Die viel schlimmere Blockade
Nun hauen sie alle auf Magnette und seine Wallonen ein. Ein “Möchtegern-Asterix” sei er, ein “Totengräber der Demokratie”. Dabei blockiert Magnette gar nicht, er bremst. Blockieren tun ganz andere.
Die Rede ist von den Briten, die der EU-Handelspolitik mehr schaden als das kleine Wallonien. Sie könnten sogar die Reste der europäischen (und deutschen) Stahlindustrie zugrunde richten.
Bereits seit 2014 blockiert London einen Vorschlag der EU-Kommission, bessere Instrumente gegen Dumping beim Stahl aus China und anderen Billigländern einzuführen.
Jahrelang stand Deutschland an der britischen Seite. Neuerdings ist Berlin auch für den Vorschlag aus Brüssel. Doch beim letzten EU-Gipfel am vergangenen Freitag blockierte London erneut eine Lösung.
Sie wurde auf Dezember vertagt, und niemand schrie. Niemand klagte, dass ein Land, dass der EU den Rücken kehren will, nun auch noch die Handelspolitik blockiert.
Warum ist bei Ceta alles anders? Warum sollte die EU da nicht auch noch bis Dezember warten können? Antworten bitte an SPON, die Tagesschau und Monsieur Michel, der es verbockt hat…
Siehe auch: In & Out: das doppelte Spiel beim Brexit
Peter Nemschak
27. Oktober 2016 @ 10:06
@ebo Genau darin liegt der Konstruktionsfehler: ein supranationales Thema darf nicht auf nationalstaatlicher Ebene entschieden werden. Das gehört dringend geändert. Die EU war lange auf dem richtigen Weg, bis sich die politischen Ränder der Nationalstaaten begonnen haben einzumischen und der Mainstream in die Knie gegangen ist. Wenn die Völker mehr Demokratie wollen, müssen sie das Europäische Parlament stärken.
ebo
27. Oktober 2016 @ 10:19
Da bin ich mit Ihen einig. Die Renationalisierung (und Regionalisierung, wie sie von einigen gepredigt wird) ist eine Gefahr für Europa, nicht nur für die EU.
S.B.
27. Oktober 2016 @ 14:16
Ich bin da anderer Meinung. Die EU ist eine Gefahr für Europa. Das hat sie hinlänglich und für solche politischen Konstrukte kürzester Zeit gezeigt. Man kann hinschauen, wo man will. Mit EU und Euro wurde mehr zerstört, als aufgebaut. Eine EU, wie sich die Bürger das vorstellen könnten, wird es nicht geben. Also kann die bestehende EU determiniert werden. Wo soll bei der Renationalisierung in Verhältnisse, wie sie mit EWG und Ecu bestanden haben, die (und überhaupt welche) Gefahr liegen?
Ute Plass
27. Oktober 2016 @ 00:28
Lesenswert:
http://www.rationalgalerie.de/home/wallonen-vergewaltigen-kanada.html
Andreas M.
26. Oktober 2016 @ 10:11
Politiker üben sich im Wallonie-Bashing und die Medien machen sich zum Sprachrohr, Kommentatoren überbieten Politiker noch in der Propaganda (siehe Tagesschau).
Journalisten sollten neutral und unparteiisch berichten. Wieder einmal Fehlanzeige. Haben wir das nicht schon einmal erlebt? Richtig – Griechenlandberichterstattung 2015. Wieder einmal wird die Narrative ideologisch umgebogen: EU muss Vertragsfähig sein, eine kleine Region darf Handelsverträge nicht blockieren dürfen, empörte Kommentare auf Tagesschau und SPON, die EU ist handlungsunfähig, etc.
Das ist alles richtig, aber das steht gar nicht zur Frage hier.
Denn, mit der Realität hat dieser “neue” Diskurs wieder einmal nichts zu tun und das ist wieder schlecht für Europa:
Die EU-Kommission hat ein Mandat für die CETA Verhandlungen als “gemischtes” Abkommen erhalten. Dies bedeutet juristisch, dass die belgische Regierung zustimmen muss.
Die Wallonie “blockiert” – entgegen der weit verbreiteten Meinung in den meisten Redaktionen – CETA NICHT.
Im Gegenteil, das wallonische Parlament arbeitet seit über einem Jahr ausgesprochen intensiv an dem Vertragstext, wie man der belgische Presse entnehmen kann – nach Berechnungen eines Vertreters der Regierung hat das parlament der wallonischen region mehr als alle anderen EU-Parlamente zusammen an CETA gearbeitet ! Es wird weiterhin an einem Abschluss gearbeitet.
Und, lieber Rezipient, wussten sie das?
Das Hauptproblem hier ist doch ein anderes, und dies ist offensichtlich: wieso wurde der Termin zur Unterschrift des Vertrages festgelegt noch bevor Länder wie Deutschland, Österreich, Belgien, etc. formell ihre Zusage zur endgültigen Version des Vertragstextes abgegeben hatten? Hat die Kommission hier Fakten schaffen wollen? Warum diese Eile? Auf jeden Fall ist dies nicht mit den elementaren Grundsätzen einer europ. Demokratie vereinbar. Bisher habe ich auf Tagesschau und SPON (selbst auf Anfrage) keine Antwort erhalten. Wer hat’s verbockt: die Kommission oder der belgische Ministerpräsident?
CETA wird sicherlich in den nächsten Monaten zuende gebracht – die wallonischen Vertreter (Magnette’s Team) sind professionell und seriös. Warum die Aufregung?
So bleibt wieder einmal die Hauptfrage: warum sind die Medien so häufig unfähig, sachlich und wahrheitsgetreu zu berichten? Warum diese offene Parteilichkeit und das Hochpeitschen von Emotionen? In der Kriminologie heisst es: finde heraus, wer von einem Mord profitiert, und Du findest mit hoher Wahrscheinlichkeit den Täter!
Peter Nemschak
27. Oktober 2016 @ 09:55
Handelsverträge der EU haben nichts auf nationalstaatlicher Ebene zu suchen.
ebo
27. Oktober 2016 @ 09:57
@Nemschak Doch, natürlich. Es sind die 28 Nationalstaaten, die der EU-Kommission das Mandat für einen neuen Handelsvertrag erteilen. Und am Ende müssen alle 28 zustimmen.
S.B.
27. Oktober 2016 @ 10:46
@ebo: Peter Nemschak setzt sich einfach über die geltende grundsätzliche Konzeption der EU hinweg und tut so, als wäre die EU ein Bundesstaat, der von seinen Mitgliedern unabhängige Kompetenzen hätte. Er denkt damit genauso fehlerhaft, wie die EU-Eliten fehlerhaft, damit anmaßend und damit rechtswidrig handeln.
J. Klos
26. Oktober 2016 @ 09:58
Es geht um die europäische Gouvernance welche die meisten Bürger in der derzeitigen Konstellation aber nicht möchten. Das Haus Europas wurde vom Dach angefangen und man hat das Fundament einfach fallen gelassen.
Die europäische marktkonforme Auslegung der Demokratie wird sich so auch weiterhin eine blutige Nase holen.
Hier gilt das gleiche wie bei CETA.
Wir brauchen einen Neusnfang wenn wir Europa langfristig eine Chance geben wollen.
Ohne die Bürger mitzunehmen wird das nichts.
S.B.
25. Oktober 2016 @ 14:45
ein “Totengräber der Demokratie”…
Heiliger Strohsack! In der “modernen” Welt, wird einfach alles von den Füßen auf den Kopf gestellt. Und so sind Leute, die einfach nur demokratisch handeln, plötzlich die Totengräber der Demokratie. Genau, wie Leute, die auch nur ein klitzekleines Bisschen Kritik am herrschenden Politik-Mainstream äußern, selbstverständlich Rechtsradikale sind.
Schöne neue postfaktische Welt!
Peter Nemschak
25. Oktober 2016 @ 16:39
Magnette ist kein Totengräber der Demokratie, nur sollte eine Region oder ein einzelner Nationalstaat nicht zuständig für Handelsabkommen der Gemeinschaft mit Drittländern sein. Das ist ein klassisches, supranational zu entscheidendes Thema und gehört auf diese Ebene: Europäische Kommission und europäisches Parlament. Totengräber der Union sind jene Mitglieder, die keine Gelegenheit versäumen auch bei supranationalen Themen den europäischen Entscheidungsprozess zu behindern oder zu lähmen. Die großen Staaten betrachten die Kommission als Juniorpartner und wundern sich, wenn keine europäischen Lösungen zustande kommen. CETA und TTIP hin oder her, es geht um europäische Governance.
Peter Nemschak
25. Oktober 2016 @ 12:19
Großbritannien möchte sich die Zustimmung durch Entgegenkommen der EU auf anderen Gebieten abkaufen lassen. Solche Verhaltensweisen waren immer Routine im politischen Prozess der EU. Nur bleiben die “Geschäfte” vor dem Austrittsantrag des UK geschlossen. Daher ist es notwendig, klare Kompetenzregeln, was Nationale und Supranationale innerhalb der Gemeinschaft betrifft, festzulegen. Dabei wird sich der Integrationsweizen von der Spreu trennen. In bestimmten Fragen müssen die Mitgliedsländer auf ein Mitentscheidungsrecht verzichten und akzeptieren, was Kommission und Europaparlament beschließen. Das heißt natürlich nicht, dass die Nationalstaaten auf Lobbyismus verzichten müssen. Derzeit stößt die Gemeinschaft sehr rasch an die Grenzen der supranationalen Entscheidungsmöglichkeiten. Das ist für alle schlecht, auch für jene, die sich für die Retter der Nation halten. Der jetzige Zustand ist unhaltbar: entweder mehr oder weniger Integration, um handlungsfähig zu bleiben und die Option, dass sich integrationswillige Staaten enger zusammenschließen als andere.
S.B.
25. Oktober 2016 @ 15:55
@Peter Nemschak:
“Derzeit stößt die Gemeinschaft sehr rasch an die Grenzen der supranationalen Entscheidungsmöglichkeiten.”
So ist das bei einer Gemeinschaft, die aus so heterogenen Mitgliedern besteht, wie es in der EU der Fall ist. Supranationale Entscheidungsmöglichkeiten, aber insbesondere auch Entscheidungen, soll es nur dort geben, wo alle mitmachen wollen.
“Das ist für alle schlecht, auch für jene, die sich für die Retter der Nation halten.”
So ist es. Deshalb ist eine Konstruktion, wie die EU sie geworden ist, für ihre Mitglieder auch kontraproduktiv.
“Der jetzige Zustand ist unhaltbar: entweder mehr oder weniger Integration, um handlungsfähig zu bleiben und die Option, dass sich integrationswillige Staaten enger zusammenschließen als andere.”
Mehr Integration wollen nur die von den Bürgern abgehobenen Eliten, welche aber selbst allmählich erkennen, dass ihr Projekt bereits gescheitert ist. Diese Option scheidet dementsprechend aus. Also weniger Integration und zwar mit der von Ihnen angesprochen Option. Nur, dass für diese Option niemand die EU braucht, denn diese würde voraussetzen, dass es Länder gibt, die in nahezu allen wesentlichen Punkten übereinstimmen. Das ist aber nicht der Fall, wie sich in allen kritischen Sachverhalten der letzten Zeit deutlich gezeigt hat. Also kann nur gelten: Länder verfolgen einfach dort gemeinsame Interessen, wo sie gemeinsame Interessen haben. Ansonsten lassen sie es einfach bleiben.
Konkret mit Blick auf CETA würde das bedeuten: Wenn Belgien nicht mitmachen will, bleibt es außen vor.
Oder in einem anderen aktuellen Sachverhalt: Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, der nimmt eben keine auf.
Kein Land hat das Recht, einem anderen Land zu diktieren, was es zu tun und zu lassen hat. Eine Institution wie die EU hat dagegen nur einen einzigen Zweck: Fremdbestimmung.
Peter Nemschak
25. Oktober 2016 @ 17:37
Sie können sich offenbar nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Staaten auf bestimmten Politikfeldern ihre Souveränität, d.h. endgültige Entscheidungsmacht bei bestimmten Themen an supranationale Institutionen (Kommission und europäisches Parlament) abtreten – aus der Einsicht, dass auf diese Weise eine für die Gruppe der Staaten bessere Gesamtlösung als die Summe der Einzellösungen gefunden wird. Es sollte einleuchten, dass die gemeinsame Verhandlungsmacht von 28 Staaten gegenüber einem Drittstaat größer als die individuelle Verhandlungsmacht eines einzelnen Staates ist. Auch in Deutschland fallen bestimmte Entscheidungen in die alleinige Kompetenz des Bundes, selbst wenn die Länder im Entscheidungsprozess konsultiert werden. Warum sollte dieser Mechanismus nicht auch auf europäischer Ebene funktionieren?
S.B.
26. Oktober 2016 @ 09:13
@Peter Nemschak: Da haben Sie völlig recht! Ich kann mich nicht damit anfreunden. Der Grund liegt darin, dass die Realität bereits überdeutlich gezeigt hat, dass die Abgabe von Souveränität an den politischen Überbau “EU” nicht funktioniert. Mit diesem Gedanken sollten Sie sich nicht nur anfreunden, sondern ihn akzeptieren, weil er ein Fakt ist.
Zu Deutschland und der Bund-Länder-Kompetenzaufteilung: Auch diese ist bei Weitem nicht in jedem Sachverhalt sachdienlich. Es gibt aber zwischen D und der EU einen ganz entscheidenden Unterschied: D ist ein weitgehend homogener Kulturraum. Es bestehen also wirtschaftlich und politisch grundsätzliche Übereinstimmungen in den Bundesländern. Dies ist die Grundlage dafür, dass der gemeinsame politische Überbau, die Ebene “Bund”, funktionieren kann.
In Europa, besser der EU, ist diese Voraussetzung nicht gegeben, weil die Mitgliedsländer in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht viel zu heterogen sind. Aus diesem Grund gibt es auch keine supranationalen Themen, wo ein gemeinsamer politischer Überbau eine Lösung erreichen kann, die allen Mitglieder gerecht wird.
Dieser Umstand wird von der EU-Elite mit der Utopie der “gemeinsamen europäischen Werte” übertüncht, die anstelle der fehlenden wirtschaftlichen und politischen Gemeinsamkeiten die Grundlage für den Souveränitätsverzicht der Mitgliedsstaaten sein sollen. Nur, dass diese “gemeinsamen europäischen Werte”, die fehlenden wirtschaftlichen und politischen Gemeinsamkeiten nicht ersetzen können.
Genau die gleiche Argumentation trifft übrigens auf den Euro zu. Hier ist die Situation noch viel klarer, weil die Beurteilung seiner Sinnhaftigkeit allein auf die unterschiedlichen wirtschaftlichen Voraussetzungen der Euro-Teilnehmer abstellt.
Fazit: Die Voraussetzungen für einen politischen Überbau der europäischen Länder, welcher der Bund-Länder-Konstruktion in D gleicht und der ähnliche länderübergreifende und damit die Souveränität der einzelnen Länder beschneidende Kompetenzen hat, sind in Europa wegen der zu großen wirtschaftlichen und politischen Unterschiede nicht gegeben. Anders ausgedrückt: Die europäischen Länder sind keine mit den Bundesländern in D vergleichbare Gemeinschaft.