“Die EU repräsentiert nicht mehr alle Wähler”
Was bedeutet der Machtwechsel im Europaparlament für die EU? Das wollte das Internet-Radio “detektor.fm” wissen. Bringt Tajani eine neue EU – oder mehr vom Alten?
Wer diesen Blog regelmäßig liest, kennt schon die Antwort: Viel Neues ist nicht zu erwarten, auch wenn Tajani nun überall als “Anti-Schulz” präsentiert wird. Der Italiener ist ein Mann von gestern.
Seine beste Zeit hatte er unter S. Berlusconi, der von A. Merkel aus dem Amt gedrängt wurde. Danach half er, den VW-Dieselskandal zu verschlafen – böse Zungen sagen: zu vertuschen.
Für seine Wahl haben Konservative und Liberale zwar eine Koalitionsvereinbarung abgeschlossen, die eine EU-Reform, sogar einen Reformkonvent vorsieht. Doch selbst Kommissionschef Juncker winkt ab.
Vor allem Merkel möchte, dass alles beim Alten bleibt. Sie klebt am Ancien Régime, einen Reformkonvent möchte sie unbedingt verhindern. Tajani wird daran auch nichts ändern.
“In the EU, the new order is the old order”, schreibt “Politico”. Eins hat sich allerdings grundlegend verändert: Bis vorgestern war mit M. Schulz wenigstens noch ein prominenter Sozialdemokrat am Ruder.
Nun wird Brüssel rabenschwarz, alle drei EU-Institutionen werden von Konservativen geführt. “Sozialdemokraten, Grüne und Linke fühlen sich kaum noch repräsentiert”, habe ich im Interview gesagt.
Und das ist schon eine brisante Neuerung…
Das Interview kann man hier anhören.
Susanne
20. Januar 2017 @ 06:45
3 Präsidenten stehen für eine (neo)konservative Richtung…das ist schon eine geballte Machtkonzentration.
Da letztendlich der Wählerwille in der eu herzlich wenig berücksichtigt wird, Bürger noch nicht einmal wissen, welche Programmpunkte in den Jahren zur Vertiefung auf dem Programm stehen, bleibt es letztendlich egal, wer in Brüssel offiziell auf welchem Stuhl sitzt. Man landet eh im Hinterzimmer; da wird die Politik über die Köpfe der Wähler hinweg entschieden.
R2G haben nun in den einzelnen Mitgliedsländer die Chance einen Wahlkampf zu führen, der genau thematisiert, dass man Wählerstimmen braucht, um in Brüssel für die Bürger zu arbeiten. Ob man das glaubt, ist die andere Sache.
Bürgerwille und die eu…ich bin da glaube ich mittlerweile ziemlich schmerzfrei…denn das wird es nicht geben. Dafür ist diese einfach nicht demokratisch aufgestellt, als das der Wähler die Richtung der eu per Wahl beeinflussen kann.
GS
20. Januar 2017 @ 00:46
Hier stimme ich Nemschak zu. Die Mehrheit in den Ländern und im Parlament ist derzeit eben bei den Konservativen. Es ist an den Linken, wieder mehr Wähler zu mobilisieren, dann kommen die Posten von ganz allein. Darauf zu pochen, dass man Posten bekommt, obwohl man die Minderheit ist, ist doch Käse. Vielleicht ist es gerade gut, dass der ewige Proporz endlich mal aufgebrochen wird, und dieser unerträgliche Einheitsbrei, nicht nur auf EU-Ebene, verschwindet. Ich bin aber optimistisch, dass man genau diese Chance nun wieder verstreichen lässt.
Das Problem ist doch das klägliche Bild, dass die Mitte-Links-Parteien in den letzten Jahren und Jahrzehnten (man denke daran, dass Europa um die Jahrhundertwende rot war) abgegeben haben. Das hat dazu geführt, dass sie aktuell einfach strukturell in der Minderheit sind. In den Mitgliedstaaten sieht es ja nicht anders aus. Was ist von der SPD, den französischen Sozialisten noch übrig? In den Niederlanden wird die einst stolze Arbeiterpartei in ein paar Monaten wohl geradezu vernichtet werden. Man muss sich einfach mal die Wahlergebnisse vor Augen halten.
Die Sozis & Co. müssen endlich politische Alternativen anbieten. Sie brauchen auch endlich Personal von Format (das gilt auch für die anderen Parteifamilien). Wobei ich nicht weiß, woher das kommen soll, denn welcher Mensch von Verstand tut sich die Ochsentouren durch die Parteiformationen schon an, nur um Ende farblos bis zur Unkenntlichkeit gemacht zu werden? Ich kann mich nur wiederholen, aber die Tatsache, dass eine Person wie Merkel nach 11 Jahren Kanzlerschaft gerade als der große Star und Hoffnungsträger der westlichen Welt gehandelt wird, sagt alles über die aktuelle Politikergeneration aus.
Angesichts dessen ist es doch völlig egal, ob der neue Parlamentspräsident nun Schulz, Tajani oder Pittella heißt. Die sind alle ersetzbar. Von einem Schulz wird in ein paar Jahren, wenn er dann auch noch seine Zeit als deutscher Außenminister (mutmaßlich) rumgebracht hat, niemand mehr reden. Von den beiden anderen wohl auch nicht. Hier geht’s nur um die Postenschacherei innerhalb einer relativ kleinen Politiclique (“Elite”), die für die EU-Bürger weder interessant noch bedeutungsvoll ist.
Peter Nemschak
19. Januar 2017 @ 13:40
@ebo Dass in den großen EU-Institutionen 40 – 50 Prozent der Wähler nicht repräsentiert werden, ist schlicht falsch. Die Kommissionsmitglieder wurden von den nationalen, demokratisch gewählten Parteien nominiert, der Rat repräsentiert die politischen Verhältnisse in den Mitgliedsländern. Die Italiener sind, was die nationale Repräsentation betrifft, gut bedient und dürfen sich nicht beklagen: Präsident der EZB und Parlamentspräsident. Dass sich der Bürgerprotest eher am rechten als am linken Rand gesammelt hat, kann man nicht den rechten Parteien vorwerfen.
ebo
19. Januar 2017 @ 13:44
Alle drei Präsidenten sind Konservative. Merkel ist “Neo-Konservative”. Wenn es jetzt schief geht mit der neokonservativen EU, dann wissen wir wenigstens, wer schuld ist…
Alexander
19. Januar 2017 @ 12:29
“S. Berlusconi, der von A. Merkel aus dem Amt gedrängt wurde”
Nicht, dass ich den Herrn irgendwie vermissen würde, aber dazu wüsste ich gerne mehr! Was für Mittel hat denn eine deutsche Bundeskanzlerin, den gewählten Regierungschef eines anderen Landes aus dem Amt zu drängen?
ebo
19. Januar 2017 @ 12:31
@Alexander Dazu gibt es einen alten Blogpost, er steht hier: https://lostineu.eu/wer-hat-berlusconi-abgeschaltet/
Alexander
19. Januar 2017 @ 12:44
Danke! Ich hatte da auch noch etwas im Hinterkopf. Aber sehr konkret finde ich die Informationen nicht. Mir ist immer noch nicht klar, wie man einen Berlusconi so ängstigen kann, dass er aufgibt. Sätze wie “Regierungsflugzeuge können Defekte haben!” werden ja wohl nicht gefallen sein? 😉
ebo
19. Januar 2017 @ 12:46
Damals haben die Finanzmärkte massiv gegen ITalien spekuliert, und Merkel und Sarkozy haben Berlusconi “eingeladen”, doch bitte den Weg frei zu machen….
Peter Nemschak
19. Januar 2017 @ 11:56
Dass sich Linke und Grüne zu wenig repräsentiert fühlen, ist nicht die Schuld der rechten Parteien. Sie müssten halten von mehr Bürgern gewählt werden, um mehr Gewicht im Parlament zu haben. Ausnahmsweise ist der Wähler diesmal schuld, weil er “falsch” gewählt hat.
ebo
19. Januar 2017 @ 12:28
@Nemschak Sie vergessen die Sozialliberalen, Podemos und Syriza, die sogar an der Regierung ist. Wenn sich all diesee Parteien und Strömungen nicht mehr repräsentiert fühlen, wird die EU für sie irrelevant – die Quittung kommt bei der nächsten Wahl.
Peter Nemschak
19. Januar 2017 @ 12:58
Was heißt repräsentiert “fühlen”? Die genannten Parteien und Strömungen sind als Ergebnis von demokratischen Wahlen im europäischen Parlament vertreten. Zeichen demokratischer Gesinnung wäre es die gewählte Mehrheit zu akzeptieren und nicht zu schmollen. Nach den nächsten Wahlen wird die politische Welt vielleicht ganz anders aussehen. Das ist nun einmal so in einer Demokratie.
ebo
19. Januar 2017 @ 13:01
Wenn Sie den Post gelesen haben, wissen Sie, dass es nicht nur um das EP, sondern um alle drei großen EU-Institutionen geht. Sie repräsentieren 40-50 Prozent der Wähler nicht mehr. Das ist ein ernstes Problem, vor allem in einem Wahljahr.
S.B.
19. Januar 2017 @ 10:28
„Sozialdemokraten, Grüne und Linke fühlen sich kaum noch repräsentiert“
Macht nix! Die Begründung steht im Artikel selbst: „In the EU, the new order is the old order“
Was also bedeutet es für EU-Otto-Normal-Bürger, wenn sich Sozialdemokraten, Grüne und Linke kaum noch repräsentiert fühlen? Eben… nichts.
ebo
19. Januar 2017 @ 10:31
Ja doch, in diesem Jahr wird gewählt…
S.B.
19. Januar 2017 @ 10:58
@ebo: Ja und? Würden Wahlen etwas ändern, wären sie verboten… (K. Tucholsky) 😉
Mal abgesehen davon: Von dem Bisschen, was im EU-Parlament passiert und wer da agiert, bekommt ohnehin niemand etwas mit, der nicht ganz genau danach schaut. Da ist die nationale Präsenz doch das viel entscheidendere Moment mit Blick auf die Wahlen.
ebo
19. Januar 2017 @ 11:08
Aber in Deutschlad macht es vielleicht doch einen Unterschied, ob Schulz in den Talkshows Europa erklärt, oder eben nicht. Jedenfalls für die Sozis…
S.B.
19. Januar 2017 @ 11:20
Das bleibt ihm ja unbenommen. 😉 Guttun wird es den Sozis aber bestimmt nicht…