Ein Kommissar setzt sich von Merkel ab
Bisher war Erweiterungskommissar Hahn ein treuer Türkei-Anhänger. Der Österreicher verteidigte nicht nur Präsident Erdogan, sondern auch den Flüchtlingsdeal von Kanzlerin Merkel. Doch nun denkt er um.
Der Flüchtlingsdeal hänge nicht an der umstrittenen Visa-Liberalisierung, sagte Hahn dem „Handelsblatt“. Er sei überzeugt, dass Erdogan den Deal nicht scheitern lasse, weil er die EU derzeit zu sehr brauche.
Das ist doppelt interessant. Denn zum einen hat Erdogan genau damit gedroht – dem Scheitern. Zum anderen hat Merkel bei der Vorstellung „ihres“ Deals betont, er sein ein Gesamtpaket, das man nicht aufschnüren dürfe.
Nun setzt sich der Kommissar von dieser Interpretation ab – und deutet damit einen möglichen Ausweg aus der Erdogan-Falle an. Auch für Merkel und Deutschland wäre eine Entkoppelung gut.
Denn wenn die EU-Visumpflicht in der aktuellen Kriegssituation in der Türkei wegfallen sollte, würden sofort Tausende Erdogan-Gegner und verfolgte Türken nach Europa fliehen…
Bleibt die Frage, ob Hahns Äußerung mit Kommissionschef Juncker abgestimmt war, ob es sich also um einen Testballon handelt – oder ob der Österreicher allein auf verlorenem Posten steht?
Peter Nemschak
29. August 2016 @ 18:58
Seit der Vorstellung des Deals haben sich die Zeiten geändert, der Widerstand gegen Erdogan ist quer über das politische Spektrum gestiegen. Die Aussagen, insbesondere gegebene Garantien, von Politikern gelten immer ceteris paribus. Weil sie wenig wert sind, darf man ihnen nicht zu viel Bedeutung beimessen. Merkel ist diesbezüglich keine Ausnahme. War es nicht Adenauer, der gesagt haben soll: was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Nichts ist absolut in der Politik. Seien wir froh darüber.