit Kanada existiert auch eine weitgehende Zusammenarbeit wie mit Norwegen lehnen Sie ab . Das wurde ja von der EU schon beides angeboten. Die Briten wollen in Ihnen genehmen Teilen weiter als Mitglied des gemeinsamen Marktes behandelt werden und haben angeboten Zölle für die EU zu erheben. Nun sollte mensch Wissen das sich die EU mit GB bereits um ca. 2500.000.000 Euro streitet, weil die Briten schon jetzt bei Zöllen auf chinesische Textilien (die der Eu zustehen) geschlampt haben. Es wäre also nicht im Sinne des europäischen Steuerzahlers und auch gegen die innere
Logik des gemeinsamen Marktes wenn die EU sich auf das Angebot einließe ihre Zölle durch ein Drittland eintreiben zu lassen das sich bereits als unzuverlässig erwiesen hat.
Da würde man den Bock zum Gärtner machen.
Was die irische Grenze anlangt. Hier hat es massiven Terrorismus gegeben- man kann auch schon fast von einem Bürgerkrieg reden. Die Befriedung erfolgte durch große Anstrengungen der Iren , der Briten, des Vatikans, der Amerikaner und last but not least der EU.
Die Briten sind die Verursacher der sich abzeichnenden Probleme, denn sie wollen die EU verlassen. Falls die Vermeidung einer harten inneririschen Grenze zu politischen und monetären Kosten z. B. Durch Kontrollen in den britischen Häfen führt sind diese von den Briten zu tragen, denn die Verursachen ja den ganzen Schlamasel
Peter Nemschak
24. September 2018 @ 08:14
Sollte es zu einem Kompromiss in Sachen BREXIT kommen, dann wohl in letzter Minute. Was spricht gegen eine norwegische Lösung? Was für Norwegen akzeptabel war, sollte für Großbritannien billig sein. Der Fall Maaßen zeigt, dass führende Kräfte in den Koalitionsparteien um Machterhalt fürchten und dabei ideologische Begründungen vorschieben. Aus einer Mücke wurde rasch ein Elefant.
Ein Europäer
24. September 2018 @ 08:13
Ebo, die EU ist zu einem Club von engstirnigen ideologen verkommen. Mir ist eine große Freude ENDLICH auf deutsch zu lese worum es bei der Brexit Verhandlungen tatsächlich geht. Die Mainstream Medien in Deutschland haben total versagt die Sache neutral zu betrachten geschweige denn unvoreingenommen darüber zu berichten. Was ich in der EU so schrecklich vermisse ist Pragmatismus und darum ging es den Brexiters von Anfang an. Schuld an den Brexit hat weder BoJo noch Farage oder die Murdoch Presse. Die Schuld liegt eindeutig diesseits des Kanals. Es ist noch Zeit es zu erkennen und die Sachlage endlich mit Pragmatismus zu begegnen
Ein Europäer
24. September 2018 @ 08:09
Ebo, die EU ist zu einem Club von engstirnigen ideologen verkommen. Mir ist eine große Freude ENDLICH auf deutsch zu lese worum es bei der Brexit Verhandlungen tatsächlich geht. Die Mainstream Medien in Deutschland haben total versagt die Sache neutral zu betrachten geschweige denn unvoreingenommen darüber zu berichten. Was ich in der EU so schrecklich vermisse ist Pragmatismus und darum ging es den Brexiters von Anfang an. Schuld an den Brexit hat weder BoJo noch Farage oder die Murdoch Presse. Die Schuld liegt eindeutig diesseits des Kanals. Es ist noch Zeit es zu erkennen und die Sachlage endlich mit Pragmatismus zu begegnen.