Das kommt auf Berlin zu – es ist eine Zäsur

Normalerweise kümmert sich kaum jemand um den halbjährlich wechselnden EU-Vorsitz. Doch nun, da Deutschland ‘mal wieder an der Reihe ist, sieht das anders aus. Kanzlerin Merkel und Kommissionschefin von der Leyen sollen die EU retten, heißt es. Wir halten das – gelinde gesagt – für übertrieben. Teil 2 einer dreiteiligen Serie.

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Beginnen wir mit den Aufgaben für die nächsten sechs Monate. Sie sind gewaltig. Es geht darum, die Coronakrise in den Griff zu bekommen, die Wirtschaft zu stabilisieren, sich mit China und den USA zu arrangieren und den Brexit erfolgreich abzuschließen.

Das ist ein Programm für Jahre, nicht für Monate. Im Kern geht es darum, den Gesundheits-Nationalismus der letzten Monate zu überwinden, den europäischen Binnenmarkt zu retten, Europa von den USA und China unabhängig zu machen und Großbritannien von Dummheiten abzuhalten.

Und dann hätten wir noch den Klimawandel, den „Green Deal“ und die Flüchtlingspolitik. Berlin soll helfen, die Wirtschaft klimaneutral zu machen, eine gerechten und sozial verträglichen Übergang zu organisieren und eine faire Lastenteilung bei den Migranten zu ermöglichen.

Geht’s noch? Das ist ein Mammutprogramm, das nicht einmal das größte EU-Land stemmen kann. Europa und die Welt stehen vor einer Zäsur, die alles infrage stellt – und die EU zerreißen könnte. Im Frühjahr, auf dem Höhepunkt der Coronakrise wäre dies beinahe schon passiert.

Ist sich die Bundesregierung dieser Zäsur bewußt? Ist sie auf die historischen Umbrüche vorbereitet, die sich mit der Coronakrise massiv beschleunigt haben? Dämmert den Regierenden in Berlin, dass sie die EU nur dann retten können, wenn sie sie radikal in Frage stellen?

In Brüssel hoffen das viele. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen habe mit dem Umbau begonnen, nun ziehe Merkel nach. Die Kanzlerin habe erkannt, dass sie nach Jahren des Bremsens und Neinsagens eine andere Politik wagen müsse, heißt es in Kommission und Rat.

Doch für die Außenpolitik gilt das sicher nicht. Da setzen Merkel und Maas weiter auf Kontinuität; nicht einmal auf den geplanten Abzug von US-Truppen hat sie eine Antwort gefunden. Und in der Wirtschafts- und Finanzpolitik gilt es auch nur bedingt.

Was derzeit in Brüssel auf dem Tisch liegt, darf man zwar getrost historisch nennen. Ein 750 Milliarden Euro schwerer Wiederaufbauplan, aus Schulden finanziert und für Transferleistungen ausgelegt, ist mehr als alles, was die EU bisher zu denken wagte.

Doch selbst wenn es Berlin gelingen sollte, diesen Plan durchzubringen – Zweifel sind erlaubt – wäre es nicht genug.

Im günstigsten Fall könnte er einen Wachstumsschub um drei bis vier Prozent bringen – doch in Frankreich bricht die Wirtschaft gerade um elf bis 13 Prozent ein, je nach Schätzung.

Auch für den Kampf gegen den Klimawandel, den sich Berlin eher halbherzig auf seine Fahnen schreibt, reicht dieser Plan nicht aus.

Es fehlt immer noch ein ehrgeiziges Klimaziel für 2030, es fehlen Mittel für die „Green Transition“ – den klima- und sozialverträglichen Umbau der Wirtschaft – im künftigen EU-Budget.

Der Wiederaufbau als “Notopfer”

Dass Berlin dieses Budget für 2021 bis 2027 eng begrenzen will und sogar noch einen Beitragsrabatt fordert, macht die Sache nicht besser.

Es deutet eher darauf hin, dass die Bundesregierung den Wiederaufbau als „Notopfer“ betrachtet – als Ausnahme, nach der man schnell wieder zu „Business as usual“ zurückkehren möchte.

Die deutsche Wette auf Europa ist deshalb mit Vorsicht zu genießen. Sie verspricht große Dinge, die kaum zu leisten sind – und sie hantiert mit Instrumenten, die den Herausforderungen nicht gewachsen sind.

So wird Europa nicht „wieder stark“ – bestenfalls wird die aktuelle Schwächephase überwunden.

(Wird fortgesetzt, Teil 1 steht hier)