Draghi und Deutschland

Ganz Deutschland empört sich über Draghis Anleihenkaufprogramm. Ganz Deutschland? Nein. In Brüssel und Straßburg gibt es einige prominente deutsche Europaabgeordnete, die den Kurs des EZB-Präsidenten verteidigen. Sie teilen die Auffassung des deutschen EZB-Direktoriumsmitglieds Asmussen, dass die umstrittene Intervention an den Anleihemärkten nötig ist. Eine kommentierte Übersicht aus Brüsseler Perspektive. 

Zunächst der grüne Finanzexperte S. Giegold (Hervorhebungen von mir):

“Mit ihrer Entscheidung, durch Anleihenkäufe zukünftig
Refinanzierungskosten von Krisenstaaten wie Italien und Spanien zu
stabilisieren, ist die EZB für die handlungsunfähigen Mitgliedsstaaten
in die Bresche gesprungen. Einmal mehr übernimmt Mario Draghi die Rolle des Feuerwehrhauptmanns: Er wird zukünftig gegen die Schwelbrände der angestiegenen Risikozuschläge auf Anleihen von Mitgliedsstaaten wie Italien und Spanien mit Stützungskäufen vorgehen. Dieser Löscheinsatz ist nicht umsonst. Mitgliedsstaaten, die Unterstützung erhalten, müssen im Gegenzug Reformprogramme umsetzen und ihre Haushalte sanieren.

Wenn jedoch deutsche Politiker den Kauf von Staatsanleihen durch die EZB am Sekundärmarkt kritisieren, so ist dies scheinheilig.Spanien und Italien kämpfen trotz ihrer Reformanstrengungen mit hohen
Risikozuschlägen, die ihre Geldaufnahme erschweren. Zudem haben dieeuropäischen Staats- und Regierungschefs noch keine überzeugende Lösung der Eurokrise zu Stande gebracht. Auch die deutsche Bundesregierung weigert sich beharrlich, einen umfassenden Plan vorzulegen. Altschuldentilgungsfonds, eine Banklizenz für den ESM und konsequente Maßnahmen gegen Steuerflucht und Steuerwettbewerb scheut sie wie der Teufel das Weihwasser.”

Ähnlich argumentiert der SPD-Wirtschaftsexperte U. Bullmann:

“Die unbegrenzten Anleihenkäufe der EZB sind eine klare Kampfansage an Spekulationen gegen den Euro. Die Entscheidung zeigt die Entschlossenheit, mit der die Notenbank den Euro und damit auch die Eurozone verteidigen will. Ihre aktive Rolle als Feuerwehr lässt sich jedoch nicht ohne das Versagen der Bundesregierung erklären. Die Wahrheit ist doch, dass Merkel der EZB insgeheim dankbar ist für diesen Schritt “.


Die EZB kündigte an, an anderer Stelle wieder Liquidität aus dem Markt zu nehmen. “Es wäre daher unfair, ihr schlicht laxe Geldpolitik vorzuhaltenEin Land wie Großbritannien mit einer deutlich höheren Staatsverschuldung als etwa Spanien gilt an den Märkten heute als sicherer Partner für die Zukunft. Obwohl die britische Notenbank in der jüngsten Vergangenheit massivste Aufkäufe von Staatsanleihen getätigt hat. Das sollte auch Frau Merkel und Bundesbankpräsident Weidmann zu denken geben”

Entschieden anderer Meinung ist er CSU-Politiker M. Ferber:

„Staatsfinanzierung mit Hilfe der Notenpresse, auch wenn sie an strikte politische Auflagen geknüpft ist, ist unter Berücksichtigung der Verträge trotzdem fragwürdig.“ 

„Großangelegte Staatsanleihekäufe sind ein gefährliches Fahrwasser auf dem Weg raus aus der Krise. Das Motto „Unbegrenzt billiges Geld für alle“ hat die Krise erst verursacht.“

„Herr Draghi will sich mit der Aktion als Retter des Euros profilieren, überschreitet damit aber deutlich seine Kompetenzen. Das eigentliche Problem der Schuldenkrise werden wir damit nicht lösen“, so der Europaabgeordnete. „Damit knickt Herr Draghi vor dem Druck der Spekulanten ein.“

Ferber macht einen wichtigen Punkt: Es sind tatsächlich spekulative Attacken, die die EZB zum Eingreifen bewegen. Die Risikoaufschläge für Spanien und Italien haben mit den realwirtschaftlichen Daten nichts mehr zu tun; sie liegen um mindestens zwei Punkte zu hoch, wie Bullmann völlig zu Recht betont. Es liegt also ein massives Marktversagen vor, das in der deutschen Debatte fast völlig ausgeblendet wird. 

Ausgelöst wurde die Explosion der Spreads gleich zweimal durch deutsche Alleingänge: Im Sommer 2011, als die Bundesrepublik plötzlich und gegen den Rat der EZB eine Beteiligung privater Gläubiger an der “Rettung” Griechenlands forderte – und im Frühjahr dieses Jahres, als Finanzminister Schäuble ohne Not die Debatte über den “Grexit” lostrat. Wie ich in diesem Blog gezeigt habe, hatte der Zinsdruck nichts mit der Lage in Madrid oder Rom zu tun.

Die Regierung ist also tatsächlich scheinheilig, wie Giegold kritisiert. Zugleich spielen Kanzlerin Merkel und Schäuble ein doppeltes Spiel: in Berlin lassen sie ihre Kettenhunde von der Leine, die Draghi massiv angreifen. In Brüssel tragen sie den Kurs der EZB jedoch mit. Es war schließlich Merkels Idee, die Anleihekäufe mit neuen Sparauflagen zu verknüpfen. Damit setzte sie sich beim EU-Gipfel im Juni gegen Spaniens Rajoy und Italiens Monti durch – auch das wird in der Berichterstattung meist übersehen.

Merkels Auflagen dürften sich jedoch schon bald als Problem entpuppen.Denn sowohl Monti als auch Rajoy haben bereits auf breiter Front Reformen eingeleitet, die kaum noch zu toppen sind. Deshalb sträuben sich beide Länder auch jetzt, neue Hilfsanträge zu stellen. Sollten sie es aber doch tun und weitere Spardiktate schlucken, droht Spanien und Italien derselbe Teufelskreis, in dem derzeit Griechenland versinkt.

Und dagegen wird dann wohl auch Draghi nichts mehr ausrichten können…