Brutal frugal
Tag 2 des “Wiederaufbau”-Gipfels – und immer noch keine Einigung in Sicht. Im Gegenteil: Die “Frugal four” haben ihre Position verhärtet, vor allem der niederländische Premier Rutte geht ausgesprochen brutal vor.
Er werde beim Gipfel „kämpfen bis zum Umfallen“, hatte Rutte schon vor Beginn des Spitzentreffens gesagt, bei dem es um den “Wiederaufbau” der Wirtschaft nach Corona und das künftige EU-Budget geht.
In den Niederlanden wird im Frühjahr 2021 gewählt. Ruttes konservativ-liberale Partei VVD wird sich dabei der rabiat anti-europäischen und populistischen Konkurrenz erwehren müssen, schreibt die “taz”.
Doch muß man deshalb so brutal vorgehen wie am Freitagabend? Gipfelchef Michel hatte ein Papier vorgelegt, mit dem er sich noch weiter auf die “Sparsamen Vier” zubewegt.
Darin geht es um die so genannte “Governance” des Wiederaufbau-Fonds. Die Vergabe von EU-Hilfen soll an zusätzliche Bedingungen geknüpft werden, im Zweifel soll der Europäische Rat zusammentreten.
In der Praxis würden damit Hilfen für Italien, Spanien oder Frankreich unter einen General-Vorbehalt gestellt. Man würde zwar keine Troika schicken – doch auch so ließen sich Reformen erzwingen.
Doch Rutte reichte das immer noch nicht. Er fordert ein Vetorecht für sein Land – also Einstimmigkeit im Europäischen Rat. Den Haag könnte so im Alleingang einen Hilfsantrag aus Rom blockieren.
Damit brachte Rutte das Faß zum Überlaufen. Rutte solle aufhören, sich wie “die Polizei von Europa” aufzuführen, schimpfte Bulgariens Regierungschef Borissow.
Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt, Michel brach die Verhandlungen ab – denn mit dieser harten Position, die an M. Thatcher (“I want my money back”) erinnert, ist keine Einigung möglich.
Am Samstagmorgen fand sich Rutte dann da, wo er wohl unbedingt hinkommen wollte: im Zentrum der Aufmerksamkeit. Kanzlerin Merkel und Kommissionschefin von der Leyen bemühten sich rührend um ihn.
Bleibt die Frage, ob die deutsche Doppelspitze den brutalen Vorstoß abwehrt – oder ob sie erneut auf Rutte zugeht. Doch selbst in diesem Fall wäre ich nicht sicher, dass es für eine Einigung reicht…
Siehe auch “Abbruch beim Aufbruch-Gipfel”
P.S. Es geht weiter in Richtung “Frugals”: Michel hat eine Kürzung der Zuschüsse aus dem Wiederaufbau-Fonds um 50 Milliarden Euro vorgeschlagen. Demnach sollen von den insgesamt 750 Milliarden Euro jetzt nur mehr 450 Milliarden Euro als Zuschüsse und dafür 300 Milliarden Euro als Kredite vergeben werden. Doch das kommt nicht überall gut an, wie folgender Tweet zeigt.
#EUCO #SommetEuropéen Ces négociations tournent mal. L’Europe est en train de louper le coche et risque de décevoir les européens au moment où ceux-ci en ont le + besoin.
— Eric Andrieu (@EricAndrieuEU) July 18, 2020
Si un jour l’Europe disparaît, les chefs d états en seront largement coupables! #Europe
European
19. Juli 2020 @ 13:34
Es war nur eine Frage der Zeit:
https://www.agi.it/politica/news/2020-07-19/ue-salvini-banca-affari-italia-ci-rimette-9196764/
Für mich ist es ein wirklich schlimmes Gefühl, wenn man jemandem wie Salvini auch noch zustimmen muss und sei es auch nur teilweise.
Kleopatra
19. Juli 2020 @ 09:29
Man muss auch noch einen Punkt sehen: Der “Wiederaufbaufonds” ist eine deutsch-französische Idee. Daher wird er, wenn das Geld verhältnismäßig freizügig verteilt wird, Loyalität zu Merkel und Macron kaufen. Die kleinen reicheren Länder müssten vergleichbare Pro-Kopf-Beiträge leisten, ohne dass der Fonds ihnen Sympathie und Gefolgschaft kaufen würde.
Logischerweise müssen Frankreich und Deutschland, wenn sie alleine die Idee aufbringen und das Lob dafür kassieren, auch allein die Kosten tragen. Darauf könnte sich sicher (fast) die gesamte EU einigen.
ebo
19. Juli 2020 @ 10:11
Ja, das ist ein wichtiger Aspekt. Er hilft auch zu verstehen, warum nun die “Frugal Four” am Drücker sind – Merkel und Macron haben ja schon geliefert.
ABER: Merkel will sich einen Beitrags-Rabatt sichern, der dann auch auf die Rückzahlung der Schulden gelten würde. Dies macht sie zu einem objektiven Verbündeten von Rutte.
Macron hingegen steht in einem innenpolitischen Sturm. Mélenchon wirft ihm schon vor, vor Merkel & Rutte kapituliert zu haben.
Da ist eine ganz gedährliche Dynamik am Werk…
Art Vanderley
18. Juli 2020 @ 21:05
Die brugalen Vier….
Ob Rutte mit dieser Strategie (Wahl-)Erfolg hat? So trägt er nicht nur dazu bei, die europäische Solidarität zu zerrutten, er könnte auch die Originale im eigenen Land stärken, was immerhin ein alter Erfahrungswert ist.
European
18. Juli 2020 @ 20:16
A tax haven that permanently robs the other EU members Billions of tax money dictates the conditions to another founding member and net contributor.
That’s how protection racketeers usually act.
This is not the EU we wanted.
RAJA RAJAMANI
18. Juli 2020 @ 14:21
If I were Italy or Spain, I would cringe in shame. At being held to in public and humiliated like this. Compared to the rest of the world, these are rich countries.
ebo
18. Juli 2020 @ 15:08
Absolutely right. This is humiliating. Where is Merkels famous “mediation”?
Peter Nemschak
18. Juli 2020 @ 16:26
There is nothing humiliating about defending one’s interests. Conte understands it but has got a problem with his left-populist 5-Star coalition partner. It is a misconception to expect from states to behave like charitable NGOs. Power and interests drive their behaviour. Big states like Germany or France follow different agendas than small states, north European states different ones from southern European states. At the end there will be compromise, because every member state is aware to be better off with than without the EU.
ebo
18. Juli 2020 @ 17:31
It is not in the national interest of the Netherlands to treat Italy like a colony. And it was not in the national interest of Germany to treat Greece like a colony, as history tells us.