Eine Frage an M. Draghi

Bei seiner ersten Anhörung vor dem Bundestag hat EZB-Chef Draghi Punkte gemacht. Der Italiener schaffte es nicht nur, etliche Abgeordnete davon zu überzeugen, dass er es ernst meint mit dem Kampf gegen die Inflation, und dass das umstrittene Anleihenkaufprogramm „unumgänglich“ sei. Sein Auftritt in der deutschen „Höhle des Löwen“ gab heute sogar dem Euro Auftrieb, wie n-tv meldet. Dennoch sind die typisch deutschen Ängste nicht ausgeräumt. Frank Luebberding vom Blog „wiesaussieht“ versucht, die Rolle der EZB und der Geldpolitik mit einer originellen Analogie zwischen Düsseldorf und der Eifel zu erklären. Hier sein Text:

Von F. Luebberding

Wenn Mario Draghi heute in einer gemeinsamen Sitzung der Haushalts-, Finanz- und Europaauschüsse auftritt, darf man ihn gerne fragen, wie nützlich seine Zeit bei Goldman-Sachs für seine heutige Rolle als EZB-Präsident gewesen ist. Schließlich kontrolliert die Zentralbank mit der Geldpolitik jene Märkte, wo Goldman-Sachs einer der wichtigsten Interessenten ist. Da gibt es Aufklärungsbedarf und die personelle Verbindung zwischen einer Steuerungsinstanz und einem Interessenten keineswegs selbstverständlich. Aber wahrscheinlich wird sich dieser Auftritt lediglich um deutsche Ängste drehen. Diese Befragung bietet damit den üblichen Verdächtigen (von Frank Schäffler bis Jürgen Stark) die Gelegenheit, sich erneut zu äußern. Tatsächlich ist auf der geldpolitischen Seite alles entschieden. Die EZB hat schon mit der bloßen Ankündigung der unbegrenzten Intervention auf den Sekundärmärkten die Krise auf dem Bondmarkt in den Griff bekommen. Die Zinsen sinken und ein Kollaps bei europäischen Staatsanleihen mittlerweile auszuschließen. Es ist eben unmöglich, gegen die Währung einer Zentralbank zu wetten, wenn es denn jemand gemacht haben sollte. Das ist also eine gute Gelegenheit, dem Finanzstaatssekretär Kampeter zuzustimmen:

“Ich kann die Kritik an den bisherigen Aktivitäten der EZB nur teilweise nachvollziehen.”

Nur hätten wir das alles schon im Frühjahr 2010 haben können. Stattdessen hatte die Bundesregierung die EZB an einer entscheidenden Stelle blockiert: An der Ausübung ihrer Funktion als der “lender of last ressort”. So erst wurde aus der immer noch nicht gelösten Strukturkrise eines unzureichend konzipierten Währungsraumes ohne Not eine fundamentale Vertrauenskrise in europäische Staatsanleihen. Dafür ist weder Draghi verantwortlich zu machen, noch Goldman-Sachs. Vielmehr ausschließlich die ordnungspolitischen Taliban im Umfeld der Bundesbank. Das sind übrigens die gleichen Leute, die vor Ausbruch der Finanzkrise die “Effizienz der Finanzmärkte” als alleiniges Credo der Wirtschaftspolitik propagierten – und damit die Interessenidentität zwischen Steuerungsinstanz und großen Finanzmarktakteuren. Aber das nur als Hinweis für den Bundestag.

Nur ist die Eurokrise damit vorbei?

Keineswegs. Die Geldpolitik allein wird keine Investitionen in Südeuropa stimulieren können, genauso wenig kann sie die Ungleichgewichte in der Währungsunion dauerhaft beseitigen. Sie kann nur Krücken etwa in Form der Target 2 Salden zur Verfügung stellen. Allerdings gibt es auch positive Entwicklungen: Selbst die intellektuellen Vordenker der Bundesbank können nicht bestreiten, dass der Abbau dieser Ungleichgewichte schon längst im Gang ist. Die Ängste über die fehlende Anpassungsbereitschaft des Süden dokumentieren übrigens ein erstaunliches Mißtrauen in Marktprozesse. Aber jenseits dessen: In diesem Text von Norbert Berthold kommen die deutschen Missverständnisse über die Ursache der Krise gut zum Ausdruck. Er nimmt nämlich das deutsche Modell der Exportorientierung zum alleinigen Maßstab für das Funktionieren der Währungsunion. In dieser Grafik wird das Problem deutlich. Der Süden kann tatsächlich seinen realen Wechselkurs in der Eurokrise durch einen verschärften Austerity-Kurs auf das deutsche Niveau bringen. Wohin das führt, sieht man jeden Tag an den Daten über die Rezession in Südeuropa. Es gibt aber alternativlos eine Alternative, um den unumgänglichen Anpassungsprozeß in der Eurozone sinnvoll zu gestalten: Deutschland verschlechtert seinen realen Wechselkurs durch eine entsprechende Lohnpolitik. Man sieht schon die Panik in den Augen deutscher Ökonomen! Diese Verschlechterung wäre allerdings für die meisten Menschen eine reale Verbesserung in Form höherer Einkommen. Wer hätte das gedacht? Eine Verschlechterung bedeutet Verbesserung? Der Irrsinn in der deutschen Debatte ist die Unfähigkeit, diesen Zusammenhang zu verstehen. Stattdessen will man wie Berthold aus dem Süden der Eurozone das Modell Deutschland machen:

“Es ist eine ökonomische Binsenweisheit: Die internationale Wettbewerbsfähigkeit eines Landes steigt nur, wenn es besser oder billiger wird. Das gilt auch für die europäische Peripherie. Da die Entwicklung neuer Produkte mehr oder weniger Zeit braucht, bleibt den Ländern auf die Schnelle nur der Weg, ihre preisliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Die Preise der Güter, mit denen sie international handeln, müssen sinken. Niedrigere reale Lohnstückkosten machen ein Land nur preislich wettbewerbsfähiger, wenn sie sich in sinkenden Preisen für international handelbarer Güter niederschlagen”

Das ist fast richtig. Nur lebt der Süden dummerweise mit dem Norden in einer Währungsunion. Die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist nämlich nur in einer Hinsicht von Bedeutung: Um etwa Güter und Dienstleistungen aus anderen Währungsräumen zu importieren. Deshalb ist in der Bundesrepublik Deutschland auch niemand auf die Idee gekommen, eine solche Logik etwa auf die Wirtschaftsräume Eifel und Düsseldorf anzuwenden. Die Leistungsfähigkeit einer Region bestimmt zwar das Preis- und Lohnniveau im Binnenmarkt, aber dummerweise gilt nicht der Umkehrschluss. Dass nämlich dieses Preisniveau zu einer Angleichung der ökonomischen Leistungsfähigkeit führen könnte. Ansonsten hätte die Eifel schon lange das Niveau von Düsseldorf erreicht. Was nicht verstanden wird: Ökonomisch ist der Süden in der Eurozone für Deutschland kein Ausland mehr. Da staunen wir jetzt! Vielmehr gibt es in jeder Währungsunion Unterschiede in der ökonomischen Leistungsfähigkeit einzelner Regionen. Das ist eine Binsenweisheit. Nur warum kennt sie dann keiner? Und daher jetzt die Preisfrage an alle Bundestagsabgeordneten, die heute Mario Draghi treffen:

Was wäre passiert, wenn Düsseldorf in dieser DM-Währungsunion versucht hätte, seine Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der Eifel zu sichern, indem es etwa auf die ansonsten möglichen Einkommenssteigerungen verzichtet hätte?

Man hätte sicherlich laut gelacht – vor allem in Düsseldorf. Was interessiert uns die Eifel? Die Effekte wären nämlich so gewesen, wie wir es jetzt in der Eurozone erleben. Am Ende geht es der Eifel nicht besser, sondern sogar Düsseldorf schlechter. Schließlich wird das Wirtschaftswachstum keineswegs nur von den international handelbaren Gütern bestimmt, sondern vor allem von den Investitionen und der Einkommensentwicklung auf dem Binnenmarkt. Daher wäre auch niemand auf die Idee gekommen, dass es erst dann eine Lösung geben könnte, wenn die Eifel mit anderen Regionen etwa im Maschinenbau konkurrenzfähig wird. Letztlich ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit nur für den gesamten Währungsraum von Bedeutung – und nicht die regionale Verteilung der Weltmarktfähigen Sektoren innerhalb einer Volkswirtschaft. Die beiden entscheidenden Kennziffern dafür sind bekanntlich die Handels- und Leistungsbilanz. Die sieht für die gesamte Eurozone ziemlich gut aus. Über das Wohlstandsniveau in der Währungsunion entscheidet dagegen die gesamtwirtschaftliche Produktivität – und somit noch nicht einmal die Frage, wie man etwa die Leistungsunterschiede innerhalb dieser Volkswirtschaft ausgleicht. Die völlige Angleichung der Lebensverhältnisse ist bekanntlich auch in der Bundesrepublik nicht gelungen. Von Großbritannien oder den USA gar nicht zu reden.

Aber dass der Einkommensverzicht in allen Regionen den Wohlstand in einem Währungsraum garantieren könnte: Auf diese Idee ist man bisher nur in der Eurozone gekommen.

So kann die Eifel vom Glück reden, von Düsseldorf nicht als Ausland betrachtet worden zu sein. Wie jetzt wohl die EZB Ausland und Inland definiert? Diese Frage darf im Bundestag Mario Draghi gestellt werden. Vielleicht kann er sie sogar beantworten? Das wäre auch das Mindeste, was man von einem ehemaligen Mitarbeiter von Goldman-Sachs erwarten darf. Wenigstens die sollten wissen, wie ein Währungsraum funktioniert – und wie nicht.