Haut den Hollande!
Frankreich kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen. Nach der Affäre um Ex-Haushaltsminister Cahuzac muss sich Präsident Hollande jetzt auch noch mit Vorwürfen gegen seinen früheren Wahlkampfmanager Augier herumschlagen. Und nun kommt auch noch SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück – quel malheur!
Das Frankreich-Bashing erhält neue Nahrung. Glaubt man den deutschen Medien, so gerät Präsident Hollande in den Sog einer ganzen Reihe von Finanzskandalen, die die Glaubwürdigkeit des Sozialisten erschüttern.
Doch bei näherer Betrachtung ist es halb so wild. Cahuzac ist schon vor Wochen zurückgetreten, Augier spielt seit Monaten keine politische Rolle mehr. Dass sie sich persönlich bereichert haben, ist bisher nicht erwiesen.
Klar: Hollande hatte den Franzosen im Wahlkampf eine “vorbildliche” und “untadelige” Republik versprochen und Steuerflüchtlingen den Kampf angesagt. Dazu passen die Fälle Cahuzac und Augier wie die Faust aufs Auge.
Doch es sind kleine Fische im Vergleich zu den Vorwürfen, denen sich etwa Finanzminister Schäuble in der CDU-Spendenaffäre ausgesetzt sah. Schäuble ist wieder in Amt und Würden, die Franzosen sind für immer verdammt.
Das hindert die deutschen Leitmedien aber nicht daran, Hollande in Grund und Boden zu schreiben und die “Grande nation” zu begraben. “Horror für Hollande” heißt es auf SPON. Dabei hat der Negativ-Spin Methode – das doppelte Maß auch.
Wenn die deutsche Wirtschaft um 0,6 Prozent schrumpft, wie im 4. Quartal 2012 geschehen, ist das eine kleine Delle. Wenn die französische im selben Zeitraum um 0,3 Prozent zurückgeht, eine schwere Krise.
Wenn Kanzlerin Merkel den Wahlkämpfer Hollande schneidet, wie im letzten Jahr passiert, ist dies eine kleine Ungeschicklichkeit. Wenn Hollande den SPD-Kanzlerkandidaten empfängt, ist dies eine große Provokation.
Und so wird Steinbrücks Besuch heute in Paris wieder von düsteren Analysen und bitterbösen Kommentaren begleitet. Dass Steinbrück und Hollande eine Alternative zu Merkels verfehlter Euro-“Rettung” formulieren wollen, interessiert kaum.
Dabei schreit ganz Europa nach solch einer Alternative. Und halb Frankreich hofft auf einen Machtwechsel in Deutschland. Nur die deutschen Medien stehen in Treue fest zu Merkel – und wie ein Mann gegen Paris.
Haut den Hollande, scheint das Motto vieler Journalisten zu sein. Mancher Politiker übrigens auch. Vor allem aus dem Berliner Finanzministerium kommen immer wieder Spitzen gen Paris. Honni soit qui mal y pense…
photo credit: Francois Hollande via photopin cc
marty
8. April 2013 @ 15:48
@Tim, den einzigen netten Neoliberalen 😉
Du hast absolut recht, Helmut Kohl (den ich zutiefst verachte) ist zusammen mit Mitterand einer der Hauptverantwortlichen für die Zerstörung Europas durch den Euro. (Helmut Kohl hält somit einen einmaligen Weltrekord: er hat gleich zwei Währungsunionen in den Sand gesetzt [so viel zu seiner Lernfähigkeit]).
Da sieht man, was passieren kann, wenn “Staatsmänner” keine Ahnung von Volkswirtschaft haben …
Mein Lob für den ehem. “Bimbes-Kanzler” bezog sich nur auf sein unbestreitbares Engagement für die deutsch-französische Freundschaft & Aussöhnung.
“CDU und FDP fahren seit Jahrzehnten voll auf staatskorporatistischer Linie. Der einzige Kapitalismus, der für Merkel zählt, ist crony capitalism.”
Na ja, streng genommen ist “crony capitalism” auch der einzige Kapitalismus, der überhaupt existiert. Im Kapitalismus kommt es zwangsläufig zu obszönen Vermögenskonzentrationen. Diese wiederum führen zwangsläufig dazu, dass das Kapital die Politik kauft − und das Ergebnis heißt stets “crony capitalism”.
Egal ob im katholischen Süden (Italien) oder im protestantischen Norden (D, USA) − der einzige Unterschied ist nur die konkrete soziokulturelle Ausprägung dieser Deformierung.
Nobs
8. April 2013 @ 15:15
Nein, kann ich nicht beweisen, zumal ich kein Ökonom bin. Ist aber klar, daß niemand “Daueralimentierung” finanzieren will.
Aber findest Du das eine Grundlage für die weitere Zusammenarbeit von Deutschland und Frankreich, dem “Motor” der EU, wenn solche Unterstellungen in der Öffentlichkeit verbreitet werden, als Land heimlich ein den Partner schädigendes “Geschäftsmodell” zu haben, sich nämlich dauerhaft aushalten lassen zu wollen?
Für mich ist das unterste Schublade, quasi eine öffentliche “Kriegserklärung”, wo ich nur spekulieren kann, wieviel Porzellan mit solchen und anderen Statements willentlich zerschlagen wurde.
Ich kann auch einfach dieses ewige deutsche Gegreine nicht mehr hören, man zahle besonders viel, wenn nicht sogar alles, der EIndruck wird ja teils auch gern erweckt. Richtig gruselig wird es wenn ich mir den überwiegenden Tenor der (in 2 Tagen über 800!) Kommentare anschaue bei SPON zum Ergebnis einer Expertenkommission der griechischen Regierung zu möglichen Reparationsforderungen des Landes an Deutschland: 108 Milliarden Euro für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Infrastruktur und weitere 54 Milliarden Euro für erzwungene Kredite. Als sei das irgendwie aus der Luft gegriffen, dabei geht es um völlig legitime harte materielle Forderungen.
Nochmals: eigentlich schulden wir den Griechen einen zweistelligen Milliardenbetrag.
GS
9. April 2013 @ 12:44
Völlig legitime Forderungen? Das glaubst auch nur Du. Du kannst ja einen eigenen Fonds aufmachen und munter darin einzahlen und ihn den guten Griechen zukommen lassen. Ich schreibe unterdessen an Hollande, ob Frankreich nicht noch paar Reparationen für die napoleonische Unterjochung abdrücken will.
Mal abgesehen davon, wenn, dann schulden wir Griechenland vielleicht xxx Millionen Reichsmark. Die können sie auch gerne haben, umgerechnet in Euro. Auf 54 Milliarden Euro kommt man doch wohl allenfalls, wenn man auf den damaligen Betrag über 70 Jahre die Inflation angleicht, oder? Seltsames Verfahren. Ich dachte immer, Kreditsummen sind feste Größen.
marty
6. April 2013 @ 18:27
@Andres Müller: hoi & gueten Aabig!
“Damals in Bretton Woods schlug der Ökonom Keynes die Einführung eines Bancor vor, welchen er als Handelswährung vorgeschlagen hatte. Diese Währung hätte die Landeswährungen nicht ersetzen sollen, aber wäre wohl eine ideale Ergänzung gewesen.”
Keynes war ein Genius − aber so weit waren wir in der EU ja fast schon mal, oder? Unser Bancor hatte den pfiffigen Namen “Ecu” (englisches Akronym, das französisch [!] ausgesprochen wurde). Eine Handels- und Verrechnungswährung, die als Währungskorb angelegt war − und (jetzt kommt der Clou) bei der alle fünf Jahre die Gewichtung überprüft und angepasst wurde (http://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Währungseinheit ).
Was für eine unflexible Zwangsjacke ist im Vergleich dazu der Euro!
“Aber die Marke [Euro] selbst hätte das Potential zu einer Alternative des US$ zu werden.”
Ich glaube, dass genau hier ein Teil des Problems liegt − Europas phallokratischer Größenwahn (jetzt werden wir die größte, beste und tollste Welt-Leitwährung erschaffen und den Dollar vom Thron stoßen).
Regio-Währungen sind gut, aber es muss ja nicht gleich der winzige “Chiemgauer” sein − mir würden Escudo & Drachme schon reichen. Auf diese Weise erhielte man wieder (sinnvolle & maßvolle) Handelsschranken, die in einem System partiell kommunizierender Röhren gleichsam als Sicherheits- und Druckausgleichsventile funktionieren würden.
Die einzige Alternative wäre eine wahrhaft gigantische und permanente Transferunion, die NIEMALS über ethnische Grenzen hinweg funktionieren kann.
(Eine Transferunion klappt nur bei engster ethnischer Kohäsion. Und sogar bei uns in D sehen z.B. bayerische und hessische Rechtspopulisten die Ossis schon als fremde Ethnie).
Was West-DM und Ost-DM angeht, gebe ich Dir recht − die fatale Währungsunion von 1990 war für Ostdeutschland der Todesstoß. Danke Helmut! 🙁
Andres Müller
7. April 2013 @ 00:25
@mary Dieser Ecu könnte reaktiviert werden und in einem etwas angepassten Kleid umgesetzt werden (als offizielles Zahlungsmittel mit Banknoten und Münzen). Es ist mir allerdings schwer vorzustellen wie dies im Detail zu bewerkstelligen wäre, denn der Euro hat sich in Form dieses Target-2 in die Eingeweide des Europäischen Organismus krankhaft als Ungleichgewicht eingenistet.
http://www.querschuesse.de/target2-salden/
Vielleicht läge hier aber auch eine gute Berechnungsmöglichkeit zugrunde um die Rekonvertierung vornehmen zu können. Die Target-2 Positiva und Negativa könnten das Start -Mass für neue lokale Währungen vorgeben -wobei dann die neuen Währungen im Target-2 Verhältnis ausgeschüttet werden könnten, während man den Euro “einstampft”.
Nun, was den US$ anbetrifft, da haben Sie schon Recht -neben der Wirtschaftskraft ist leider für eine Weltreservewährung auch eine hohe militärische Stärke Auschlag gebend für den Anleger. Auch ein wiedererweckter Ecu kann diese Sicherheit in diesem Bereich nicht bieten. Allerdings kann sich langfristig auch der US$ kaum in dieser Stärke halten, die letzten Jahre übermässigen Verbrauchs und immer höherer Ungleichverteilung haben doch stark das Gefüge dieser Volkswirtschaft unterhöhlt. Währungen wie der Bancor werden sicher auch hier wieder zur Debatte gelangen.