Rajoys Ende, Merkels Treue, Macrons Rache
Seit der Wahl in Frankreich hatte die EU ein “Window of Opportunity” für Reformen. Es wurde nicht genutzt, vor allem Deutschland stand auf der Bremse. Nun folgt eine Krise auf die andere – nicht nur die USA schießen quer.
Während die EU noch darüber grübelt, wie nun eine weitere Eskalation im Handelsstreit verhindert werden kann, kommen neue Hiobsbotschaften aus Spanien. Dort steht Premier Rajoy vor dem Aus.
Die Abwahl steht kurz bevor, meldet die “Süddeutsche”. Die Sozialisten, die einen Misstrauensantrag einbrachten, hätten die nötigen 176 Stimmen hinter sich, um den Regierungschef bei der Abstimmung am Freitag zu Fall zu bringen.
Damit drohen nach der schweren Regierungskrise in Italien einem weiteren südeuropäischen Land unsichere Zeiten. Beim EU-Gipfel im Juni könnten gleich zwei Länder ausfallen, weil sie keine handlungsfähige Regierung haben.
Damit sinken aber auch die Chancen, dass der Gipfel noch irgendwelche großen Reformen auf den Weg bringen wird. Vor allem Frankreichs Staatschef Macron muss sich Sorgen machen.
Die Turbulenzen könnten von Gegnern der Reform genutzt werden, heißt es in Brüssel. Die Niederlande und mehrere nordeuropäische Länder haben sich bereits gegen Macrons Vorschläge gestellt und „weniger Europa“ gefordert.
Die neue Krise in Spanien ist aber auch ein Problem für Merkel. Für sie war Rajoy in den letzten Jahren zu einem wichtigen Partner aufgestiegen, der den deutschen Sparkurs mittrug und die Konservativen stärkte.
Dass Rajoys Partei PP der Korruption bezichtigt wurde, schien die Kanzlerin nicht zu stören – sie bleib ihm treu. Doch genau das wird ihm nun wohl zum Verhängnis. Die Spanier sind die Vetternwirtschaft leid.
Wenn Rajoy stürzt, könnten sich die politischen Kräfteverhältnisse in der EU verschieben – zugunsten von Sozialisten und Liberalen. Davon wiederum könnte wieder Frankreichs Macron profitieren…
…denn gleich nach dem EU-Gipfel beginnt der Wahlkampf für die Europawahl 2019. Wenn Macron “seine” Reformen nicht bekommt, könnt er sich dafür rächen – mit einer Kampagne gegen die Konservativen…
WATCHLIST
- Kommt nun der Handelskrieg? Die EU plant Vergeltung für die Sonderzölle der USA. Darauf wollen die Amerikaner wieder mit neuen Strafen antworten – diesmal könnte es auch die Autoindustrie treffen. Allerdings werden die EU-Maßnahmen wohl nicht vor dem 20. Juni in Kraft treten, wg. verschiedener Fristen. Ob das eine Atempause bedeutet?
- Kommen nun die Populisten? Am Donnerstag Abend haben sich Fünf Sterne und Lega in Italien erneut auf eine gemeinsame Regierung geeinigt. Der umstrittene Euro-Kritiker Savona soll darin offenbar nicht mehr Finanz-, sondern Europaminister werden. Ich sehe schon die begeisterten Gesichter bei der EU-Kommission in Brüssel…
WAS FEHLT?
- Strafverfolgung in Polen, Rumänien und Litauen. Alle drei Länder haben sich der Komplizenschaft beim berüchtigten CIA-Folterprogramm in Geheimgefängnissen schuldig gemacht, hat der Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg geurteilt. Nun sollen die Staaten die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen – doch es sieht nicht so aus, als würden sie das tun.
- Die neue Kopfprämie für Flüchtlinge. Wie die “FAZ” berichtet, will die EU-Kommission 2800 Euro für jeden seit 2013 in Deutschland angekommenen Nicht-EU-Bürger zahlen. Das könnte sich auf 4,5 Mrd. Euro summieren. Ausgedacht hat sich das der deutsche EU-Kommissar Oettinger – im Gegenzug wird das Geld für strukturschwache Regionen gekürzt…
Hella-Maria Schier
2. Juni 2018 @ 20:13
Wenn der neue Regierungschef in Spanien den Katalanen die Automomierechte zurückgibt, die sie unter der Vorgängeregierung Rajoys schon mal hatten, was vor allem die Steuern betrifft, und ihnen allgdmein aufgeschlossener begegnete, würde die Mehrheit für die Abspaltung sicher merklich bröckeln. Es ist ja auch nicht zu verstehen, dass die Katalonien nicht die gleichen Rechte besitzen sollte, wie das Baskenland. Beide haben eine eigenständige Kultur und Sprache.
Kleopatra
2. Juni 2018 @ 09:14
Ich sehe nicht, wo und wieso Macron eine Kampagne „gegen die Konservativen“ führen sollte. Sein Problem ist ja, dass er seine persönliche Gefolgschaft zwar in Frankreich problemlos als „Partei“ strukturieren konnte (obwohl sie mit Parteien im eigentlichen Sinn wenig gemeinsam hat), dass das aber über die französischen Grenzen hinaus nicht ausstrahlen kann. Macron hat ja letztlich die traditionellen Parteien zerschlagen (die Sozialisten, denen er sein erstes Ministeramt verdankte, so gründlich, dass sie ihre Parteizentrale verkaufen müssen) und damit die Basis für Bündnisse im Europäischen Parlament zerstört. Die französische Macron-Bewegung ist nach meinem Eindruck so apolitisch wie die Merkel-Verehrung vieler deutscher Grüner und Linksliberaler.
Peter Nemschak
1. Juni 2018 @ 11:02
Macrons Reformen sind eine Utopie. Ein window of opportunity gab es nie. Wenn Reformen, dann langsam Schritt für Schritt. Außerdem wirken sie nur langfristig, Krisen müssen kurzfristig bewältigt werden. Ob andere Parteien in Spanien weniger korrupt sind als die Partei Rajoys muss erst bewiesen werden. In Italien wird man sehen, wie lange die ungleiche Regierungskoalition halten wird. Keine Regierung hat bisher in Italien lange gehalten.
Matthias, Annette
1. Juni 2018 @ 11:00
Rajoi’s Ende scheint mir die Quittung zu sein für seine unsägliche Haltung in der Unabhängigkeitsbestrebung der Basken zu sein. Er sollte vielleicht mal ein Handbuch für Mediation lesen, um zu lernen wie man Konflikte löst statt sie zu verschlimmern.
Peter Nemschak
2. Juni 2018 @ 09:14
Eher die Quittung für endemische Korruption bei den Konservativen. Hinsichtlich Katalonien müssen die anderen Parteien genau so wie die Konservativen die Integrität des spanischen Staates verteidigen.