Freihandel über alles (II)

Trotz des Spionageskandals hält die EU an den Freihandelsgesprächen mit den USA fest. Kommissionschef Barroso und Kanzlerin Merkel stimmten Frankreichs Präsident Hollande um, der eine Verschiebung gefordert hatte. Offenbar geht der Freihandel über alles – selbst die Wirtschaft ist besorgt. 

„Freihandel über alles?“. Unter diesem Titel habe ich bereits im Februar über die – damals noch geheime – Liberalisierungs-Runde zwischen EU und USA geschrieben. Damals konnte ich nicht ahnen, dass es so weit kommen würde.

Am Rande des Berliner Mini-Gipfels zur Jugendarbeitslosigkeit kungelten Merkel, Barroso und Hollande am Mittwoch aus, dass die Verhandlungen wie geplant am Montag kommender Woche beginnen sollen.

Die zunächst lauthals geforderte Aufklärung der Spionagevorwürfe wurde fallen gelassen. Von einem Stopp der Überwachung spricht schon niemand mehr. Merkel ist umgefallen, Hollande eingeknickt.

Damit werden die schlimmsten Befürchtungen wahr. Wie vor zehn Jahren bei „Echelon“ kneift Europa. Die Herrschaften im Kanzleramt haben nicht einmal abgewartet, was das Europaparlament zu sagen hat – es will sich erst heute äußern.

Merkel, Barroso und Hollande lassen sich von den USA über den Tisch ziehen. Washington hatte zuvor eingewilligt, eine gemeinsame Gruppe aus US- und europäischen Experten zur Aufklärung der Vorwürfe zu gründen.

Vermutlich wird sie mit Geheimdienstexperten besetzt, die von den NSA-Schnüffeleien direkt profitieren. Freihandel sei ohnehin wichtiger, sagte Barroso, der seit dem Irak-Krieg stets den USA gefolgt ist.

Dabei stellt die Schnüffelei nicht nur grundlegende Bürgerrechte in Frage. Sie untergräbt auch den Sinn der Verhandlungen – denn die NSA-Überwachung dient auch der Wirtschaftsspionage.

Doch was sollen Freihandelsgespräche, wenn die Wirtschaft der einen Seite von der anderen schon vor Beginn der Verhandlungen systematisch ausgespäht und übervorteilt wird?

Diese Frage stellen sich sogar der CDU-Außenpolitiker Brok und die Mittelstandsvereinigung der CSU. Doch die Chefs hören nicht mehr hin. Sie hören nur noch auf Big Brother und Big Business – oder?

Vermutlich spielt auch Geostrategie eine Rolle – nicht umsonst wird immer mal wieder von einer „Wirtschafts-Nato“ gesprochen, mit der EU und USA sich gegen China positionieren wollen.

Das passt auch zum Klima des Kalten Krieges, das die ganze Affäre von Anfang an begleitet…

Siehe auch „Echelon reloaded“