Die Strategie der gegenseitigen Vernichtung
Was passiert eigentlich, wenn der deutsche Spitzenkandidat Manfred Weber beim EU-Gipfel scheitert? Dafür haben die Experten der “Brüsseler Blase” eine ganz eigene Strategie entwickelt. Sie erinnert an den Kalten Krieg.
Ich nenne es die “Strategie der gegenseitigen Vernichtung”. Man könnte auch sagen “Auge um Auge, Zahn um Zahn”. Wenn Weber nicht Kommissionschef werden darf, dann müssen auch andere leiden.
Die Vergeltung würde sich auf zwei Ebenen entfalten. Sollten die Sozialisten es wagen, den Konservativen Weber abzuschießen, dann wird auch deren Spitzenkandidat Frans Timmermann blockiert.
Und sollte Frankreich es wagen, die deutschen Kandidaten abzuschießen (neben Weber gibt es auch noch Jens Weidmann von der Bundesbank), dann kann auch kein Franzose etwas werden.
Michel Barnier oder Christine Lagarde – sie werden als mögliche französische Anwärter auf den Kommissionsjob bzw. die EZB-Führung gehandelt – könnten dann gleich einpacken.
Dass das keine leere Theorie ist, bestätigt der belgische Grüne Philippe Lamberts: Für den Fall einer Ablehnung von Weber rechne er mit einem “Domino-Effekt”, sagte er. Dann werde auch Timmermans abgeblockt.
Wenn diese Strategie zur Anwendung kommt, dann geht es auf diesem Gipfel vor allem darum, Zeit zu gewinnen und niemanden “abzuschießen”. Indirekt hat dies Kanzlerin Angela Merkel schon bestätigt.
Es könne sein, “dass es heute noch kein Ergebnis gibt”, erklärte Merkel bei ihrer Ankunft in Brüssel. Dies sei aus ihrer Sicht aber “nicht so sehr bedrohlich”. Man habe ja noch bis Ende Juni für eine Einigung.
Mit anderen Worten: Sie spielt auf Zeit! “Bedrohlich” wird es erst, wenn irgendjemand versuchen sollte, Weber zu stoppen. Indirekt stellt Merkel damit auch die Rolle von EU-Ratspräsident Donald Tusk in Frage.
Denn der war ja beauftragt worden, die Chancen der Spitzenkandidaten im Vorfeld zu sondieren. Wenn nicht alle täuscht, kam er zu dem Schluß, dass Weber keine Chance mehr hat…
Siehe auch “Weber wankt, Weidmann winkt” und “So viel Machtkampf war nie”
P.S. Beim EU-Gipfel hat Merkel unsere Analyse bestätigt. Wenn Weber nicht gewählt werde, hätten auch die beiden anderen Spitzenkandidaten keine Chance, wird sie zitiert. Derweil spricht die französische Zeitung “Le Monde” von einem “Massaker”…
zykliker
21. Juni 2019 @ 11:55
Politisches Patt? Anders als im realen Leben gibt es beim Schach den flapsigen Begriff “Tot-Remis.” Großmeister und starke Amateure erkennen im Gegensatz zu mir eine solche Stellung rechtzeitig, reichen sich die Hände und “gut ist.” In einer “Tot-Remis”-Stellung verliert der, der den Fehler macht, seine Stellung zu überschätzen und sie durch Angriffs-Züge zu schwächen, der Konter ist dann fast immer tödlich.
Leider habe ich meine Zweifel, ob die Schachspieler in Brüssel und Straßburg weitsichtig, weise und empathisch genug sind, den Mitspielern nicht die Atemluft abdrücken zu wollen.
Möchtegern-Weltmächte und Export-Weltmeister auf Steroiden sollten sich nicht wundern, wenn die “Kleinen” sich nicht alles gefallen lassen wollen.
Vielleicht ist ja das “Gespenst von der austarierten Mittelmäßigkeit” nur ein Vorwand für den Machtmißbrauch zu Lasten des Schwächeren.
Peter Nemschak
21. Juni 2019 @ 11:43
Solange sie mit sich selbst beschäftigt sind, können sie keinen Unsinn anstellen. Da können die Bürger beruhigt ihren Geschäften nachgehen.