Hellas macht auch Angst
Die Finanzmärkte werden nervös: Neben dem schwachen Wachstum in Deutschland (und der Weigerung Berlins, etwas dagegen zu tun) beschäftigt sie nun auch wieder Griechenland. Daran ist die EU nicht ganz unschuldig.
In Hellas sind die Renditen auf Staatsanleihen wieder sprunghaft in die Höhe gegangen. Zehnjährige wurden am Donnerstag gleich um 111 Basispunkte teurer. Dahinter steht die Sorge, Athen könne seine Schulden nicht bedienen.
Die EU-Kommission in Brüssel reagierte zwar prompt mit einem Treueschwur. Man werde alles tun, um Griechenland zu stützen, erklärte der Sprecher von Noch-Währungskommissar Katainen.
Doch das dürfte nicht ausreichen. Schließlich steigt der griechische Schuldenberg weiter. Bei gleichzeitig nachlassendem Wachstum in Euroland geht die Gleichung der “Euroretter” nicht mehr auf.
Jetzt rächt es sich, dass man das Problem wegen der Europawahl ausgesessen und jede Debatte vermieden hat. Ein Schuldenschnitt, wie ihn der IWF wiederholt gefordert hat, wurde für tabu erklärt.
Tabu ist aber auch, dass Griechenland sich von der Troika löst. Die Regierung Samaras würde diesen Befreiungsakt gerne Ende 2014 vollziehen, wenn das aktuelle Hilfsprogramm ausläuft.
Doch die “Euroretter”, allen voran wie immer Finanzminister Schäuble, möchte das verhindern. Das Hauptziel sei es, die Konditionalität über 2014 hinaus zu verlängern, hieß es beim letzten Eurogruppen-Treffen.
Deshalb drängen Schäuble & Co. der Regierung in Athen eine “vorsorgliche” Kreditlinie auf. Ergebnis: die Märkte wittern Gefahr und spielen verrückt. Toll!
Robert
21. Oktober 2014 @ 10:28
Ein Schuldenschnitt hätte aber nichts an den grundsätzlichen Problemen, der Überbewertung (wie Tim oben bereits festgestellt hat), geändert. Dann wäre die Situation die gleiche wie zuvor, nur dass es oberflächlich besser aussehen würde.
Tim
21. Oktober 2014 @ 13:39
@ Robert
Das stimmt, aber Griechenland hätte durch den erheblich größeren finanziellen Spielraum die sozialen Folgen viel besser abfedern können. Wobei das dann natürlich die Reformbereitschaft drastisch verringert hätte …
Robert
21. Oktober 2014 @ 10:16
@Tim
Warum können sie mit dieser richtigen Analyse zu Griechenland, dass es mit einer eigenen Währung zu einer Abwertung der Drachme gekommen wäre, dann nicht auch den umgekehrten Fall akzeptieren, dass es mit der D-Mark zu einer Aufwertung gekommen wäre und somit diese immense Überschüsse nicht möglich gewesen wären, also auf beiden Seiten Fehler gemacht wurden und auf beiden Seiten Anpassungen stattfinden müssen.
Tim
21. Oktober 2014 @ 11:14
@ Robert
Natürlich war und ist der Euro in der gewählten Konstruktion ein Fehler. Da sich an dieser Konstruktion bis auf den heutigen Tag nichts geändert hat, wird er auch keinen Bestand haben (bzw. er kann nur dann Bestand haben, wenn sich Frankreich reformiert, aber das ist ja ein anderes Thema).
Die Bedeutung der Euro-Zone für die deutsche Wirtschaft nimmt übrigens seit Jahren ab. Hauptgrund ist die (natürlich zutreffende) Position der Unternehmen, daß die Wachstumsmärkte anderswo liegen. Diesen Effekt würde es mit ziemlicher Sicherheit auch unter D-Mark-Bedingungen geben.
PeterNemschak
19. Oktober 2014 @ 12:38
@ebo und Tim Es war ein Fehler unter dem damaligen Set-Up des Euro die privaten Gläubiger zur Kasse zu bitten. Die öffentlichen Gläubiger hätten die Last alleine schultern aber gleichzeitig für die Zukunft den Set-Up ändern müssen. Damit hätte sich wieder ein risikoadequates Renditeprofil beiden Staatsanleihen der Euroländer bilden können, was bis zur Finanzkrise praktisch verschwunden war.
Tim
20. Oktober 2014 @ 10:09
@ Peter Nemschak
Da bin ich ganz anderer Meinung. Wer Risikokandidaten Kredite gibt, muß auch dafür haften. Den privaten Banken ihre Titel abzukaufen, hat der (sozialen) Glaubwürdigkeit Europas schweren Schaden zugefügt, die Banken in ihrer Vabanque-Strategie ermutigt und letztlich Truppen wie AfD & UKIP gefördert.
Ich bleibe dabei: Ein Default Griechenlands 2010 mit starkem Schuldenschnitt wäre nicht nur für die Griechen das Beste gewesen, sondern auch für Europa.
Robert
18. Oktober 2014 @ 23:17
Naja wenn gewisse Diskussionsteilnehmer einfach mal so in den Raum werfen, das fast die Hälfte einer Volkswirtschaft eigentlich zu viel ist und einfach weg muss. Dass daran die Existenz von vielen Millionen Menschen hängt, scheint Sie anscheinend nicht zu stören. In solchen Fällen bin ich doch dazu geneigt, etwas klarere Worte zu wählen, damit vielleicht doch mal etwas Nachdenken über die Tragweite solcher Aussagen einsetzt.
Eine Lösung wäre auch möglich gewesen, ohne diese massiven Wirtschaftseinbrüche zu provozieren.
Was mich zum Beispiel stört an diesen Diskussionen, dass immer irgendwelche nebulösen Argumente eingeworfen werden ala:
“Schau Dir einmal genau die Haushaltsentscheidungen und Wirtschaftsentwicklungen der baltischen Länder ab 2010 an und vergleiche mit den Euro-Südstaaten”
Man könnte ja mal einen Link dazu packen, anhand dessen man sich ein Bild machen kann, da das eher eine Aufgabe für eine akademische Studie ist.
oder auch die Scheinantwort auf meine Frage, woran man denn die Übergröße nun genau festmachen kann:
“Wenn man nun versucht, das griechische BIP ohne den Großteil diese Pumpfinanzierung zu ermitteln, kommt man bzw. komme ich auf den genannten Wert.”
Eine Pumpfinanzierung wäre auch ohne den Euro möglich gewesen, wenn man das unbedingt wollte, denn die Griechen hatten ja auch eine eigene Zentralbank, zumal Wachstum sowie seinen Anfang in der Kreditfinanzierung von Investitionen hat
Tim
20. Oktober 2014 @ 09:48
@ Robert
Es gibt Eurostat, das Statistische Bundesamt, private Info-Dienstleister und viele andere Möglichkeiten, sich über die volkswirtschaftliche Situation zu informieren. Grundsätzlich bin ich der Meinung, daß man sich mit den Fakten vertraut machen sollte, bevor man sich eine Meinung erlaubt. Ich sehe für mich nicht die Pflicht, jede Einzelaussage zu verlinken.
Außerdem gibt es hier ja zahlreiche Leser, die immer und immer wieder denselben Unsinn behauten, man denke nur an das beliebte Thema “Lohndumping in Deutschland”. Solange es dieses Phänomen gibt, halte ich die aufwendige Suche nach Belegen ehrlich gesagt für ziemliche Verschwendung.
Was Griechenland angeht, bin ich selbst gespannt. Ich habe diese Prognose 2010 aufgestellt. Ob ich richtig gelegen habe, wird sich in den nächsten 12 Monaten herausstellen.
Tim
20. Oktober 2014 @ 10:00
@ Robert
Und noch was zum Thema “Pumpfinanzierung”: Griechenland hat ja seit der Euro-Einführung seine Importe drastisch erhöht. Das ist ja gerade einer der Knackpunkte der Eurokrise. Mit einer eigenen Währung und billigem Geld durch die eigene Notenbank wäre es dazu wahrscheinlich nicht gekommen, da die Drachme stark abgewertet hätte, d.h. Importe wären für Griechenland immer teurer geworden. Nominal wäre das griechische BIP stark gewachsen, in PPP aber wohl eher nicht.
Schöne Rechercheaufgabe: Welches Land hat vom griechischen Importboom seit 2002 am meisten profitiert? Ich habe einen Verdacht. 🙂
Robert
18. Oktober 2014 @ 10:40
Also die angeblich “Geretteten” wollen nicht mehr “gerettet” werden, zumindest nicht in der bisherigen Weise und die “Retter” wollen weiter “retten”.
@Johannes
Sie müssten sich doch jetzt über Schäuble aufregen, dass er denen unser Steuergeld “vorsorglich” hinterherwerfen will und die Griechen loben, die das nicht mehr wollen.
Robert
18. Oktober 2014 @ 10:32
@Tim
Genau, wenn die Griechen gleich zu Beginn der Krise knapp die Hälfte der Wirtschaft stillgelegt hätten, würden sie jetzt das Paradies auf Erden haben, wunderbar.
Warum ist denn nach ihrer Meinung jetzt ein Punkt erreicht, an dem die griechische Wirtschaft ihre “reale” Größe erreicht hat? Also das klang bis jetzt eher nach Bauchgefühl.
Tim
18. Oktober 2014 @ 13:56
@ Robert
Von “Paradies auf Erden” hat niemand gesprochen. Mich stört dieses Gehabe in der Diskussion hier zunehmend. Bitte bleibt doch einfach bei der Sache.
An Griechenland und griechische Unternehmen ging nach 2002 Kredite, die nur deshalb möglich waren, weil Griechenland im Euro war. Ohne den Euro und die implizite Bailout-Garantie wäre Griechenland viel langsamer gewachsen. Wenn man nun versucht, das griechische BIP ohne den Großteil diese Pumpfinanzierung zu ermitteln, kommt man bzw. komme ich auf den genannten Wert. Natürlich bleibt es eine grobe Schätzung, und ohne Bauchgefühl geht es auch nicht.
Johannes
17. Oktober 2014 @ 14:18
Oh mein Gott, Deutschland will nicht einfach so zahlen, oh mein Gott, Nazi Deutschland ist auferstanden, ruft die Polizei, die Deutschen wollen nicht einfach so zahlen, oh mein Gott *IronieOff
Frankreich und Süd Europa können ja Griechenland, das nicht in den Euro gehört, retten. Hab ja gehört wir Deutschen seien sehr sehr böse. Von bösen Menschen nimmt man ja kein Geld an, gell 😉
Peter Nemschak
17. Oktober 2014 @ 12:07
Bei so viel Angst – Angst verkauft sich in allen Medien gut – ist es kein Wunder, dass die Konjunktur nicht vorankommt: Angst vor dem Crash, Kriegsangst, Angst vor der modernen Pest, Angst, Angst, Angst. Sollte jetzt die EZB massiv mit QE beginnen und Deutschland ein öffentliches Investitionsprogramm auflegen, wird die Angst ins Unermessliche wachsen, weil die Lage hoffnungslos geworden scheint. Wirtschaft hat viel mit Psychologie zu tun, nicht nur das Segment Finanzmärkte.
DerDicke
17. Oktober 2014 @ 13:29
Die Mathematik ist gegen uns, und da liegt auch die Angst begründet.
Bei der Verteilung von Vermögen und Einkommen, wo der Anteil der Top 5% ständig steigt und der der unteren 95% konstant sinkt. Rechnerisch haben oberen 5% in 10 Jahren alle Guthaben und die unteren 95% alle Schulden. Und dann?
Ebola: die Anzahl der Betroffenen verdoppelt sich seit Beginn der Krise alle 3 Wochen. Versuche, den Menschen im Westen zu helfen haben dazu geführt, dass wir jetzt auch Betroffene hier haben die ihre Viren dank langer Inkubationszeit und der beginnenten Grippesaison gut verbreiten können. Rein rechnerisch sind in 100 Wochen weltweit ALLE entweder infiziert oder tot: 2^(100 / 3) = 8 Milliarden. Im Moment sind wir im Zeitplan: 2^(39 / 3) = 8000 Betroffenen nach 9 Monaten. Was macht die Politik – Quarantäne, Isolation, Flugverbote? Nö, gar nix.
Ich habe keine Angst, wenn es vorbei ist dann ist es eben vorbei. Ich bin nur froh dass ich keine Kinder habe.
DerDicke
17. Oktober 2014 @ 19:23
Hier noch ein schöner Artikel zur Verteilung von Einkommen und Vermögen (in den USA):
http://www.zerohedge.com/news/2014-10-17/why-nations-and-organizations-fail-self-serving-elites
Tim
17. Oktober 2014 @ 09:12
Ich hatte immer geschätzt, daß Griechenlands BIP durch zu billiges Geld ungefähr 30-40 % zu groß ist. Die reale BIP-Größe ist jetzt ungefähr erreicht. Ich glaube also, Griechenland hat das Gröbste hinter sich. Schade nur, daß sie ihre Krise und damit das Leid der Menschen künstlich verlängert haben. Mit einer Schocktherapie würden sie heute schon viel besser dastehen.
Ach, Mist, geht ja nicht, denn das wäre ja neoliberale Blutwirtschaft.
DerDicke
17. Oktober 2014 @ 13:18
Ne, die sinken noch weiter, keine Bange. Warum sollte es dort Aufwärts gehen?
1. Es muss gespart werden, Kürzen wir die Löhne und Renten während wir neue Steuern erfinden und ein paar tausend Leute entlassen.
2. Staatlicher / Privater Konsum und Investitionen kollabieren.
3. Nachfrage kollabiert.
4. Firmen müssen Mitarbeiter entlassen, da keine Abnehmer für ihre Produkte da sind. Löhne müssen gekürzt werden.
5. Weiter bei 2.
So lange die Politik und die Neoliberalen nicht in ihre Köpfe bringen, dass man bei insolventen Konsumenten keine Angebotspolitik betreiben kann, so lange wird es im Süden abwärts gehen. Nein, Export ist keine nachhaltige Lösung.
Traurigerweise lernt man die o.g. Zusammenhänge im Gymnasium 11. Klasse, und die Zusammenhänge sind immer noch so wahr wie damals. Irgendwelche Überflieger sind aber immer der Meinung, dass man die Grundlagen überlisten kann. Es ist der selbe Typ Überflieger, der in seiner Hybris Menschen, die mit hoch ansteckenden und tödlichen Keimen verseucht sind in die Ballungszentren dieser Welt zum Sterben bringt. Auch hier wäre das Zauberwort: Isolation, Abriegelung, Quarantäne – im Zeitalter von Reisefreiheit, iPhones und Aspirin sowas von 20. Jhd…
Wir werden von denkresistenten Idioten und Versagern regiert, beim Bund nannte man die Vorgesetzten oft “Zivilversager”, in der wirklichen Welt ist das nicht anders.
Peter Nemschak
17. Oktober 2014 @ 13:23
Die Schocktherapie hätte aber auch eine massive Entschuldung einschließen müssen, vor der sich die öffentlichen Gläubiger bisher gedrückt haben. Umschuldungen mit Laufzeiten bis 50 Jahren und darüber und Minimalzinssätzen werden nicht ausreichen, um die Schuldentragfähigkeit von Griechenland wieder herzustellen. Das schmerzliche Erwachen (Forderungsverzicht) steht den Gläubigerländern der EU erst bevor. Als ob es nicht schon genug Probleme gäbe.
Tim
17. Oktober 2014 @ 20:28
Ja, natürlich. Danke für die Ergänzung.
ebo
18. Oktober 2014 @ 14:40
Derzeit ist Deutschland gegen eine Entschuldung. Schäuble hat vor zwei Jahren schon die aufkeimende Debatte abgewürgt, weil er vor der damals nahenden Bundestagswahl keinen Ärger haben wollte. Dies war ein schwerer Fehler, wie die Lage in Griechenland, aber auch der Vormarsch der AfD zeigt.
Tim
18. Oktober 2014 @ 17:42
@ ebo
2010 waren sogar praktisch alle in der deutschen Politik gegen eine Entschuldung, obwohl damals der richtige Zeitpunkt gewesen wäre. Mit einer Ausnahme: Frank Schäffler. Entsprechend ist er von allen für völlig verantwortungslos, kalt, irre erklärt worden. Mit einem Wort: neoliberal.
ebo
18. Oktober 2014 @ 18:02
@Tim
Schön, das du Dich endlich als Schäffler-Fan outest, Aber das stimmt so nicht. Berlin war damals fast allein für einen Schuldenschnitt, Allerdings sollte er einmalig sein und nur die privaten Gläubiger betreffen. Nach viel Hin und Her setzte sich Berlin schließlich durch – und löste damit neue Panik an den Märkten aus, die dann auch Italien und Spanien traf. Letztlich war es ein populistisches Manöver, das nicht einmal der Deutschen Bank, die den Deal mit aushandeln durfte, weh getan hat. Umso mehr aber der gesamten Eurozone. Steht alles in meinen E-Book http://www.amazon.de/Wir-retten-die-Falschen-ebook/dp/B00F3HEBOG/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1379097697&sr=8-1&keywords=wir+retten+die+falschen