Ist Brüssel nur zweite Liga?

Der Abgang von SPD-Chef Schulz wird mit viel Häme kommentiert – auch über dessen politische Heimat. Die EU und Brüssel seien nur zweite Liga, Berlin sei ein anderes, härteres Pflaster, heißt es. Stimmt das?

Für diese These spricht, dass es Schulz nur ein einziges Jahr in Berlin ausgehalten hat, bevor er aufgab. Das ist aber auch schon das einzige Argument der Brüssel-Basher  – und es ist ziemlich oberflächlich.

Denn bevor der gescheiterte Kanzlerkandidat seinen Posten im Europaparlament aufgab, war er schon Mitglied des SPD-Parteivorstands, und nahm jede Woche an den Sitzungen in Berlin teil.

Schulz war schon lange in Berlin aktiv

Zudem sicherte Schulz die GroKo in Berlin ab – durch eine Zwillings-GroKo in Brüssel. Vor seinem Wechsel an die Spree war er zudem häufiger Gast in deutschen Talkshows als Kanzlerin Merkel.

Die These vom Provinzpolitiker, der aus dem Zweitligisten EU ins deutsche Oberhaus aufsteigt, ist also Quatsch. Brüssel und Berlin waren in Schulz‘ Karriere komplementär, und keine Gegensätze.

Das zeigt sich auch an anderen Politikern. So nutzte C. Özdemir seine Zeit in Brüssel zur (erfolgreichen) Vorbereitung als Grünen-Chef. Und der Stuttgarter Provinzpolitiker Oettinger erwarb hier eine internationale Statur.

Auch in Brüssel wird um Macht gekämpft

In Wahrheit ist es in Brüssel eher schwieriger als in Berlin, sich durchzusetzen und Öffentlichkeit zu schaffen. Denn die Konkurrenz aus 28 EU-Staaten ist groß, die Sprachbarrieren sind hoch.

Auch die viel zitierte Konsens-Kultur in der EU, die mit dem „Haifischbecken“ Berlin kontrastiert wird, ist eine Täuschung. Man sucht zwar den Kompromiss, doch vorher steht ein zäher Machtkampf.

Und den hat Schulz jahrelang durchgehalten, in dem er sich erst gegen Berlusconi, dann gegen Poettering (den früheren Parlamentspräsidenten) und zuletzt sogar gegen Gabriel durchsetzte.

Die Hauptstadtjournalisten und der Hype

Letztlich geht das Gerücht von der zweiten Liga Brüssel wohl auf die Berliner Hauptstadtjournalisten zurück, die wenig von der EU verstehen, aber immer das erste und das letzte Wort haben wollen.

Sie ärgern sich, dass sie auf den „Hochstapler“ Schulz und seinen MEGA-Hype hereingefallen sind. Wären sie nur weniger arrogant gewesen – und hätten die Brüsseler EU-Korrespondenten gefragt!

Die hätten ihnen nämlich rechtzeitig sagen können, dass der SPD-Mann zu Selbstüberschätzung neigt und MEGA enttäuschend war – und das schon vor seinem Wechsel nach Berlin…