Israel stellt sich gegen die Uno – und bringt die EU in Verlegenheit
Der Streit über den Krieg in Israel eskaliert weiter. Nun stellt sich Tel Aviv gegen die Uno und ihren Generalsekretär Guterres – noch ein Problem für die EU.
Israels UN-Botschafter Gilad Erdan rief Guterres ibei Twitter / X zum Rücktritt auf. Der UN-Generalsekretär habe eine “schockierende Rede” gehalten und darin “Verständnis für Terrorismus und Mord” zum Ausdruck gebracht.
Guterres hatte bei der Sitzung des UN-Sicherheitsrates den Hamas-Angriff scharf verurteilt. Er sagte aber auch, die Angriffe seien “nicht in einem Vakuum erfolgt”. Die Palästinenser würden seit 56 Jahren unter “erstickender Besatzung” leiden.
Nun wurde das Wort “Vakuum” zur Chiffre für Antisemitismus erklärt – übrigens auch in Deutschland, wo sich viele konservative Außenpolitiker von Guterres distanzieren. Israel drohte, man werde der Uno “eine Lektion erteilen”.
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Offenbar soll die humanitäre Unterstützung, die die Uno organisiert, abgewürgt werden. Dem zuständigen Uno-Chef Martin Griffiths wurde ein Visa verweigert. Damit entstehen gleich zwei neue Probleme für die EU.
Zum einen betonten die EUropäer ja neuerdings die Bedeutung humanitärer Hilfe für Gaza. Zum anderen haben sie die Uno und ihre Organisationen zum Dreh- und Angelpunkt ihrer internationalen Politik gemacht.
Wenn sich Israel nun gegen die Uno stellt – müsste die EU dann nicht ihre Beziehungen zu Israel überdenken?
Ilse Lenz
26. Oktober 2023 @ 17:04
Das hat UN-Sekretär Guterres gesagt (Auszüge):
I have condemned unequivocally the horrifying and unprecedented 7 October acts of terror by Hamas in Israel.
Nothing can justify the deliberate killing, injuring and kidnapping of civilians – or the launching of rockets against civilian targets.
All hostages must be treated humanely and released immediately and without conditions. I respectfully note the presence among us of members of their families. …
It is important to also recognize the attacks by Hamas did not happen in a vacuum.
The Palestinian people have been subjected to 56 years of suffocating occupation. …
But the grievances of the Palestinian people cannot justify the appalling attacks by Hamas. And those appalling attacks cannot justify the collective punishment of the Palestinian people. …
Er hat das Massaker/ die Entführungen der Hamas ZWEIMAL HINTEREINANDER verurteilt und dennoch wird ihm vonseiten der israelischen Regierung mangelnde Distanzierung vorgeworfen. Das lässt nun die Wahl der Interpretation:
1. die israelische Regierung darf allein darüber bestimmen, was politische Äusserungen Anderer beinhalten, wie etwa dass doppelte Distanzierung vom grausamen Massaker Zustimmung heisst
2. Sie darf es nicht
Ernster: Wer die Sicherheit und Existenz Israels als Grundlage der internationalen Ordnung und der Menschenrechte ansieht, wird einen langfristigen Ausgleich im Nahen Osten als Vorbedingung dafür sehen (wozu auch die Ausschaltung der Hamas als politischer Kraft gehört). Zur Strategie der Hamas gehört offensichtlich, Israel zur Mißachtung des humanitären Völkerrechts zu provozieren und es international weiter zu isolieren. Auch gegen diese Hamas-Strategie tritt UN Sekretär Guterres ein, indem er auf dem globalen Konsens des humanitären Völkerrechts beharrt.
Katla
25. Oktober 2023 @ 15:25
In diesem Punkt teile ich den offiziellen israelischen Standpunkt. Hat Guterres am Beginn des Ukraine-Krieges oder bei anderen x-beliebigen Kriegen jemals darauf hingewiesen, dass sie auch nicht grundlos aus dem Himmel gefallen sind? Bei der Ukraine hat dies nur eine einzige Person über die Lippen gebracht: der Papst. Ansonsten ist bis heute Meinungsdiktat, dass der Ukraine-Krieg sehr wohl in einem Vakuum entstanden ist. Zweierlei Mass?
Israel ist ausserdem nicht von einem anderen Staat, sondern von einer primitiven, barbarischen Mörderhorde angegriffen worden, die allerdings ganz offensichtlich sehr große Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Gaza hätte sich seit 2006 wunderbar entwickeln können, hätte man nicht alles Geld in Waffen gesteckt. Zum Vergleich: Singapur mit ähnlichen wirtschaftlichen Ausgangsbedingungen hat sich im vergleichbaren Zeitraum zu einer Hightech-Oase entwickelt. Die Verklärung der heiligen Opferrolle der “Palästinenser” allgemein leugnet die Tatsache, dass hier erwachsene Menschen sehr wohl bewusste Entscheidungen über ihr Schicksal getroffen haben.
Wenn also eine symmetrische Antwort nicht möglich ist, weil der Angreifer keine staatlichen Strukturen aufweist – dann einfach die eigenen Leute abschlachten lassen? Und das auch noch ein nächstes Mal?
Wenn das alle so sehen, wäre für mich die Frage, wie man mit etwas ähnlichem umgeht, wenn es in Deutschland passieren würde. Dann sind die Babys, die Kinder, die Frauen, die Alten halt mal weg, irgendwie schade um sie, eigentlich.. und dann zünden wir ein Paar Kerzen an? Und schicken die nächste humanitäre Lieferung los?
Monika
25. Oktober 2023 @ 17:57
@Katla
Diesen Kommentar sollten sie Satz für Satz nocheinmal überdenken, der war zu hemdsärmelig…
Katla
25. Oktober 2023 @ 17:34
Liebe Monika, ich finde Ihre oder die Kommentare Anderer häufig auch so ganz pauschal „überdenkenswert“ . Ich verkneife mir dann einfach, etwaige Ermahnungen oder Belehrungen auszusprechen, wenn ich sonst nichts dazu zu sagen hätte.
KK
25. Oktober 2023 @ 18:04
„Israel ist ausserdem nicht von einem anderen Staat, sondern von einer primitiven, barbarischen Mörderhorde angegriffen worden, die allerdings ganz offensichtlich sehr große Unterstützung in der Bevölkerung genießt. Gaza hätte sich seit 2006 wunderbar entwickeln können…“
Man kann es aber auch anders sehen: Israel verweigert seit Jahrzehnten die Umsetzung der UN-Beschlüsse zur Zwei-Staaten-Lösung, hält den Palästinensern ihren eigenen Staat vor, begeht seit Jahrzehnten auf deren faktischem Staatsgebiet Landraub und zersiedelt das palästinensische Volk derweil in immer kleinere und voneinander abgetrennte Enklaven (die Bewegungsfreiheit der Palästinenser dazwischen wird von der israelischen Armee kontrolliert und nach Gutdünken gestattet oder verwehrt), hat den Gazastreifen ebenso faktisch besetzt, indem es ihn eingezäunt hat und alle hinein- und hinausgehenden Güter kontrolliert und nach Gusto behindert.
Und gem. Völkerrecht hat ein besetztes Volk durchaus das Recht, sich mit Gewalt dagegen zu wehren – was keine Angriffe auf Zivilisten rechtfertigt, aber auch da sind die Israelis nicht zimperlich und kein gutes Vorbild.
Katla
25. Oktober 2023 @ 19:26
@KK: es behauptet ja auch niemand, dass die Israelis zimperlich wären.. oder der Staat Israel Musterknabe in Sachen internationales Recht. Ich stelle meine Frage noch einmal, vielleicht sind Sie im Besitz von Erkenntnissen, die mir verborgen geblieben sind 🙂 : wie beantwortet ein Staat einen terroristischen Angriff ungeheuerlichen Ausmasses angemessen? Das moralisierende Aufwiegen von wer hat womit angefangen, wer hat wie was weitergeführt, führt ja meistens nicht zu einer Lösung. Bitte Butter bei die Fische: was ist die angemessene Antwort auf einen Zivilisationsbruch dieser Größenordnung auf enthauptete Babys, verstümmelte, lebendig verbrannte Kinder, Frauen, Alte? Gar nix? Sollen wir stattdessen Verständnis dafür haben, dass die armen, geknechteten, bis auf die Zähne bewaffneten HAMAS-Männer sich an den Wehrlosesten, Schwächsten austoben?
KK
26. Oktober 2023 @ 12:06
“wie beantwortet ein Staat einen terroristischen Angriff ungeheuerlichen Ausmasses angemessen? ”
Indem es endlich die längst beschlossene Zwei-Staaten-Lösung umsetzt und damit den Palästinensern ein selbstbestimmtes Leben in einem souveränen Staat ermöglicht! Ich dachte, das sei aus meiner Aufzählung der Misstände (um sie nicht Apartheidspolitik zu nennen) deutlich geworden – offensichtlich nicht.
Ralf
26. Oktober 2023 @ 08:41
Es ist unumgänglich, sich mit den Hintergrpnden zu befassen, wenn man Kriege und andere Gewalteskalationen verhindern will. Guterres hat da völlig recht. Zur Entwicklung von Gaza hier mal was Fundierteres: https://adamtooze.substack.com/p/chartbook-245-gaza-beyond-de-development
Annette
26. Oktober 2023 @ 14:05
Indem unaufhörlich “bestialische Mörderbande” geschrieben wird und das bei uns dann auch noch immer wiederholt wird, läßt sich wunderbar die eigene Schuld der israelischen Regierung vertuschen. Wäre der für die Verteidigung zuständige Minister nicht so unfähig und dumm gewesen, die Armee ausgerechnet zum Yom Kippur und zum 50. Jahrestag des Yom Kippur Krieges von Gaza komplett abzuziehen und die Kibbuze an der Südgrenze von fast jeglichem Schutz zu entblößen, um seinen faschistischen Siedlerkumpanen im Westjordanland ihre Provokationen gegen die Palästinenser militärisch abzusichern, dann hätte die Hamas bei dem Überfall kaum eine Chance gehabt. Der Mann hat im Endeffekt der Hamas die Möglichkeit gegeben, so viele Menschen umzubringen. Denkt da überhaupt noch einer dran? Man kann sich nur an den Kopf fassen! Ich denke, die Hamas hatte damit gar nicht gerechnet, sie hat sich selbst gewundert, wie leicht der Überfall gelang, sie hatten intern wohl mit viel mehr Widerstand gerechnet. Oder wie kann man verstehen, dass Netanjahu von Ägypten gewarnt wurde, aber die Warnungen offensichtlich abgetan hat? Bei uns würde so was Hochverrat heißen, und strafrechtlich verfolgt, unsere Minister treten schon bei wesentlich kleineren Vergehen zurück. Aber in Israel jetzt dürfen genau diese Minister groß die Klappe aufreißen und sogar noch die neue Regierung bilden! Das eigene Volk sollte sie endlich abservieren und lebenslänglich in den Knast schicken!
ebo
26. Oktober 2023 @ 14:26
In Israel denken ganz viele daran, wie alle Umfragen belegen. Leider berichten unsere Medien kaum darüber…
KK
26. Oktober 2023 @ 17:24
” Oder wie kann man verstehen, dass Netanjahu von Ägypten gewarnt wurde, aber die Warnungen offensichtlich abgetan hat?”
Es ist zu vermuten, dass der israelischen regierung das alles gut in die Agenda passt – die wollten doch eh “aufräumen” und hatten bereits damit angefangen. Dazu passt ja auch die Provokation, dass die israelische Regierung Ultraorthodoxen, den “Besuch” (aus Sicht der Muslime wohl eher eine “Entweihung”) des Tempelberges bzw. der Al-Aksa-Moschee ein paar Tage vorher explizit erlaubt und militärisch abgesichert hatte.
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“…unsere Minister treten schon bei wesentlich kleineren Vergehen zurück.”
Diese Zeiten sind wohl leider vorbei!
KK
25. Oktober 2023 @ 12:55
Israel masst sich jetzt sogar an, den Rücktritt des UN-Generalsekretärs zu fordern.
So langsam überziehen die Israelis ihren Kredit, den ihnen die Weltgemeinschaft nun schon seit spätestens 1967 hinsichtlich ihren andauernden Verstössen gegen das Völkerrecht gegenüber den Palästinensern grosszügig gewährt, aber allzu heftig…
Michael Erhard
26. Oktober 2023 @ 08:41
Es geht nicht um moralisierendes Aufwiegen. Es geht um eine möglichst zutreffende Analyse der Vorgeschichte und der aktuellen Situation – um eine Lösung zu finden. Israel hat keine Lösung, denn mit jedem toten Terroristen erzeugt man mindestens zwei neue. Die Hamas lässt sich nur bekämpfen, wenn sie bei den Palästinensern keinen oder weniger Zuspruch erhält. Das wiederum kann man fördern, wenn man den Palästinensern das Land zurück gibt, welches ihnen zusteht. Wenn man jeden Versuch einer Analyse als Relativierung (oft auch Täter-Opfer-Umkehr) diffamiert, redet man einem Schwarz-Weiß-Denken das Wort und fordert letztlich eine Beschränkung der Diskussion. Wie oft hat Israel die Hamas ausgelöscht – jedes mal mit einer Vervielfachung ziviler Opfer? Mit welchem Erfolg?