Ist Corbyn ein Geisterfahrer?
Nach dem Scheitern des Brexit-Deals wird der Ruf nach einer parteiübergreifenden Notlösung laut. Oppositionsführer Corbyn müsse über seinen Schatten springen, heißt es. Dahinter steckt ein merkwürdiges Demokratieverständnis – ein Gastbeitrag.
Von André Tautenhahn*
Wer entscheidet eigentlich in einer Demokratie? Diese Frage ist gerade heute wieder wichtig. In London versucht die britische Premierministerin Theresa May ein Brexit-Abkommen durch das Parlament zu bekommen. Die Abstimmung darüber hatte sie bereits einmal verschoben, weil offensichtlich war, dass es keine Mehrheit dafür geben würde. Heute ist das nicht anders. Alle wissen das, auch diejenigen, die auf EU-Seite dieses Abkommen verhandelt haben und sich weiterhin stur stellen. Sie sagen, die Vereinbarung könne ja nicht mehr verändert werden. Es gibt aber nun einmal keinen Deal ohne Zustimmung des Parlaments.
May hat heute immer noch keine Mehrheit bei ihren eigenen Leuten. Deshalb müsse jetzt die Stunde der Opposition schlagen, meint daher der Leiter des Spiegel Hauptstadtbüros in seinem morgendlichen Kaffeegeschwätz. Die Opposition in Großbritannien wird angeführt von Jeremy Corbyn, einem Linken, der vom Spiegel-Mann mal eben zum Geisterfahrer abgestempelt wird, weil er nicht die nötigen Stimmen für eine Mehrheit organisiert. Eine seltsame Vorstellung von Demokratie ist das, die sich der Journalist da zurechtgebastelt hat.
Sie wird offenbar von der irrigen Annahme einer staatspolitischen Verantwortung getragen, die eine SPD hierzulande in drei Große Koalitionen unter Merkel und damit an den Rand der Bedeutungslosigkeit geführt hat. Was Leute wie Michael Sauga vom Spiegel, aber auch Stefan Kornelius von der Süddeutschen Zeitung offenbar nie kapieren werden, ist die Tatsache, dass Parlamente eben nicht die Abnickerbuden der Regierungen sind und die Opposition eben nicht der Mehrheitsbeschaffer in der Not, um einen Karren aus dem Dreck zu holen, den andere da hineingesteuert haben.
Jeremy Corbyn bezeichnet man nun als Geisterfahrer, weil er die Chance wahrnehmen möchte, eine fürchterliche Regierung endlich abzulösen, die den ganzen Schlamassel zu verantworten hat. So herablassend können nur deutsche Edel-Journalisten urteilen, die seit Jahren darin versagen, eine ähnlich katastrophale Regierungsbilanz hierzulande der Gott-Kanzlerin in Rechnung zu stellen. Die darf den Rekord des Dicken in aller Seelenruhe auch noch einstellen, während die deutsche Hauptstadtpresse sich lieber darüber den Kopf zerbricht, welche Rolle Friedrich Merz künftig unter oder neben der neuen CDU-Chefin einnehmen wird.
For the many not the few
Corbyn will an die Regierung und nicht nur bloß so tun, wie seine peinlichen Pendants von der SPD. Er will etwas verändern und seinen Wählern nicht ständig vorjammern, dass es mit den anderen leider nicht geht. Er ist auch der Ansicht, einen besseren Deal mit der EU aushandeln zu können, was besser ist, als ein Abkommen nur deshalb zu akzeptieren, weil es als unveränderbar bezeichnet wird. Corbyn achtet die Rechte des Parlaments und sagt damit auch, dass es mit ihm eine “Friss oder Stirb Politik” nicht mehr geben soll. Er will vor allem weg vom Neoliberalismus und ein Programm für die Vielen nicht die Wenigen.
Die EU hat selbst ja auch nichts von dieser Politik und vor allem davon, wenn dadurch Großbritannien ohne irgend eine Regelung die Gemeinschaft verlässt. Deshalb werden bereits weitere Zusicherungen in Aussicht gestellt, aber dennoch betont, dass am Abkommen selbst nichts mehr verändert werden könne. Das ist Geisterfahrerei, nicht die Weigerung der Opposition, bei diesem albernen Kindergartenspiel auch noch mitzumachen und eine gescheiterte Regierung damit das Überleben zu sichern. Wer Demokratie ernst nimmt, sollte das Streben nach einem Regierungswechsel nicht verurteilen.
*André betreibt den “Taublog”, von dem wir diesen Beitrag übernommen haben. Der Originalpost steht hier
Karl L. Müller
17. Januar 2019 @ 21:16
Mich stimmt misstrauisch, wie Ms. May (Remain) in letzter Zeit immer mehr betont, den Willen des Volkes umsetzen zu wollen. Das erinnert mich an “niemand hat die Absicht eine Mauer zu bauen” oder “die Renten sind sicher” etc.
Vielleicht ist das ganze nur eine Schmierenkomödie von UK- und EU-Eliten, die Situation so
unsagbar zu vertölpeln, dass auch dem gemeinen Plebs der Widerruf des Austritts als einzig wahre Er-Lösung verkauft werden kann.
Peter Nemschak
16. Januar 2019 @ 12:04
Es wird Zeit, dass sich die wirtschaftlich denkenden Kräfte im UK zusammentun und in bewährter neoliberaler Manier ein Abkommen mit der EU zimmern, das der ökonomischen Vernunft Vorrang gibt. Mit nationalistischem und klassenkämpferischem Eifer wird niemand satt. Diesen Vorwurf müssen sich die vorgestrigen Tories und Corbyn gefallen lassen. Corbyn ist genauso ein Übel wie Melanchon in Frankreich. Beide sind Proponenten der Neidgesellschaft, deren Motto lautet: gleich wenig für alle, Relikte aus dem realen Sozialismus.
Holly01
16. Januar 2019 @ 12:11
Sozialismus heißt:
“Gleiche Geldschöpfung für Alle und kein vererben von gesellschaftlicher Leistung”.
Das heißt dann gleich viel für Alle.
Transparente Sicherheiten bei transparenter Geldschöpfung …. Schluss mit der Umverteilung von Unten nach Oben, keine Leistungslosen Zinseszins-Einkommen.
vlg
Georg Soltau
16. Januar 2019 @ 18:41
Hallo Holly, Sie haben auf meinen Beitrag von 13:21 geantwortet. Zur Vermeidung von Missverständnisse , Sie waren mit der Neid-Keule nicht gemeint , sie hatten ja auch nicht von den “Proponenten der Neidgesellschaft” gesprochen .
Holly01
16. Januar 2019 @ 19:12
Hallo Hr.Soltau,
ich habe mich nicht angesprochen gefühlt. Aber danke für die richtig Stellung.
Ich fand Ihren Beitrag positiv.
Ich habe Hr. Oudejans auch nicht geantwortet. Der hätte es zwar verdient gehabt, mit dieser platten “Anmache”, aber der war mir zu billig 🙂
Diese “ich bin Deutscher und wütend” Plattitüde, ich so abgedroschen, dass ich mich wundere, das noch jemand diese Karte zieht.
Alles gut. Wir schreiben ja, gerade weil wir individuell andere Ansichten haben.
Das ist gut und richtig so.
vlg
Georg Soltau
16. Januar 2019 @ 13:21
“bewährter neoliberaler Manier” was bitte soll sich bitte am Neoliberalismus bewährt haben?,
nichts!….und wenn den Neoliberalen die Argumente ausgehen, holen sie die Keule Neid hervor, das ist armselig!
Holly01
16. Januar 2019 @ 15:31
Neid .. worauf? Auf die völlig überschuldeten möchtegern Reichen die nur noch leasen, weil kaufen garnicht mehr funktioniert oder auf die Erben, die im ganzen Leben nie etwas anderes waren, als reich ohne eigene Leistung?
Oder soll ich neidisch auf die gekauften sein, Politiker, Journalie oder “Wissenschaftler?
Au weier, da weiß ich ja vor lauter Neid überhaupt nicht wen ich da toller finden könnte ….
Man könnte auch auf diese kaltschnäuzige Arroganz neidisch sein, die diese B und C Menschen an den Tag legen.
Neeeeee, ich denke ich bleibe beim Neid auf persönliche Leistungen, anstatt auf Menschen die sich so einiges leisten. Wie den Brexit zum Beispiel ;-P
vlg
Peter Nemschak
16. Januar 2019 @ 16:31
Das Egalitäre, das Ihnen vorschwebt, liegt nicht in den Genen der Menschen. Die Menschen wollen sich voneinander unterscheiden und suchen Status, sei er sozioökonomisch oder ethnisch/national. Die Unteren wollen nach oben und, sobald sie dort angekommen sind, werden sie ihren Status verteidigen und den Nachrückenden das Leben so schwer wie möglich machen. Um Ihre Vorstellungen umzusetzen, müsste man zuerst den sozialistischen Menschen erfinden. Bisherige Versuche sind allerdings kläglich gescheitert. Faktum ist, dass das Wirtschaftsmodell, das Sie und Ihre Gesinnungsgenossen ablehnen, in den letzten Jahrzehnten hunderte Millionen von Menschen auf der Welt aus bitterster Armut geführt hat. Ungleichheit hat es historisch immer gegeben und wird es auch in Zukunft geben. Sie ist für die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung verantwortlich. Die Menschen wollen nicht gleich sein, bloß gleicher als ihre Nachbarn, mit denen sie sich vergleichen.
Holly01
16. Januar 2019 @ 18:18
Der Brexit entspringt exakt dieser dummen Haltung.
Der Monetarismus (Kapitalismus ist es schon lange nicht mehr, denn wir generieren Geld und kaum noch Kapital) ist keine Ursache für das was man gemeinhin Wohlstand nennt.
Weder in der ersten noch in der zweiten und schon garnicht in der dritten Welt, ist der Monetarismus eine Ursache für weniger Elend oder Hunger.
Tatsächlich benötigt der Monetarismus als Grundlage kostenlose Rohstoffe und Schuldner.
Für die kostenlosen Rohstoffe installieren wir überall willfährige Tyrannen, die sich einen feuchten Schmutz um ihre Bürger kümmern.
Für die Schuldner installieren wir Oligarchen. Das sind Kredit finanzierte Aufkäufer ganzer Gesellschaften.
Die Kredite werden auf die Gesellschaften abgewälzt.
Die relative Abnahme von Hunger ist eher ein Abfallprodukt, der ständig steigenden Produktivität.
Es könnten ALLE Menschen hervorragend leben, wenn, ja wenn es keine Milliardäre gäbe.
Wenn wir die Natur nicht zerstören würden, könnten sogar ALLE gesünder leben.
Also Ihr Statement werter Hr. Nemschak gehört in die Kategorie „kaltschnäuzige Arroganz“ und passt gut in die Haltung der Briten.
Die sind auch immer noch erstaunt, das sie keiner haben will, jetzt wo man einen neuen Hegemon hat.
Die USA werden das auch noch erleben und früher als viele denken.
Geld hat nämlich eine Sättigung und wir haben diese erreicht.
Die notwendigen Abschreibungen wird der Dollar nicht überleben. Diese Blase platzt in der Wall Street.
Also genießen Sie mit Ihrer propagandistischen Weltsicht die show, sie werden entzückt sein. So wie die Briten, wenn sie „out“ sind und feststellen, das da draußen keiner Schlange steht, um sich ausbeuten zu lassen, weil die alle schon ihre Blutegel am Hals haben.
vlg
Holly01
16. Januar 2019 @ 11:53
Entschuldigung, aber Ihr schreibt Unsinn.
Das UK blockiert die EU nun schon seit 3 Jahren.
Erst das Theater in den Medien, dann das Votum, danach diese Null-Nummer an Verhandlungen.
Jetzt diese “wir wissen genau was wir nicht wollen” Geschichte.
Liebe UK Regierung: GEHT, geht mit Gott aber flott !!!
Es reicht wirklich.
Kein Vertrag, harter Brexit, harte Frontex Grenze, kein Entgegenkommen, Drittland ohne WTO Status und auch kein Rücknahme des Artikel 50.
Ab vom Hof !!
…. und lasst die ja nie wieder rein…… remember 2019, sollte jeder Anfang von einem Gespräch oder Brief mit UK Vertretern sein ….
Dieses Gezicke hat Europa lange genug (oder besser viel zu lange) ertragen müssen.
So schön seit Ihr auch wieder nicht.
Wir haben ökonomische, ökologische Kriesen, Währungskrieg und politische Krisen weltweit, während die Briten tanzen und sich nur um ihren eigenen Hintern drehen und
das ziehen die EU nach unten.
RAUS jetzt!!!!
vlg
Oudejans
16. Januar 2019 @ 13:59
>>”RAUS jetzt!!!!”
Ja, Holly, lassen Sie alles raus. Der uns aufgezwungene Weltkrieg muß endlich enden.