Die zweite Front
Die EU-Kommission hat eine Reindustrialisierung Europas gefordert. Während sie bisher voll auf die Wissensgesellschaft und die “digitale Agenda” setzte, soll der Anteil der Industrie nun plötzlich auf 20 Prozent des BIP angehoben werden. Vorbild ist dabei offenbar Deutschland. Doch die Bundesregierung in Berlin ist das größte Hindernis für eine gemeinsame Industriepolitik. Ob EADS, VW oder Galileo – Berlin tut alles, um die deutsche Industrie zu protegieren.
Es ist die zweite Front der Eurokrise: der Kampf um Wettbewerbsfähigkeit und Marktanteile. Nachdem sich Deutschland mit der Agenda 2010 und den Hartz-Gesetzen auf Kosten der Arbeitnehmer einen Vorsprung gegenüber Frankreich erkämpft hat, gilt es nun, den Vorteil zu verteidigen. Bei Währungskommissar Rehn hat Berlin schon den ersten Sieg errungen: Die chronischen deutschen Handelsüberschüsse werden nicht sanktioniert; ins Visier der Brüsseler Behörde kommen nur “Defizitsünder”, darunter auch Frankreich.
Nun meldet die “Süddeutsche” den nächsten Erfolg: Offenbar auf Druck von Volkswagen hat sich Energiekommissar Oettinger in Brüssel dafür stark gemacht, dass die Klimaschutzvorgaben nicht verschärft werden. Der “Freund der Autoindustrie” (SZ) freut sich in einem Brief an VW-Chef Winterkorn, dass dieser sich keine sorgen um schärfere CO2-Auflagen machen müsse; selbst nach 2020 sei da nichts zu befürchten. Es ist eine weitere Niederlage für Kleinwagen-Produzenten wie Fiat, das sich im Sommer einen heftigen Rabatt-Streit mit VW geliefert hatte.
Die Meldung kommt nur einen Tag, nachdem Berlin die geplante Fusion zwischen den Luftfahrt- und Rüstungskonzernen EADS und BAE verhindert hat. Die Regierungen in Paris und London hatten den Deal schon weitgehend abgeschlossen – doch Berlin sagte mit Blick auf den “Standort Deutschland” (in diesem Fall München) nein. Kanzlerin Merkel und Verteidigungsminister de Maizière kümmerte es dabei wenig, dass mit T. Enders ein Deutscher an der Spitze von EADS steht. Ähnlich wie in der Eurokrise hieß es auch diesmal: “Merkel says Nein”.
Und dies ist nicht etwa ein Einzelfall. Beim EU-Satellitennavigations-Projekt Galileo (dem europäischen GPS) hat die Bundesregierung ebenfalls wiederholt ihr Veto eingelegt. Sie blockierte sogar Ausschreibungen, um der deutschen Industrie Marktanteile gegen die besser aufgestellten Franzosen zu sichern. Das machte Galileo zwar wesentlich teurer und führte zu massiven Verzögerungen. Doch dafür darf sich der Bremer Firma OHT über volle Auftragsbücher freuen.
Vor diesem Hintergrund mutet die neue industriepolitische Strategie der EU-Kommission wie ein frommer Wunsch an. Selbst wenn die EU-Staaten dem italienischen Industriekommissar Tajani folgen sollten (sein Papier steht hier) – gegen die übermächtige deutsche Konkurrenz, die mit Zähnen und Klauen ihre Marktanteile verteidigt, kommen sie so leicht nicht an. Zudem krankt die Strategie daran, dass sie zwar Ziele und Zahlen vorgibt, aber kaum gemeinsame Instrumente bereit stellt, wie der grüne Europaabgeordnete R. Bütikofer kritisiert.
Auch das erinnert an die Eurokrise. Auch da macht Brüssel den Krisenländern jede Menge Vorgaben – doch wenn es um solidarische Hilfe geht, sieht es mau auf. Meist steht Berlin auf der Bremse…
ebo
18. Oktober 2012 @ 11:37
# dirk Tja, wie soll die RE-Industzrialisierung erfolgen? Das solltest du die EU-Kommission fragen, die sie fordert, aber keine vernünftige Strategie ausarbeitet und schon gar keine Mittel bereitstellt. Für meinen Teil fordere ich keineswegs, dass Deutschland verzichten und Industriejobs abbauen soll. Aber ein außen- bzw. gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht wäre schon ok, es steht ja sogar im Grundgesetz! Zudem sollte die Bundesregierung aufhören, der EU und anderen EU-ländern Knüppel zwischen die Beine zu werfen, wenn diese sich um eine Re-Industrialisierung bemühen. Siehe Galileo, siehe EADS, neuerdings auch Airbus…
dirk
18. Oktober 2012 @ 07:53
etwas irritiert bin ich schon bei einem eu-blog der mal nicht”wollt ihr den totalen euro”schreit und von postdemokratischer eu-demokratie faselt(erstrecht wenn der autor auchnoch fürs HB schrieb)
aber wie bitte soll denn die re-industrialisierung erfolgen? nur weil dt. seine leistungsbilanz”ausgleicht”sprich etwas mediteraner wird, bekommen doch nicht unsere guten europäischen freunde plöztlich mehr marktanteile? dann wandert der marktanteil womöglich eher nach asien/lateinamerika, und dann???steht man dumm da, weil dann auchnoch dt. als nettozahler ausfällt, und südeuropa weiter mediteranisiert herumstolpert und nach sozialer gerechtigkeit und solidarität schreit. aber dann könnten wir ja in deutschland nochmal die löhne drücken um die marktanteile zurückzuholen…
wirtschaft ist nunmal wettbewerb und absprachen und verabredungen, die versuchen den wettbewerb aus dem weg zugehen werden doch idR vom kartellamt bearbeitet? entweder man stellt sich dem wettbewerb, oder man versucht für ein paar jahrzehnte ala UDSSR sein eigenes soziales paradies zu schaffen. die realität tut halt weh, dass wusste schon lothar späth vor einigen jahren, aber scheinbar entscheidet sich europa gerade doch lieber für den streichelzoo als für die freie wildbahn…
Eric B.
12. Oktober 2012 @ 11:40
Was heißt denn hier aufschließen? In UK wurde die Industrialisierung erfunden, D hinkte jahrzehntelang hinterher. Und F ist in vielen Sektoren, z.B. der Luft- und Raumfahrtindustrie, immer noch führend. Doch genau das macht D nun den Franzosen streitig. Im Automobilsektor ist es so, dass VW jetzt auch ins Kleinwagen -und Billigsegment vorstoßen will, also die Domäne der Italiener und Franzosen. Es ist schon eine ziemlich aggressive Strategie, die die Deutschen verfolgen. Offiziell ist Industriepolitik tabu, in Brüssel torpediert man sie, aber in Berlin hält man zusammen – nicht wahr, Herr Oettinger?
Ortega
12. Oktober 2012 @ 08:33
Was heißt das: Reindustrialisierung in Europa. Das heißt dass die großen Staaten wie Frankreich und England aufschliessen müssen auf das vergleichsweise hohe Nivau was Deutschland erreicht hat. Anzunehmen dass der Industrialisierungsgrad Europas ins gesamt steigen würde, wenn Deutschland sein Nivau nicht verteitigen würde, ist genaus so ein linkes Gequatsche, wie die Behauptung hohe Löhne stärken die Binnenkonjunktur und damit das BSP gesamt. Wenn dem so wäre, hat die Lohnzurückhaltung in Deutschland in Frankreich und besonders Griechenland ja einen echten Vorteil einfahren können, dort stiegen bekanntlich die Einkommen der Arbeitnehmer, was sich konjunkturell aber nicht so auswirkte, dass die beiden Länder in Ihrer Wirtschaftsleistung zu Deutschland aufschließen konnten. Ich bin sicher, das jeder Vorteil den sich eine Person oder eine Region erarbeitet zu Lasten von Jemanden geht. Auch die berühmte Win Win Situation ist lediglich eine Situation in der sich Gewinner auf einen Verlierer abgestimmt haben, der bei der Abstimmung keinen Stimme hatte.
Eric B.
11. Oktober 2012 @ 12:37
Naja, es ist nicht immer gleich ein Veto nötig. Bei EADS war die Eu gar nicht direkt beteiligt, ein einfaches “nein” aus Berlin hat gereicht. Bei VW ist halt “unser” Kommissar Oettinger tätige geworden. Bei Galileo hat Berlin damit gedroht, kein Geld beizusteuern, wenn die Konditionen nicht geändert werden. Und bei den Überschüssen hat Schäuble “diskret” im Hintergrund gewirkt, um Rehns Kriterien den deutschen Wünschen anzupassen. Grundsätzlich könnten die anderen EU-Länder natürlich genauso tricksen, oder plump mit einem Veto drohen, wie UK. Das Problem ist, dass sie fast alle etwas von D wollen, und dass Berlin meist am längeren Hebel sitzt…
Ariane
11. Oktober 2012 @ 11:53
Ich hab da mal eine allgemeinere Frage zu, die ich mir sowohl bei der VW-Sache als auch in der Eurokrise immer wieder stelle. Warum sind die Widerstände so gering? Darf Deutschland da überhaupt überall ein Veto einlegen oder lassen sich andere Länder über den Tisch ziehen? Italien und Frankreich würden von den Umweltauflagen für Autos doch profitieren?Selbst wenn Deutschland da überall ein Veto einlegt, könnte man doch zb mit einer Retourkutsche kontern und selbst irgendwo ein Veto einlegen oder zb darauf drängen, dass Deutschland ein Verfahren wegen seiner Überschüsse oder irgendwie sowas bekommt. Also meine Frage ist: wieso passiert das nicht? Oder läuft das irgendwo heimlich, wo man es nicht so mitbekommt. Für mich ist das reichlich unverständlich, dass die Widerstände der anderen Länder so gering erscheinen.